Kapitel 1 Nebelungs Bestimmung

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Die Dunkelheit lag schwer über dem Lager des Schattensturm-Clans. Nebeljunges lag in ihrem Nest, doch Schlaf wollte einfach nicht kommen. Ihre Gedanken waren rastlos, wie die Blätter, die der kalte Wind umhertrieb. Seit Tagen spürte sie eine Unruhe tief in ihrem Inneren, ein Gefühl, das sie nicht abschütteln konnte.

Es war nicht nur der bevorstehende Tag ihrer Ernennung zur Schülerin, der ihr Angst machte. Es war etwas Größeres, Dunkleres, das sie nicht greifen konnte. Ihr war, als läge etwas in der Luft, unsichtbar, aber bedrohlich – wie ein Sturm, der sich am Horizont zusammenbraute.

Vorsichtig stand sie auf, um ihre Geschwister nicht zu wecken, und schlich aus dem Bau der Jungen. Der Mond stand hoch am Himmel, sein Licht fiel blass und kalt auf das Lager. Nebeljunges setzte sich an den Rand des Lagers und starrte in die Ferne. Ihr Herz schlug schnell, und sie wusste nicht, warum. Es war, als ob der Wald selbst sie warnen wollte, doch wovor?

„Was machst du hier draußen, Nebeljunges?“ Die raue Stimme ließ sie zusammenzucken.

Sie drehte sich um und sah direkt in die gelben Augen von Dornpelz, einem der erfahrensten Krieger des Schattensturm-Clans. Sein Gesicht war ernst, und sein Blick durchdringend, als ob er direkt in ihr Innerstes sehen könnte.

„Ich... ich konnte nicht schlafen,“ murmelte sie und spürte, wie sich ihre Pfoten nervös in den Boden gruben.

Dornpelz setzte sich neben sie und ließ seinen Blick über das Lager schweifen. „Ich weiß, wie das ist,“ sagte er schließlich. „Wenn man das Gefühl hat, dass sich etwas verändert. Etwas, das man nicht versteht.“ Seine Stimme war ruhig, aber in seinen Augen lag eine Härte, die Nebeljunges Unbehagen bereitete.

„Wird es bald Krieg geben?“ fragte sie, bevor sie sich zurückhalten konnte. Es war eine Frage, die sie seit Tagen quälte, obwohl niemand offen darüber gesprochen hatte.

Dornpelz schwieg einen Moment, als ob er überlegte, wie viel er ihr sagen sollte. „Die Clans stehen immer am Rande des Krieges,“ antwortete er schließlich. „Es gibt immer Spannungen, immer Streit. Aber jetzt... es fühlt sich anders an. Der Dämmerlicht-Clan hat unser Territorium zu oft verletzt. Sie fordern uns heraus, und Finsterstern wird nicht ewig stillhalten.“

Nebeljunges' Herz schlug schneller. Sie hatte die Kämpfe an der Grenze gehört, die Krieger mit Verletzungen zurückkehren sehen. Doch Krieg? Sie war noch nie in einem richtigen Kampf gewesen. Das Training, das sie bald beginnen würde, erschien ihr plötzlich viel realer, viel beängstigender.

„Mach dir keine Sorgen,“ sagte Dornpelz, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Du wirst bald Schülerin sein, und wir werden dich darauf vorbereiten, Kriegerin zu werden. In einem Kampf musst du stark sein, mutig... und bereit, dein Leben für den Clan zu geben.“

Seine Worte sollten beruhigend klingen, doch sie ließen einen kalten Schauer über Nebeljunges' Rücken laufen. Sie hatte den Tod noch nie aus der Nähe gesehen. Die Geschichten der Krieger über Schlachten und Heldentaten klangen aufregend, aber jetzt, in der Stille der Nacht, wirkte der Gedanke, wirklich kämpfen zu müssen, erschreckend real.

„Ist es das, was es bedeutet, ein Krieger zu sein?“ fragte sie leise. „Immer bereit zu kämpfen? Zu töten?“

Dornpelz sah sie lange an, und zum ersten Mal in dieser Nacht schien sein Blick etwas Weicheres zu zeigen. „Ein Krieger zu sein bedeutet, seinen Clan zu beschützen – egal, was es kostet. Aber es ist nicht immer einfach, und es gibt Zeiten, da wünscht man sich, es wäre anders.“ Seine Stimme wurde leiser, fast so, als würde er mit sich selbst sprechen. „Doch wir haben keine Wahl. Die Clans leben von den Kriegen, und das Blut, das vergossen wird, ist Teil unseres Lebens.“

Nebeljunges spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Sie wollte stark sein, wollte ihre Pflichten erfüllen, doch die Welt, die Dornpelz beschrieb, klang dunkel und kalt. War das wirklich das Leben, das sie wollte? Ein Leben, das von Kämpfen und Blut geprägt war?

„Schlaf jetzt, Nebeljunges,“ sagte Dornpelz schließlich und stand auf. „Morgen wirst du Schülerin, und dann beginnt der Ernst des Lebens.“

Mit diesen Worten ließ er sie allein, und Nebeljunges blieb noch eine Weile sitzen, den Blick in die Dunkelheit gerichtet. Die Sterne funkelten hoch oben, doch sie wirkten so fern, als ob sie nichts mit dem Leben der Katzen hier unten zu tun hätten.

Als sie schließlich in den Bau der Jungen zurückkehrte, fand sie keinen Schlaf. Ihre Gedanken kreisten um Dornpelz' Worte, um den Krieg, der vielleicht bevorstand, und um die Zukunft, die sie sich nicht vorstellen konnte. War dies wirklich ihr Schicksal? Ein Leben, das immer im Schatten des Krieges stand?

Die Prophezeiung des BlutmondesWhere stories live. Discover now