Der Esstisch

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In Kurzfassung klärte ich Kim über das Experiment auf. Ungläubig trat sie ein paar Schritte zurück. ,,Du willst mir sagen, dass wir hier sterben können?".

,,Ich will dir nur sagen, dass ich keine Ahnung habe, was sich hinter diesen Wänden befindet".

Kim verschränkte ihre Arme. ,,Wir sollen also einfach hier sitzen und warten? Warten auf was? Auf unseren Tod, weil wir hier verhungern werden?!", warf sie sauer in den Raum.

Über den Peilsender hatte ich ihr natürlich nichts erzählt, da wir unter ständiger Beobachtung standen. Ja, ich wollte Zeit schinden, obwohl ich noch nicht einmal wusste, ob der Peilsender noch an oder in mir war. Ich hatte aber auch Angst. Angst davor, was als Nächstes kommen würde. Die Bilder, wie Baley in die Tiefe stürzte gingen mir nicht aus dem Kopf. Aber Kim hatte auch Recht. Wir wussten nicht, ob uns jemand einfach so mit Nahrung und Wasser versorgen würde. Einfach abzusitzen wäre vermutlich auch nicht richtig.

,,Also gut", gab ich nach. ,,Welche Wand?".

Kim drehte sich einmal um ihre eigene Achse und entschied sich schließlich für eine der Wände. ,,Die da". Sie zeigte auch die Wand rechts von mir.

Ich griff nach dem Vorschlaghammer und lief auf die Mitte der Wand zu. Dann holte ich aus und begann die Wand zu zertrümmern. Oder besser gesagt, ich versuchte es, denn egal wie ich auch zuschlug, das Einzige, was ich bewirken konnte, war ein leichtes Bröckeln der Betonwand.

,,Versuch es mal mit der hier". Kim zeigte auf die Wand gegenüber. Auch da war es vergeblich.

,,Okay, letzter Versuch", sagte ich schon außer Atem und trat näher an die letzte noch unversehrte Wand. Schon ab dem ersten Schlag bildete sich ein kleines Loch. ,,Endlich". Schnaufend schlug ich solange zu, bis das Loch so groß war, sodass wir beide hindurchpassten. Durch das Loch erblickte ich einen Raum in der gleichen Größe. Genauso waren an jeder der Ecken Kameras, ein Lüftungsschacht und drei flache Glühbirnen. Die einzigen bemerkbaren Unterschiede waren, dass es gegenüber eine Metalltür gab und in der Mitte ein gedeckter Esstisch stand.

,,Oh mein Gott, endlich was zu essen. Ich hab so Hunger", kam es noch flüchtig von Kim, bevor sie sich auf das Essen stürzte.

Ich hingegen bewegte mich zur Tür. 

Verschlossen, was auch sonst. 

Als ich mich zu Kim drehte, zeigte sie mit vollem Mund auf ein Stück Papier, welches mitten auf dem Esstisch lag. Ich griff sofort danach und las laut vor.

,,Auf dem Tisch befinden sich zwei Mahlzeiten. Eine davon ist vergiftet...". Ich hörte abrupt auf zu lesen und sah zu Kim. Das Blut strömte ihr schon aus der Nase und bahnte sich den Weg so langsam auch aus den Augen. Ihr Körper sackte ein und bevor sie auf den harten Betonboden aufschlug, fing ich sie auf und legte sie behutsam hin. Sie hustete daraufhin und spuckte Blut. Das Gift wirkte sehr schnell, sie hatte noch nicht einmal die Zeit, ihre letzten Worte zu sprechen, so schnell wie ihr das Leben aus dem Körper wich. Ich saß da und blickte auf ihr blutüberströmtes Gesicht hinunter. Mein Gehirn hatte einen Aussetzer. Für kurze Zeit hatte ich keinen einzigen Gedanken. Ich fühlte nichts. Ein Schluchzen beendete meine Schockstarre. Mein Schluchzen. Mittlerweile weinend kroch ich von Kims Leiche, ohne meine weit geöffneten  Augen von ihr zu wenden. Dann sah ich wieder rauf zum Esstisch, wo das Stück Papier lag, welches ich erschrocken aus meinen Hängen gleiten ließ, als Kims Körper einsackte. Zitternd nahm ich es erneut zur Hand und las weiter.

Ihr könnt versuchen herauszufinden, welche von beiden oder auch nicht. Ganz eure Entscheidung. Denkt aber dran, eure nächste Mahlzeit wird noch auf sich warten lassen.

Mein Herz donnerte mir gegen meine Brust, als mir die Erkenntnis kam.

Es hätte niemand sterben müssen! Eigentlich hätten wir beide überleben können!

Ein kurzes Piepen ließ mich aufschauen. An der Wand erkannte ich rote Zahlen. Ein Timer, welcher von 5 Stunden runterzählte. Ich verkroch mich in die hinterste Ecke des Raumes, zog die Knie an und schlang meine Arme um meine Beine. Wie ein Häufchen Elend saß ich da und versuchte meine Gedanken zu sortieren. Die Tränen bahnten sich in großer Menge ihren Weg nach draußen. So viel wie in den letzten Wochen hatte ich in meinem gesamten Leben nicht geweint. Ich hatte das Gefühl, ich würde bald durchdrehen, wenn es so weitergeht. Frustriert fuhr ich mir über meine Haare.

Nach ein paar Stunden hörte mein Tränenfluss endgültig auf und ich sah erneut zum Timer. Es waren nur noch knapp zwei Stunden übrig. Mein Magen knurrte.

Wie lange habe ich schon nicht mehr gegessen?

Mein Blick wanderte zum Esstisch. Während der Teller von Kim wie ein Schlachtfeld aussah, weil sie sich mit den Händen einfach alles reingeschaufelt hatte, stand meiner noch wie frisch serviert.

Eine davon ist vergiftet, rief ich mir ins Gedächtnis auf. ...eure nächste Mahlzeit wird noch auf sich warten lassen.

Ich riss mich zusammen, stand auf und lief zu meinem Teller. Dort befanden sich ein Krautsalat, ein Kartoffelpüree und ein Hühnerschenkel. Dazu stand noch ein Glas Wasser. Ich nahm alles an mich und setzte mich mit dem Rücken zu Kim erneut in meine Ecke. Langsam zwang ich mich dazu, zu essen. Ich wusste nicht, wann das nächste Mal was Essbares vor mir stehen würde. Mir war bewusst, dass ich kämpfen musste. Dass ich durchhalten musste. Zumindest bis Rettung kommt. Im schlimmsten Fall müsste ich gewinnen. Ich wollte nicht sterben. Nicht SO. Ich schob meinen leeren Teller zur Seite. Die letzte Stunde versuchte ich, mich etwas zu beruhigen. Ich hatte panische Angst vor dem nächsten Raum. Ich wusste nicht, was sich hinter dieser Tür befand, und ich hatte auch nicht den Wunsch, es herauszufinden. Meine Aufregung stieg von Minute zu Minute. Als die letzten Sekunden verstrichen, war ich kurz davor zu hyperventilieren.

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Ein kurzes Klicken und die Tür sprang auf. Zitternd atmete ich aus.

Mister X - Das ExperimentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt