Kapitel 1 | Quer über den Atlantik

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POV Gekko

Die grüne Farbe prasselte in der weißen Badewanne ab und verlief, koordiniert wie ein Bach, direkt gen Abfluss. Bis plötzlich das Tropfen stoppte. „Ma! Das Wasser ist schon wieder aus!" ertönte es plötzlich im gelb-gefliesten Badezimmer. Wenig später drosselte wieder Wasser aus dem Duschkopf, welcher gerade das frisch grün gefärbte Haar ausspülte. Ein paar Minuten vergingen und durch den beschlagenen Badezimmerspiegel war ein junger Mann zu erkennen. Sein rasierter Kopf in einem grellen Grün, seine gebräunte Haut befleckt mit etlichen, kleinen Tattoos.

Das bin ich. Ich heiße Mateo Armendáriz De la Fuente... oder kurz einfach Gekko. Und wofür ich mir die Haare gerade gefärbt habe? Morgen war ein großer Tag für mich - der 4. September. Den meisten sagt dieser Tag nichts, Schüler vom Jungeninternat am Thunnersee wussten jedoch: einen Tag daraufhin beginnt ihr neues Schuljahr. Und seit ungefähr zwei Wochen und nach einigen Auseinandersetzungen mit meiner Mutter, kann ich mich selbst als einen dieser Schüler zählen.
Mit strengem Schritt betrat meine Mutter nun das Bad. „Mateo.. Hast du dir schon wieder die Haare gefärbt?! So kurz vor dem Internat. Du hättest doch einen guten Eindruck machen sollen!" maulte sie nun plötzlich. Leider war ich ihr Geschrei gewohnt. Zu Beginn fühlte es sich an, als würde ihre Stimme mich von allen Seiten erdrücken, mich zu dem formen, was sie sich sehnlichst in einem Sohn gewünscht hatte. Nach einiger Zeit und einigen Diskussionen, lernte ich jedoch, wie ich sie abwehren konnte - sture Ignoranz. Ihr keinen Augenschlag zu schenken, war das einfachste und gleichzeitig das effektivste Mittel. Also schlüpfte ich kurzerhand an ihr vorbei, direkt durch den hölzernen Türrahmen und ging durch den nächsten - in mein Zimmer. Meine zwei Koffer standen schon bereit.

Ich legte ein paar Sachen zusammen, welche ich in meinem Handgepäck - einem grün-lilafarbenen Rucksack - gut gebrauchen könnte. Eine Packung Erdnüsse, meinen Gameboy, meine Kopfhörer, ein Wechselshirt, zwei Wasserflaschen und einen Knetball.
Dann zog ich meine Kleidung aus, legte mich auf mein Bett und schaltete die LED-Lichter, welche in Purpur leuchteten, aus. An meine Mutter verschwendete ich keinen weiteren Gedanken. Sich gute Nacht zu sagen war in unserem Haushalt schon immer als eine fremde Tradition bekannt. Ich musterte stumm die Dunkelheit, bis ich, wie üblich, anfing die Umrandungen aller Möbel und Gegenstände zu erkennen. Heute war die letzte Nacht für die nächsten 4 Jahre, in der ich die Umrandungen meines Zimmers nachts erkennen könnte. Irgendwie bedrückte mich der Gedanke. Obwohl dieser Ort voller schlechter Erinnerungen besteht, möchte ich ihn nicht zurücklassen. Und meine Augenlider wurden immer schwerer und schwerer..

Ein lautes klirren erschütterte mich aus meinem ruhigen Schlaf. Ich krächzte genervt vor mich hin und stoppte den Wecker, welcher jeden Tag um dieselbe Zeit zu klingeln begann. Bloß heute nicht, heute war er 20 Minuten früher dran, da ich auch 20 Minuten eher gehen muss.
Ich griff nach meinem Wasser, welches direkt auf meinem Nachttisch ruhte, trank ein paar Schlücke und blickte mit geschwollenen, leicht tränenden Augen in meinem Zimmer umher. Jetzt erkannte ich es in voller Gänze. Und so würde ich es jetzt auch hinterlassen. Langsam machte ich mich aus meinem Bett, lief zu meinem hölzernen Kleiderschrank und blickte hinein. Jedes Mal quietschte die Tür auf rein und dieselbe Art. Auch das werde ich die nächsten 4 Jahre nicht mehr hören. Zumindest hoffe ich das. Ich griff nach einem grünen Shirt und einer lilafarbenen, ärmellose Wollweste, welche ich darüber zog. Dann schlüpfte ich in eine dunkelbraune, recht weite Hose.

Ich brachte mein ganzes Gepäck herunter in den Flur und blickte meine Mutter bloß kurz stumm an. Ihre Augen sahen gläsern aus. Wie, als würde sie Reue oder Schuld empfinden. Ich schluckte mein mulmiges Gefühl bloß herunter und sagte nichts zu ihrem Ausdruck. „Morgen Ma." drückte ich nur kurz heraus. Dann holte ich noch den Reisekasten für Tiere heraus. Denn mein treuester Begleiter - Wingman - durfte natürlich nicht fehlen. Ohne ihn fiel mir sogar die Schule hier in Los Angeles schwer. Ich öffnete den Käfig, winkte Wingman her und ließ ihn Platz nehmen in seinem kleinen Zimmer - zumindest rede ich mir immer ein, dass es sein Zimmer ist, damit er mir nicht so leid tut. Bevor ich den Käfig schloss, schlenderte ich noch kurz ins Bad, putzte meine Zähne zu genüge, wusch mein Gesicht und kämmte noch meinen Buzzcut. Ja, obwohl mein Haar maximal einen Zentimeter lang war, könnte es zerzaust aussehen. Dann kam ich zurück in den Flur, schloss nun Wingmans Käfig und blickte meiner Mutter in die Augen. Die Falten bei ihren Augen glänzten leicht, was bedeutete, dass sie geweint haben muss. Mit einem lauten Seufzer umarmte ich sie fest, schloss die Augen und hielt diesen Moment inne. „Mach's gut, Mateo.." brachte sie mit zittriger Stimme heraus. „Wir sehen uns Ma.. hab dich lieb." murmelte ich daraufhin, überraschend emotional.

Schnell verließ ich das Haus und lief den Weg zum Bahnhof ab. Glücklicherweise war dieser bloß fünf Minuten Fußweg entfernt. Aber diesen Weg täglich abzulaufen, hielt mich nicht davon ab, die Szenerie hier in Los Angeles auch heute noch zu genießen. Jedes Mal entdeckte man ein neues Kunstwerk, welches mit Graffiti an einer Backsteinmauer verewigt wurde.
Am Gleis angekommen, blickte ich auf den blau-gelben Zug. Er stand bereit und war für eine Abfahrt in vier Minuten vorgesehen. Ich schluckte schwer auf den Knopf der Zugtür, nach ein paar mal schrillem piepsen, öffnete sich diese dann. Ich griff nach meinem Gepäck, betrat den Zug und blickte nochmal zurück, durchs Türfenster. Hier beginnt also meine Reise quer über den Atlantik.. „Lebe wohl, Mama.." murmelte ich mit gläsernen Augen vor mich hin.

Der Pfau inmitten einer Taubenscharr | IsekkoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt