Prolog

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Nates Fingerknöchel standen weiß hervor. Die Nacht war kühl. Eigentlich nichts Besonderes für Ende Januar, schon gar nicht in Seattle. Doch irgendetwas war anders. Es war einer dieser Nächte, die einen als kleines Kind unter die Bettdecke getrieben hatte, die einen den glauben an Monster geschenkt hatte. Doch Nate bekam von all dem nichts mit. Alles drehte sich, als säße er in einem Karussell, das kein Ende kannte. Hatte er vielleicht doch zu viel getrunken? Nein, es waren doch nur zwei...drei...Ach er konnte sich nicht mehr erinnern. Ehrlich gesagt, war es ihm auch egal. Unter seinen Händen spürte Nate die Rostschicht, die mit jedem Gewitter über die Jahre dicker geworden war. Wie Schmirgelpapier strich der Rost über Nates Handflächen, bei jedem Zug den er auf der Leiter machte. Zerkratzte etwa seine Haut? Wehe. Dann würde er die Bahngesellschaft verklagen! Obwohl das ging ja nicht...Schließlich war Nate illegal mit seinen Freunden auf dem Abstellgelände des Bahnhofs. Die Polizei würde wahrscheinlich mehr interessieren was sie hier machten und wie sie hier reinkamen, als seine Kratzer. Scheiß Rechtssystem! Vorsichtig löste Nate eine seiner Hände aus der Starre, mit der er die klapprige Leiter umklammert hatte. Seine Finger waren rot und brannten vor Kälte. Tatsächlich! Da! Auf der linken Hand, ganz klein und fein: Eine Schrame. ,,Ey Nate! Was hast du da eigentlich vor?", schrie ein Mann, der etwas abseits in einer Gruppe mit vier anderen Männern stand. Er war vielleicht Mitte 20, seine Wangen waren gerötet. Wahrscheinlich die Kälte und der Alkohol, der heute Abend -und zwar nicht zu knapp- geflossen war. ,,Titanic 2.0 drehen. Einer von euch muss noch mit auf den Wagon, schließlich brauche ich noch 'ne Rose.'' Nur noch eine Stufe fehlte, dann stünde Nate auf dem Dach des Güterwagons. ,,Ne, ne Nati komm da mal lieber wieder runter. Da ist so 'nen komisches Schild!'', brüllte der Mann. Seine Hand zeigte auf ein gelbes Schild, das an einem der Wagons befestigt war. In der Dunkelheit erkannte man nicht viel. Ein einziges Wort blitze unter der Schicht Dreck hervor. ,,Hochspannung!'' Es war das Letzte, was Nate lesen konnte. Die Zahnräder in seinem Kopf setzten sich in Gang und dann machte es Klick. Dieses Klick brachte die Erkenntnis mit sich, was das Wort Hochspannung mit den Wagons verbannt. Es war keine schöne Erleuchtung. Nein, es war das Wissen, dass er sofort hier runter musste. Doch es war zu spät. Nate stand auf dem Zug. Jede seiner Muskeln angespannt. Er versuchte ein letztes Mal das Leben zu spüren. Laut klopft Nates Herz gegen sein Brustbein wie eine tickende Zeitbombe die ihn und alles in seiner Umgebung auslöschen würde. Die Hitze breitete sich in Nates Körper aus. Eine bedrohliche Hitze, die aus purer Angst bestand. Dann wurde alles hell. Grelle Blitze durchzuckten Nates Körper. Er schrie auf. Es waren Schmerzen als würden 1.000.000 Wespen gleichzeitig zustechen. Die Stacheln bohrten sich in seine Haut. In jeden Muskel. In jedes Organ. In jeden Knochen. Plötzlich wurde alles dunkel. Die Finsternis war wieder zurückgekehrt. Alles war still. Nur der Schrei, der einen das Blut in den Adern gefrieren ließ, hallte weiter über das Bahngelände.

Don't touch my soul with dirty handsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt