S i e b e n u n d d r e i ß i g

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Wir schlendern am Ufer der Isar entlang. Es ist eine sternenklare Oktobernacht, die Lichter der Stadt tanzen auf dem Wasser, das leise ans Ufer schwappt. Schon wieder streiche ich mir eine widerspenstige Strähne hinters Ohr, die der Wind immer wieder löst. Da greift Sebastián nach meiner Hand, und als sich unsere Finger fast wie selbstverständlich verschränken, spüre ich ein warmes Kribbeln.

Als wir eine kleine Aussichtsplattform erreichen, bleibt Sebastián stehen und lehnt sich ans Geländer. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet, der Wind streicht durch seine dunklen Locken, ein zufriedenes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Ein Anblick, der mir den Atem raubt. Mit meiner unsichtbaren Kamera schieße ich ein Foto. Will diesen Moment festhalten. Trotzdem ist mir die Vergänglichkeit in diesem Augenblick fast schon schmerzlich bewusst. 

Ohne ein Wort lehne ich mich neben ihn, unsere Ellbogen berühren sich leicht. Dann durchbricht er die Stille. 

„Weißt du", beginnt er leise, fast nachdenklich, „vor ein paar Monaten dachte ich wirklich, ich könnte niemanden mehr so nah an mich heranlassen."

Unwillkürlich schnappe ich nach Luft. Es ist nicht nur seine Ehrlichkeit, die mich berührt – in der Luft liegt plötzlich eine Spannung, die meine Haut prickeln lässt. Noch bevor ich richtig darüber nachdenken kann, bevor meine Vernunft mich bremsen und meine Unsicherheit die Oberhand gewinnen kann, beuge ich mich vor, überbrücke die letzten Zentimeter zwischen uns – und küsse ihn.

Für einen Moment zögert er. Ein kurzes Innehalten. Ich erstarre, will mich gerade zurückziehen, mich bei ihm entschuldigen. Da spüre ich, wie er mich näher an sich zieht. Seine Lippen öffnen sich, der Kuss wird leidenschaftlicher, intensiver. Mein Herz klopft wild. Ich vergrabe meine Hand in seinen Locken, verliere mich in seinem Duft, in der Wärme seiner Haut, spüre das Ziehen, das immer stärker wird. Ich brenne. Will mehr.

„Oh, Steffi", murmelt er an meine Wange, seine Stimme rau vor Verlangen.

Als hätte jemand eiskaltes Wasser über mich geschüttet, erstarre ich.

Da bemerkt auch er seinen Fehler. Ruckartig löst sich Sebastián von mir, schwer atmend fährt er sich durchs Haar. „Scheiße, Lena, das war... das war ..."

Steffi.

Er hat mich beim Namen seiner Ex genannt – seiner Ex-Verlobten. Die Leidenschaft, die mich gerade noch mit sich gerissen hat, ist wie weggeblasen, zurück bleibt nur das Gefühl, als würden alle im Raum über einen Witz lachen, nur ich war nicht eingeweiht. Tja, dachtest du wirklich, er hätte ernsthaft Interesse an dir? Was bin ich für ihn? Eine Art Lückenbüßerin? Mein Gesicht brennt. Brennt und brennt und brennt.

Sebastiáns Blick wird weich. „Es tut mir so leid–", er unterbricht sich, seine Augen suchen verzweifelt meinen Blick. „Ich mag dich, Lena. Sehr sogar. Aber ich... ich muss ehrlich zu dir sein." Ein unangenehmes Ziehen breitet sich in meiner Magengrube aus. Das klingt verdächtig nach Schluss machen – dabei sind wird nicht einmal zusammen. 

„Steffi und ich, das... das war einmal alles für mich." Er seufzt tief, sein Blick schweift auf die glänzende Wasseroberfläche, die vom Wind aufgeraut wird. „Ich habe lange geglaubt, sie wäre die Eine für mich." Die Eine. Ich schlucke schwer. Ein Stich.

„Ich lag falsch." Sein Lachen ist bitter, schmerzhaft. „Dann bist du aufgetaucht, und ich habe versucht, mir einzureden, dass ich bereit bin – dass ich bereit bin für... für dich."

Schmerz und Bedauern liegen in seinem Blick. „Vielleicht war es zu früh. Vielleicht hätte ich mir mehr Zeit lassen sollen. Aber ich will dich wirklich kennenlernen, Lena. Und ich weiß, es ist nicht fair von mir, dich um eine zweite Chance zu bitten. Aber ich..." Seine Stimme ist leise, fast unsicher. „Mit dir fühlt sich alles so echt an. Vielleicht klingt das blöd, aber... ich will sehen, was wir daraus machen können."

Mein Herz zieht sich zusammen. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist – ich weiß nur, dass ich in diesem Moment nicht davonlaufen will. Nicht, bevor das mit uns überhaupt richtig anfangen konnte. Schweigend schauen wir uns an, ich blicke ihm fest in seine kastanienbraunen Augen. 

„Also gut," sage ich schließlich, und meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Aber in unserem Tempo. Ohne Druck."

Ein schwaches, erleichtertes Lächeln liegt auf seinen Lippen, er drückt sanft meine Hand.

Eine Weile stehen wir einfach nur da, der kalte Wind streicht um mein Haar, und ich spüre, wie mein Herzschlag sich allmählich beruhigt. Trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack. Eine leise Stimme, die fragt: Reicht dir das wirklich? 

Sie wird leiser, als mich Sebastián sanft in seine Arme zieht, sein Kinn ruht an meiner Stirn. Ich schließe die Augen, sauge tief seinen Geruch – nach Vanille und Sandelholz – ein, lasse den Moment zu. Auch wenn sich mein Herz nicht ganz so leicht anfühlt wie zuvor.

Between HeartbeatsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt