t - 24h 32min

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08:29 Uhr

Sofia


Ich wusste nicht genau was es war, aber irgendetwas an dem Chaos um mich herum war auf eine seltsame Weise beruhigend.

Die Koffer auf Rollen, die hektisch über den gefliesten Boden gezogen wurden und bei jeder Berührung mit einer Spalte zwischen den Fließen ein klickendes Geräusch erzeugten, das von den tausenden Koffern der tausenden Reisenden zu einem rhythmischen Einklang aus Klicken wurde.

Die hunderten Stimmen der Reisenden, die in von den hohen Wänden des Flughafens widerhallten und sich zu einem einzigen großen Chorus der Hektik, Geschäftigkeit und Aufregung mischten.

Vereinzeltes Rufen, das Weinen kleiner Kinder, das freudige Aufschreien einiger kleiner Personengruppen, die jemanden abholten, wenn sie die erwartete Person erblickten.

Dazwischen Durchsagen, die in einem monotonen Tonfall die summende Aufruhr der Menschenmassen in der stickigen, warmen Sommerluft, die sich träge und schwer im Innenraum des Flughafens ausbreitete, durchschnitten wie ein scharfes Messer.

Niemand war gerne in Flughäfen. Es war ein Mittel um von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Niemand achtete auf andere Personen, allesamt fokussiert darauf, diesen Ort möglichst schnell zu verlassen. Ein simples Abarbeiten von Hindernissen, bestehend aus Check-Ins und Sicherheitskontrollen. 

Eine Masse an Menschen, die durch den Flughafen strömte wie Ameisen, nur weniger koordiniert. Und um einiges lauter.

Und inmitten dieses harmonischen Lärms der riesigen Menschenmasse war ich.

Niemand hier kannte mich oder beachtete mich auch nur im Geringsten. Für einen Moment war ich vollkommen anonym. Nur ein winziger Teil der Menschenmasse, wie ein einziger Pinselstrich auf einem großen Gemälde, eine weitere Ameise auf dem Waldboden, ein kleiner Punkt in diesem riesigen Wimmelbild aus Menschen.

Es war als würde ich in all dem Trubel um mich herum einfach untergehen. Ich konnte untertauchen inmitten des Meers aus Menschen.

Vielleicht war es gerade das, was ich so beruhigend fand. Das vollkommene Verschwinden in dieser Masse. Das kurze Gefühl nicht gesehen zu werden. Das kurze Gefühl von Ruhe. Wie ein kleines Kind, das sich die Bettdecke über den Kopf zog, um nicht gesehen zu werden, um unterzutauchen, um den Monstern unter dem Bett zu entkommen.

Nur, dass es in meinem Fall keine Monster waren – zumindest nicht im wortwörtlichen Sinn – und ich mich nicht so einfach vor diesen verstecken konnte. Ich konnte nur abwarten und die kurze Ruhe vor dem Sturm genießen.

Wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass ich meine Zeit auf einem unbequemen Stuhl vor Gate 2 auf meinen Flug wartend genießen würde, hätte ich vermutlich laut gelacht. Nicht nur hatte ich meistens ziemlich überwältigende Flugangst, ich hasste es normalerweise auch zu warten. 

Aber wenn warten in diesem Fall bedeutete, dass ich noch nicht los musste, dass ich das Unvermeidliche noch ein wenig herauszögern konnte, dass ich mein Schicksal noch nicht erfüllen musste, dann würde ich auch für alle Ewigkeit hier vor Gate 2 sitzen bleiben.

Ich sah auf meine Uhr. Noch etwa eine Viertelstunde bis zum Boarding. (Das mit der Ewigkeit würde also nichts werden.) 

Instinktiv fiel mein Blick auf die Anzeige auf den großen Flachbildschirmen an den Wänden und vergewisserte mich zum inzwischen vierten Mal seit ich im Wartebereich Platz genommen hatte, dass ich auch wirklich richtig hier war.

Überpünktlichkeit und chronische Angst irgendwie ans falsche Gate gelangt zu sein. Nur Nebenwirkungen meiner ebenfalls ziemlich ausgeprägten Flugangst. Ich Glückspilz.

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