𝟎𝟐

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       Baku, Azerbaycan
                               11 Jahre später

𝙎𝙚𝙫𝙙𝙖 𝘼ğ𝙖𝙮𝙚𝙫𝙖
Der Wind weht durch meine Haare, die ich versuche, mit einem schwarzen Kopftuch zu bedecken. Ich bin wieder hier, in meiner Heimat, bei ihr. Endlich bin ich wieder hier und kann mit ihr sprechen. Auch wenn die Gespräche immer nur einseitig sind, fühlt es sich an, als wäre sie bei mir und würde mir zuhören. Ich konnte nie abschließen, nie. Könnte ich es? Ich träume bis heute noch von ihr. Ich höre bis heute noch die Schreie. Wieso ausgerechnet meine Schwester?

Nachdem ich das Tor aufgeschlossen und überquert habe, mache ich mich auf den Weg zu den Gräbern, zu ihrem Grab. Es ist gepflegt, und auf dem Grab liegen rote, frische Rosen, wie jedes Jahr. Und wieder mal nicht von mir. Ich habe oft mit dem Gedanken gespielt, ob es von ihm ist, ob Alban sich die Mühe gibt und diese roten Rosen jedes Jahr auf ihr Grab legt. Aber nein, niemals. Er hat uns alle doch schon längst vergessen. Ich mein, er hat sich 11 Jahre nie blicken lassen. Er war wie vom Erdboden verschluckt. 11 Jahre habe ich seine blau-grünen Augen nicht gesehen, und ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt sehen will. Er hat mich verlassen, als ich ihn am meisten gebraucht habe. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, eine Nummer zu hinterlassen.

„Arzum", flüstere ich leise. „Ich hab es geschafft", murmle ich. „Ich habe deinen Wunsch in Erfüllung gehen lassen. Ich habe ein azerbaijanisches Café eröffnet, mit Büchern und Blumen, alles traditionell, so wie du es dir immer gewünscht hast", erzähle ich mit Freudentränen. Irgendwie fühle ich mich näher zu Arzu als sonst. Ich erinnere mich, wie wir zusammen zu Cafés gingen und sie immer gemeckert hat, dass es nirgendwo azerbaijanische Restaurants oder Cafés gibt. Und jetzt kann ich mit Stolz sagen, dass mein Café seit 2 Jahren läuft.

Es vergingen ein paar Stunden voller Tränen, Tränen, die meiner Schwester gebührten. Bevor ich mich auf den Weg zum Auto mache, bete ich noch ein letztes Gebet. Ich lese die Sure Al-Fatiha. Die Verse kommen flüsternd von meinen Lippen. „Amin", flüstere ich leise vor mich hin. Als ich das Gebet beende, denke ich ein letztes Mal an meine Schwester. Doch ein plötzliches Rascheln reißt mich aus meinem Meer voller Gedanken, voller Momente, die jetzt in Erinnerungen verblassen.

Als ich mich erschrocken umdrehe, sehe ich niemanden, aber ich könnte schwören, eine Schattensilhouette gesehen zu haben. „Kimse burda di?" rufe ich sanft in meiner Muttersprache. Doch mein sanfter Ruf verblasst in der Luft. Ich denke mir nichts dabei und laufe mit einem letzten Blick auf ihr Grab los. Ich mache mich auf den Weg zum Parkplatz zu meinem Mercedes, eine Mercedes G-Klasse, so wie es Arzu immer wollte.

Als ich am Auto ankomme, schließe ich es auf und setze mich rein. Das erste, was ich mache, ist, meine Musik-Playlist anzumachen. So hat es Arzu auch früher gemacht. Das erste war immer die Musik anzumachen. Und so, wie es das Schicksal wollte, geht genau diese Melodie an – unsere Melodie. Gülümse von Toygar Işıklı ertönt aus den Boxen, und ich verschwimme in Nostalgie. Ich werde in die Momente mit Alban zurückkatapultiert, da, wo alles noch gut war, als er noch da war, als wir noch da waren.

„Sevda, deine Augen funkeln wie die Sterne. Wenn du lächelst,hört die Welt auf, sich zu drehen.Deine Augen strahlen wie ein Nachthimmel"

Alban weißt du, an was du mich erinnerst?"

Nö, an was denn?"

„An das Paradies, weil du voller Frieden bist."

Ein Lächeln beschmückt mein Gesicht, ein Lächeln, das er nicht sieht, ein Lächeln, das ihm gebührt.

𝘼𝙡𝙗𝙖𝙣 𝙂𝙖𝙨𝙝𝙞
Sie sitzt wieder, wie jedes Jahr, auf dieser Bank. Sie sitzt vor dem Grab von Arzu, bestimmt fragt sie sich wieder, wie jedes Jahr, wer diese Rosen dahingestellt hat. Ob sie darauf kommt, dass ich es bin? Ich mein, sie weiß, dass ich auch Arzu mochte, sie war wie eine große Schwester für mich. Arian hat sie geliebt. Jeden Tag brachte er ihr selbstgepflückte, rote, frische Rosen aus unserem Garten, die er selbst eingepflanzt hatte, weil sie rote Rosen so sehr liebte. Er hat jedes Mal gesagt: „Eine schöne Rose für meine Rose." Ein Lächeln überkommt mich. Ach, wie unser Leben wohl wäre, wenn dieser Unfall nicht passiert wäre, wenn ich und Sevda noch wie früher wären.

Bevor ich weiter in Gedanken versinke, spüre ich etwas Kitzliges auf meiner Nase. Verdammt, von wo kommt plötzlich dieser Schmetterling? Als ich versuche, ihn zu verscheuchen, fliege ich fast hin, aber halte mich rechtzeitig an dem Gebüsch fest. Verdammt, bevor Sevda mich sehen kann, bücke ich mich schnell. Als ich zu ihr schaue, sehe ich, wie sie in alle Richtungen schaut.

Kimse burda di?", ruft sie sanft. Na klar, wie in diesen Horrorfilmen, immer fragen, ob jemand da ist. Ach, Sevda, du hast dich kein Stück geändert. Meine Mundwinkel zucken. Bevor noch ein Schmetterling mich attackieren kann, bedecke ich meine Nase und sehe Sevda dabei zu, wie sie Arzus Grab verlässt.

Mit langsamen Schritten gehe ich auf Arzus Grab zu, hebe meine Hände und spreche ein Gebet aus. Mit „Amin" beende ich es. „Arzu, ich werde so gut es geht auf Sevda aufpassen, aber nur, wenn du auch auf Arian dort oben aufpasst. Versprochen", flüstere ich, als ob sie mir antworten würde. Eine letzte Rose lege ich auf ihr Grab und mache mich auf den Weg zum Parkplatz.

Meine Ohren nehmen eine Melodie wahr – unsere Melodie. Ich sehe Sevda, wie sie ihre Augen schließt und in diesem nostalgischen Moment versinkt, genauso wie ich. Eine kleine Träne findet ihren Platz auf meiner Wange. Als ich meine Augen öffne, kann ich erkennen, wie Sevda mit ihrer flachen Hand über ihre Wange wischt. Sie hat auch geweint.

Unsere Seelen weinen,weil unsere Momente in Erinnerungen verblassen.

Unsere Seelen weinen,weil unsere Momente in Erinnerungen verblassen

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-𝐀.🌺
Ramadan Mubarak meine Geschwister inshallah wird sowohl euer fasten als auch eure Gebete angenommen🫶

 𝐖𝐞𝐧𝐧 𝐝𝐢𝐞 𝐒𝐞𝐞𝐥𝐞𝐧 𝐯𝐞𝐫𝐛𝐮𝐧𝐝𝐞𝐧 𝐬𝐢𝐧𝐝Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt