Ich stapfte durch den hohen Schnee. Mir war kalt im Gesicht, doch unter den schweren Winterstiefeln, der warmen Schneehose und der dicken Jacke schwitzte ich. Die Schneekristalle glitzerten sehr schön auf meinen langen Haaren.
Endlich sah ich das Haus, wo ich hin wollte. Es war von außen mit Weihnachtsdeko dekoriert. Klar, vor drei Tagen war ja Weihnachten gewesen. Meine Freundin Emily wohnte in diesem Haus mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester im dritten Stock.
Am Haus angekommen, öffnete ich die Haustür, die, wie immer, nicht verschlossen war. Ich rief den Aufzug und beobachtete, während ich wartete, ein Mädchen und einen Jungen, die ungefähr in unserem Alter waren, wie sie auf einer Bank saßen und sich küssten. Niemand interessierte sich dafür. Niemand sah sie an. Ich erinnerte mich daran, wie Emily mich mal in der U-Bahn geküsst hatte. Alle Leute aus der U-Bahn haben uns angeschaut. Wirklich alle. Als wären zwei Mädchen, die sich küssen die größte Attraktion der ganzen Stadt.
Ich seufzte und trat in den Aufzug, dessen Türe sich gerade öffnete. Im dritten Stock angekommen, zog ich meine Handschuhe aus und klingelte.
Emily öffnete mir. Sie sah sehr verzweifelt aus. Was war nur passiert? Bevor ich etwas sagen konnte, fragte sie mich, ob wir raus gehen könnten. Ich hatte keine Lust, wieder in der Kälte zu sein, deswegen fragte ich: „Können wir nicht hier bleiben?" Emily schüttelte den Kopf. Also stimmte ich zu.
Emily wirkte so niedergeschlagen, dass ich selber ganz traurig wurde. Schweigend zog sie ihre Schneehose, ihre Jacke, ihre Schuhe und ihre Mütze an. Dann zog sie die Türe zu und drückte auf den Aufzug Knopf. Die Aufzugtüre öffnete sich sofort. Wir gingen schweigend hinein.
Auf der Fahrt nach unten, zogen wir beide unsere Handschuhe an. Dann nahm ich sie in den Arm und fragte: „Was ist los?", doch meine Freundin schüttelte nur erneut den Kopf. Ich war verunsichert, was ich jetzt tun sollte, also sagte ich nichts.
Als wir unten ankamen, folgte ich ihr aus dem Haus. Ich wusste, wo sie hinwollte: Am Ende der Straße war ein kaputter unbenutzter Schuppen. Er stand im Hinterhof von dem Haus, wo ich gewohnt hatte bis ich 14 war. Damals hatte ich Emily schon gekannt und wir haben uns gerne in diesem Schuppen aufgehalten. Nachdem meine Familie eine eigene Wohnung gekauft hatte, waren wir in ein anderes Stadtteil gezogen, doch ich hatte Emily viel besucht und wir sind trotzdem noch oft in diesen Schuppen gegangen. Er war unser Lieblingsort geworden.
Wir gelangten durch einen schmalen Durchgang in den Hinterhof und liefen auf den Schuppen zu. Emily schob den Riegel auf und wir gingen hinein. Drinnen war alles schneebedeckt, denn das Dach war mal kaputt gegangen und nie repariert worden. Wie gesagt, der Schuppen wurde nicht mehr genutzt. An den Seiten stapelten sich Holzkisten mit unbrauchbarem Inhalt.
Ich schob den Schnee von einer großen Kisten und setzte mich darauf. Es war die einzige Kiste, die dazu stabil genug aussah.
Emily setzte sich neben mich. Sie ließ ihren Kopf hängen und sah betrübt zu Boden. Ich rückte ein Stück näher zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schulter. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und fragte sie: „Magst du mir erzählen, was los ist?" Ich sah Emily an, dass sie stark mit dem kämpfte, was sie mir sagen wollten. Ich bekam Angst. Es schien etwas sehr schlimmes passiert zu sein. Wollte sie sich etwa von mir trennen? Ängstlich angespannt wartete ich darauf, dass sie etwas sagte.
Irgendwann flüsterte sie: „Wir ziehen um." Nein! Nein, das durfte nicht wahr sein! Emily fügte hinzu: „Wir ziehen zu meinen Großeltern." Meine ganze Welt brach zusammen. Emilys Großeltern wohnten weit entfernt von hier auf dem Land.
Ich wollte irgendetwas sagen. Dass wir uns ja immer noch besuchen konnten. Dass wir telefonieren konnten. Dass wir uns schreiben konnten. Dass der Umzug nicht das Ende unserer Beziehung bedeuten würde. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich hatte zu viel Angst. Angst um Emily, Angst um unsere Beziehung und auch Angst um mich.
Emily rückte ganz nah zu mir und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich lehnte meinen Kopf gegen ihren Kopf.
Wir saßen nebeneinander, wir sagten nichts.
Wir starrten in den Himmel und sahen den Schneeflocken zu, wie sie vom Himmel fielen und hofften, dass wir für immer zusammen bleiben würden.
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Kalte Zukunft (Abgabe für den Winteraward)
Historia CortaDies ist meine Abgabe für den Winteraward von @-smilehappy-