Der schottische Septemberwind war kühl und scharf, und er schob mir das Haar unbarmherzig ins Gesicht, während wir uns auf den Weg zu den Kutschen machten. Es war ein Abend wie jeder andere und doch spürte ich, dass etwas in der Luft lag, eine stille, fast greifbare Vorsicht. Die Sonne war bereits hinter den Hügeln verschwunden, und das letzte Licht des Tages hatte sich in ein zartes Blau getaucht, das sich auf das Schloss und die Umgebung legte. Die Schatten waren lang und dicht, und die Thestrale standen dort, still wie die Nacht in einer Reihe vor den Kutschen.
Majestätische Wesen, düster und geheimnisvoll, wie Geister aus einer anderen Welt. Nur wenige konnten sie sehen. Nur jene, die den Tod mit eigenen Augen gesehen hatten. Sie wirkten wie Geschöpfe, die aus Knochen und Schatten geboren worden waren. Ihre langen, knochigen Glieder endeten in Hufen, ihre Flügel sahen aus wie die von Drachen, gedehnt über ein Netz aus Sehnen, und ihre leeren Augen blickten, ohne wirklich zu sehen. Für die meisten waren sie unsichtbar, bloße Luft, aber für mich waren sie real und lebendig, mit einer Schönheit, die man erst verstand, wenn man genau hinsah.
Ich konnte nicht anders, musste stehen bleiben. Während unsere Gruppe weiterging und bereits in die Kutsche stieg, blieb ich wie verzaubert vor einem der Thestrale stehen. Langsam stellte ich meinen Koffer auf den schlammigen Boden und hob die Hand, ganz sachte, als würde eine zu schnelle Bewegung sie aufscheuchen. Meine Fingerspitzen berührten das kühle Leder ihrer Nüstern, und das Geschöpf zuckte leicht, senkte dann aber sanft den Kopf und ließ die Berührung zu. Es war ein Moment, ein Atemzug – dieser Anflug von Verbindung mit einem Wesen, das die Welt so anders sah.
„Ruby, kommst du endlich?" Harrys Stimme riss mich aus dem Moment, genervt und kurz angebunden. Ich rollte mit den Augen. Natürlich. Die „kleine Schwester", die bei allem trödeln musste. Doch in diesem Augenblick scherte mich seine Ungeduld wenig. Der Thestral bewegte seine Flügel sachte, ließ einen leichten Windstoß entstehen und schnaubte leise, als ich ihm ein Lächeln schenkte.
„Komme ja schon!" seufzte ich und packte meinen Koffer, bevor ich in die Kutsche kletterte, die bereits loszuruckeln begann. Kaum hatte ich mich auf den Sitz gegenüber von Ron fallen lassen, fiel mir auf, wie blass er um die Nase war.„Was ist denn mit ihm los?" fragte ich und zog die Augenbrauen hoch. „Hat ihn ein Frosch angegriffen?" Ginny prustete los, und Hermine konnte sich ein leises Kichern ebenfalls nicht verkneifen.
„Sehr witzig, wirklich." sagte Ron genervt und warf mir einen missmutigen Blick zu. „Aber nein, kein Frosch." Er drehte sich demonstrativ zu Harry, der nur mit den Schultern zuckte, als wäre er an allem schuld.
„Ich hab ihm nur erzählt, dass wir uns dieses Jahr in Verteidigung gegen die dunklen Künste unseren größten Ängsten stellen müssen." erklärte Harry mit einem kaum sichtbaren Grinsen. „Und irgendwie... hat ihn das wohl getroffen."
„Oh, ist das so?" Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Das sagen sie doch jedes Jahr. ‚Stellt euch eurer Angst!' blablabla. Und? Ist jemals wirklich was Schlimmes passiert?"
Ron schnaubte und verschränkte die Arme.
„Ich finde das gar nicht witzig. Vielleicht hast du einfach noch nie was wirklich Gruseliges erlebt."
Ginny warf mir einen vielsagenden Blick zu.
„Na gut, Ron. Wovor hast du denn Angst? Frösche? Oh, bitte, lasst 100 Frösche aus dem Schrank hüpfen!" Sie verdrehte dramatisch die Augen, und die gesamte Kutsche begann zu lachen, selbst Hermine, die sonst nicht viel für Albernheiten übrig hatte.„Ha-ha." Ron zog eine Schnute und stieß Ginny mit dem Ellenbogen in die Seite, was ihr nur noch mehr Anlass gab, laut zu kichern.
„Sehr lustig. Ihr werdet schon sehen! Die haben bestimmt irgendwas richtig Gruseliges vorbereitet. Und dann seid ihr froh, dass ihr vorgewarnt wurdet." Er hob das Kinn und versuchte, entschlossen auszusehen, aber die Blässe auf seinem Gesicht verriet ihn weiterhin.„Klar, Ron." Ich schüttelte den Kopf und zog meinen Schal enger um meinen Hals. Die Kälte zog durch die Kutsche, und der Wind klopfte an die kleinen Fenster, während wir durch die dunklen Wege in Richtung Schloss fuhren. Der Herbst hatte Schottland fest im Griff, und die Dämmerung um uns herum machte die Stimmung nur noch geheimnisvoller. Ich sah hinüber zu Harry, der aus dem Fenster starrte, verloren in seinen Gedanken. Irgendetwas beschäftigte ihn, das konnte ich fühlen.
Wir waren Zwillinge. Irgendwie wusste ich immer, wie es Harry ging, selbst wenn er es vor allen anderen versteckte oder weit weg von mir war. Es war eine Art unsichtbares Band zwischen uns, das keiner so richtig verstand. Die meisten würden es als Unsinn abtun, aber Fred und George hatten es ebenfalls bestätigt. „Zwillinge haben ihren eigenen Funk", pflegten sie zu sagen – und auch wenn sie immer einen Scherz daraus machten, war doch etwas Wahres dran.
Die anderen diskutierten weiter über das Thema „sich seinen Ängsten stellen". Ron schwadronierte mit voller Überzeugung, dass er diesmal alle überraschen würde, während Ginny mit einem schiefen Grinsen nur halb hinhörte. Aber ich driftete ab, mein Blick glitt ebenfalls zum Fenster hinaus. Der Wald draußen war von dichten Nebelschwaden bedeckt, die sich wie ein silberner Teppich über den Boden legten. Ein Anblick, der beinahe friedlich wirkte – aber er erinnerte mich auch an die frostige Kälte, die damals mit den Dementoren kam. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, und ich war froh, dass dieser Nebel nur das Werk der Natur war.
Plötzlich durchbrach ein Ruckeln meine Gedanken, als die Kutsche langsam abbremste und wir das große, eiserne Tor von Hogwarts passierten. Der vertraute Klang von Koffern, die über den Kies gezogen wurden, drang gedämpft zu uns herein. Die anderen verstummten, und ein eigenartiger Friede breitete sich in der Kutsche aus. Ein letztes Zucken, und die Tür sprang auf. Der Abendwind blies uns kühl entgegen, während wir einer nach dem anderen ausstiegen.
Bevor ich Ginny folgte, drehte ich mich kurz zu dem Thestral um, der den Kopf leicht gesenkt hatte, als ob er auf einen Abschiedsgruß wartete. Ich zwinkerte ihm zu, und er schnaubte leise, als ob er das Zwinkern erwidern wollte. Es waren genau diese kleinen Momente, die den Beginn eines neuen Schuljahres immer so magisch machten.
Als wir alle nebeneinander den Weg zum Schloss hinaufgingen, griff ich nach Ginnys Hand und drückte sie fest. „Bereit für unser vorletztes Jahr?" fragte ich, und in meiner Stimme schwang eine Mischung aus Aufregung und Melancholie mit. Es war kaum zu fassen, wie schnell die Zeit verging.
Ginny schenkte mir ein breites Lächeln und nickte, die Augen leuchteten im Halbdunkel. „Und wie. Nur noch dieses und nächstes Jahr... Also sollten wir besser jeden Moment genießen."
„Genau", murmelte Harry hinter uns und legte eine Hand auf meine Schulter. „Einfach alles rausholen, bevor das hier vorbei ist."
„Hast du etwa was vor, von dem wir nichts wissen, Harry?" neckte ihn Hermine mit einem aufblitzenden Grinsen. „So klang das nämlich."
„Nichts Bestimmtes", antwortete er nur, zuckte mit den Schultern und warf Ginny einen Blick zu.
Oh mann. Ich schüttelte grinsend den Kopf.Zusammen gingen wir in die große Eingangshalle. Der Raum war erfüllt von den Stimmen der anderen Schüler, die sich fröhlich unterhielten, und dem Duft von frischem, geschliffenem Stein und Kerzenwachs. Die lange Sommerpause war vorbei, und wie jedes Jahr fühlte es sich fast surreal an, wieder hier zu sein. Als wir uns der Menge anschlossen und auf den Versammlungsraum zusteuerten, durchlief mich ein warmes Gefühl. Ja, alles begann wieder von vorn – und dieses Mal würde ich alles noch mehr schätzen.
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The Forbidden Bloodline
FanfictionRuby Lilly Potter hat sich daran gewöhnt, im Schatten ihres berühmten Zwillingsbruders zu stehen. Doch als Mattheo Riddle, Sohn des Dunklen Lords, zu Beginn ihres 6. Schuljahres in Hogwarts auftaucht, gerät alles aus den Fugen. Seine Präsenz weckt n...