1. Logbuch - Februar 2002

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Die Traum Seuche.

Genannt, Somnium Pestem.

Wenn man nicht weiß, was real ist, was imaginär. Die Realität verschmilzt mit den Vorstellungen und von Anfang an waren die Gedanken Teil dieser Welt. Eine Welt, die man nur mit den eigenen Augen wahrnimmt. Eine Welt, betrachtet von Kindesaugen, bestehend aus den eigenen Ängsten, Paranoia, eigener Furcht und jedoch Freude. Wenn Kinder mitansehen müssen, wie sich die Schatten in Formen verwandeln und sie mit undurchdringlichem Blick anschauen.

Man nennt dies auch, die Traum Seuche; Somnium Pestem.

Ich berichte von den Ereignissen, die mir während meiner Arbeitszeit, 2002, vorgefallen sind. Also, alles, das dieses Jahr geschehen werden sein wird.

Seit ich diese Klinik besaß, bemerke ich manchmal nicht, wie schnell die Zeit eigentlich vergeht. Von Morgen bis Mittag, von Nachmittag bis Abend. Sie vergeht wie im Flug. Die Kinder, die in dieser Klinik von nun an leben, können wahrscheinlich nicht einmal die Uhr lesen. Nun, ein paar von ihnen zumindest schon. Für sie sind nun mal die Dinge interessanter, die gerade vor ihren Augen abspielen.

Die Kinder dieser Klinik sind nicht normal. Sie wurden hergebracht und kehren auch nicht zurück. Sie wachsen damit auf, dass ihre Gedanken sich in die reale Welt einschleichen. Sie kommen als Schattenfiguren aus den dunklen Ecken, als Augen aus den Schlitzen im Boden, als glitzernde Feen aus dem Licht. Und für sie ist das nun ganz normal. Nun leben sie halt damit. Viel können sie in ihrem Leben dennoch nicht falsch machen. Nicht, wenn sie es zumindest bis zum zehnten oder elften Lebensjahr schaffen.

Sie können niemandem erzählen, was sie sehen mussten. Die meisten von ihnen sind stumm, oder haben Schwierigkeiten das Sprechen zu lernen. Wenige können magere Sätze. Und die Hauptkommunikationsquelle, die sie nutzen, waren Bilder. So können sie ihre Gefühle und „Freunde" einigermaßen ausdrücken.

Und genau diese Quelle nutze auch ich, um meinen Fortschritt der Untersuchung dieser Krankheit weiterzubringen. Mit diesen Bildern kann ich feststellen, was sich da in diesen Ecken verborgen hat, das immer neugierig gemustert werden muss. Bisher weiß ich nur, dass diese vielen Kinder, trotz diesen schlimmen Diagnostizierungen und Thesen, wenig Leid haben. Für sie zieht das alles an ihren Augen vorbei, wie ein Schnellzug auf Verspätung.

Viele. Nicht alle.

Selbst ich sehe an, wie manche sich verstecken und mit wässrigen, geweiteten Augen sich verkrochen und warteten. In der Hoffnung, dass die Monster sie nicht entdeckt haben. Sie drücken sich in die Ecke, machen sich klein. Man konnte erkennen, dass es die Monster sind, vor denen sie sich verstecken, wie ich sie da so sehe, mit diesen angstverzerrten Gesichtern.

Natürlich hat diese Klinik auch Mithelfer, so wie eine Kinderbetreuerin. Diese Betreuerin ist die liebherzigste Person dieser Welt, sie kann gut mit Kindern umgehen und ich denke sogar, sie versteht sie wörtlich besser als ich. Agnes, meine Ehefrau, ist immer glücklich, wenn sie sieht, dass die Kinder sie anlachen. Nun, meistens. Sie weiß gut, was die Kinder durchmachen müssen und will immer für sie da sein. Genau so will ich auch für sie sorgen. Ich glaube, sie mag diese Kinder noch mehr als ich es tue. Agnes hat auch das wundervolle Talent, Geschichten zu schreiben. Manchmal versucht sie auch den Kindern das Schreiben beizubringen. Selten gelingt es jedoch. Und wenn, dann schreiben sie nur wirre Buchstaben oder einzelne Wörter. Ich weiß zwar nicht wie, aber ich glaube ein Kind schaffte es bereits das Wort „zweihundertzweiundzwanzig" zu schreiben. Sie gibt sich sehr viel Mühe und ich bin ihr sehr dankbar dafür.

Heute, aus heiterem Himmel, die Türklingel bimmelt. Es ist jemand gekommen.

Es ist spät Abend, eine Uhrzeit, zu der man eher keine Gäste mehr erwarten würde. Also gehe ich im Halb-wach Zustand die Stufen hinunter, nachdem ich von dem hässlich verzerrten Klingelton aus dem Sekundenschlaf gerissen worden war. Ich öffne die Tür und von da an kann ich mich nur noch an ein paar Bruchstücke von Momenten erinnern. Ein einziger Satz; „Ja, wir werden ihn aufnehmen", hat vieles verändert. Zuerst wusste ich nicht, was diese Entscheidung für mich bedeutet. Und dies ist auch der Grund, wieso ich beschloss, anzufangen, dieses Logbuch zu schreiben.

Ein Junge. Klein, mager, mit verzotteltem, hellbraunem Haar das bis zum Kinn reicht. Versteckt hinter seiner auch nicht besser aussehenden Mutter - im Wohl-Zustand gemeint - steht er da und lurkt hervor. Sprechen kann er nicht, das hat sie mir erzählt. Seine Mutter weiß nicht mehr, was mit ihm zu tun ist. Und da sie hörte, dass hier eine Klinik ist, die darauf spezialisiert ist, wusste sie sofort, dass er hier besser aufgehoben wäre als in ihrem kleinen Zuhause. Er steht da, verborgen hinter seiner einzige, noch bleibende Pflegeperson. Ängstlich, aber auch mit etwas Neugier in seinen Augen zugleich.

„Ja, wir werden ihn aufnehmen"

Sein Name ist Espen. Auf der Liste eingetragen als „Nummer 074". Ohne Vater und jetzt auch Mutter. Ein„Traum Seuche" Patient, dieses Jahr aufgenommen worden.


A/N: Danke fürs Lesen, ich habe diese Story schon seit langem geplant und bin froh, dass ich mich endlich getraut habe sie hier hochzuladen. Lasst gerne eine Kritik da, ich würde mich über positive Kommentare sehr freuen. Wenn dieses Kapitel gut ankommt, werde ich vielleicht die Folgenden ebenfalls auf dieser Plattform hochladen.



Die Traum Seuche - Februar, 2002.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt