Die Rückkehr ins Lager war wie ein Alptraum. Die Krieger des Schattensturm-Clans schlichen mit gesenkten Köpfen durch das Dickicht, während der Wind leise durch die Bäume rauschte. Es war ein trügerischer Frieden, der im krassen Kontrast zu dem stand, was sie gerade am Fluss erlebt hatten. Die Schlacht hatte einen hohen Preis gefordert. Und Finsterstern... Ihr Anführer war tot.
Nebelpfote humpelte hinter Dornpelz her, die Wunden an ihrer Flanke brannten, und ihr ganzer Körper fühlte sich schwer und erschöpft an. Jeder Schritt tat weh, aber der Schmerz in ihren Pfoten war nichts im Vergleich zu der Leere, die in ihrem Inneren wuchs. Sie hatte gesehen, wie Finsterstern gefallen war, hatte das Blut auf seinem Pelz gesehen und die panischen Rufe ihrer Clan-Gefährten gehört. Und doch war es nicht nur der Tod des Anführers, der sie quälte.
Aschenpfotes Gesicht tauchte immer wieder vor ihrem inneren Auge auf. Seine Augen, die sie so verwirrt angesehen hatten, die Frage in seiner Stimme, als er wissen wollte, warum sie ihm geholfen hatte. Sie hatte keine Antwort darauf. Sie wusste nur, dass sie ihn nicht hatte sterben sehen können – nicht dort, nicht so.
Im Lager angekommen, füllte sich die Lichtung schnell mit lautem Murmeln. Die Katzen, die zu Hause geblieben waren, traten näher, während die Krieger vom Schlachtfeld erzählten. Doch über allem lag ein bedrücktes Schweigen. Finstersterns Tod hing wie eine schwere Wolke über dem Clan.
Dunkelschweif, der Stellvertreter des Clans, trat mit steifen Bewegungen vor die versammelten Katzen. Sein Gesicht war reglos, die Augen schmal zusammengezogen. Er sprach mit kühler Entschlossenheit, doch seine Worte waren wie kaltes Eisen.
„Finsterstern ist gefallen," begann er, und seine Stimme hallte über den Lagerplatz. „Es ist ein schwerer Verlust, aber das bedeutet nicht, dass wir schwach sind. Ich werde bald zum Mondstein reisen, um die neun Leben des SternenClans zu empfangen und der neue Anführer des Schattensturm-Clans zu werden."
Ein unruhiges Murmeln ging durch die Reihen der Katzen. Nebelpfote sah zu Boden. Dunkelschweif war stark und ein gefürchteter Krieger, aber er war anders als Finsterstern. Wo Finsterstern manchmal nachgab und überlegte, hatte Dunkelschweif nur Härte gezeigt. Mit ihm als Anführer würde der Schattensturm-Clan den Weg der Rache weitergehen, ohne Rücksicht auf Verluste.
„Wir werden den Dämmerlicht-Clan bestrafen," fuhr Dunkelschweif fort, seine Augen funkelten vor Wut. „Sie werden für das bezahlen, was sie uns angetan haben. Dieser Krieg ist noch lange nicht vorbei."
Nebelpfote konnte den bitteren Geschmack der Worte fast auf ihrer Zunge spüren. Ein Teil von ihr wollte sich auf die Seite ihres Clans schlagen, wollte für Finsterstern kämpfen, für alles, was sie verloren hatten. Doch ein anderer Teil von ihr, tief in ihrem Inneren, weigerte sich, diese blutige Rache als die Lösung zu akzeptieren.
Als Dunkelschweif seine Rede beendete und die Katzen begannen, sich zu zerstreuen, zog Dornpelz Nebelpfote beiseite. „Du hast gut gekämpft," sagte er ernst, doch sein Blick war durchdringend. „Aber ich habe gesehen, wie du gezögert hast. Du hast einem Schüler des Dämmerlicht-Clans geholfen."
Nebelpfote erstarrte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie sah ihren Mentor an. Dornpelz wusste es. Natürlich hatte er es gesehen – er war in der Nähe gewesen. Doch warum hatte er nichts gesagt, als es geschah?
„Ich..." stammelte sie, unsicher, was sie sagen sollte. „Ich wollte nur verhindern, dass er stirbt."
Dornpelz schnaubte und trat einen Schritt näher, seine Augen hart und unerbittlich. „Das ist nicht deine Aufgabe, Nebelpfote. Du bist eine Schülerin des Schattensturm-Clans. Unsere Loyalität gehört dem Clan – und nur dem Clan. Wenn du zögerst, gefährdest du nicht nur dich selbst, sondern auch deine Gefährten."
Nebelpfote spürte den Druck dieser Worte in ihrer Brust. Dornpelz hatte recht. Sie hätte Aschenpfote nicht helfen dürfen. Und doch... sie konnte sich nicht vorstellen, ihn einfach sterben zu sehen. Nicht nach dem, was sie zwischen ihnen gespürt hatte.
„Es wird nicht wieder passieren," sagte sie schließlich und zwang sich, Dornpelz in die Augen zu sehen.
Dornpelz hielt ihren Blick für einen langen Moment, dann nickte er knapp. „Gut. Denn das nächste Mal könnte dein Zögern dein Tod sein."
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging, ließ Nebelpfote alleine mit ihren Gedanken zurück. Ihr Herz fühlte sich schwer an, während sie auf ihre Pfoten blickte. Sie wusste, dass sie ihren Clan nicht verraten durfte. Doch wie konnte sie den Clan und Aschenpfote gleichzeitig in ihrem Herzen tragen, ohne das eine für das andere zu opfern?
---
Die Tage nach der Schlacht vergingen schleppend. Nebelpfote versuchte, sich auf ihr Training zu konzentrieren, doch ihre Gedanken drifteten immer wieder zu Aschenpfote ab. Der Blick, den sie sich am Fluss geteilt hatten, verfolgte sie, und sie fragte sich immer wieder, ob er auch an sie dachte.
Eines Abends, als die Dämmerung über das Lager fiel, hielt Nebelpfote es nicht mehr aus. Sie musste ihn sehen. Ohne jemandem Bescheid zu geben, schlich sie sich aus dem Lager und lief zum Fluss. Ihr Herz raste bei jedem Schritt, doch der Gedanke an Aschenpfote trieb sie weiter.
Als sie den Fluss erreichte, wartete er bereits auf der anderen Seite. Sein graues Fell war im Mondlicht kaum zu erkennen, aber als er ihren Geruch wahrnahm, hob er den Kopf. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment schien die Welt stillzustehen.
„Du bist gekommen," sagte er leise und trat näher an das Ufer heran.
„Ja," flüsterte sie, während sie auf ihre Seite des Flusses trat. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie sicher war, Aschenpfote müsse es hören.
„Warum hast du mir geholfen?" fragte er, und seine Augen funkelten im Dunkel.
Nebelpfote öffnete den Mund, doch sie fand keine Worte. Wie konnte sie ihm erklären, was sie selbst nicht verstand? Sie wusste nur, dass sie ihn nicht verletzen konnte, dass sie etwas in ihm sah, das sie mit sich selbst verband. Eine Unsicherheit, ein Zweifel, der auch in ihrem eigenen Herzen lag.
„Ich weiß es nicht," gab sie schließlich zu. „Ich weiß nur, dass ich es nicht hätte tun dürfen. Aber ich konnte nicht anders."
Aschenpfote trat einen Schritt näher, sein Blick weich, aber ernst. „Ich denke, es gibt vieles, was wir nicht hätten tun dürfen," sagte er, „aber trotzdem tun wir es."
Nebelpfote spürte, wie ihre Kehle eng wurde. Die Spannung zwischen ihnen war greifbar, aber sie wusste, dass diese Gefühle sie beide zerstören konnten – wenn ihre Clans jemals davon erfuhren.
„Das hier... ist falsch," flüsterte sie, obwohl es ihr Herz zerriss, diese Worte auszusprechen.
„Vielleicht," sagte Aschenpfote leise und sah sie tief in die Augen. „Aber es fühlt sich richtig an."
YOU ARE READING
Die Prophezeiung des Blutmondes
FanficIn einem tiefen, dunklen Wald leben zwei Clans in ständiger Fehde: der Schattensturm-Clan und der Dämmerlicht-Clan. Eine alte Prophezeiung spricht vom Blutmond, der eines Tages aufsteigen und über das Schicksal der Katzen bestimmen wird. Als dieser...