2. Logbuch - April 2002

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Verlust diesen Monat: Junge abhandengekommen.

Jedoch haben wir seit einem Tag wieder Profit gemacht.

Im zweiten Stock steht eine neue, Hightech Qualität Kaffeemaschine, die jetzt auch Milch dispensieren kann, sodass man keine Milchtüten mit hoch schleppen muss, wenn man eine Tasse Cappuccino möchte. Aber das ist jetzt nicht weiterhin wichtig. Was aber an erster Stelle steht, ist, dass wir den Ausbüxer wieder ausfindig machen und ihn wieder in die Klinik zurück bringen. Und natürlich wiederholt sich hier der Teufelskreis, Agnes ist losgegangen, um ihn wieder einzufangen. Nur hoffe ich, dass sie ihn diesmal schneller ausfindig macht und das auch heil. Und natürlich auch Espen. Immerhin gehört er jetzt zu unserer Familie. Und in einer kleinen Ecke in Agnes' Herz.

Heute bin ich dran, das Abendessen herzurichten, da unsere talentierte Köchin heute auf Ausflug ist. Deswegen habe ich ein paar Packungen Suppenpulver in Töpfe geschüttet und Wasser drauf gegossen, hoffend, dass nichts Feuer fängt. Um wahr zu sein, ich fühle mich dabei selbst ein bisschen wie ein Chefkoch, als die Kinder immer wieder neugierig hoch zum Herd lurken. Anscheinend sind sie hungriger als sonst, denn sie versuchen immer wieder stumm auf die Tresen zu klettern, bevor ich sie mit dem Schöpflöffel wieder runter jage. Ich habe, als ich die Suppe in all die Teller der hungrigen Kindern aufgoss, auch ein bisschen Oregano hinzugefügt. Ich weiß nicht, ob das gut schmeckt, aber ich habe das Agnes auch schon öfter tun sehen, also kanns nicht schlimm sein. Vielleicht soll ich Hobbykoch werden.

Ich lege die Teller vorsichtig auf den Tisch ab, an dem die Kinder schon gierig sitzen. Natürlich bleibt ein Stuhl leer, weil der Besitzer gerade auf einer Tour war. Da die Kinder nicht sprechen können, ist es ziemlich still am Esstisch. Das Einzige, was man hört, waren die Löffel, die gegen die Teller stoßen. Hätten wir einen Radio in der Küche, hätte ich ihn schon von Anfang an angemacht. Jedoch meint meine Frau immer, es wird die Kinder irritieren, wenn eine fremde Stimme aus den Lautsprechern dudelt.

Mir fällt auf, das auf dem Tresen ein übriger Teller Suppe steht. Habe ich jemanden vergessen? Für Espen habe ich keinen Teller gemacht, da er so schnell nicht wieder hier sein würde – Und falls sich meine Laune nicht bessert, hätte ich ihm eh wieder eine Kartoffel aufgetischt. Also fehlt am Esstisch einer.

Im Betreuungsraum brennt noch das Licht. Ich klopfe sanft an die Tür, in der anderen Hand halte ich einen Teller Suppe. Die Tür wird leise von mir geöffnet, da sehe ich schon einen kleinen Bub im Sitzsack sitzen. Der schwarzhaarige Junge starrt gerade aus mit glasigen Augen, ohne sich wirklich auf irgendwas zu fokussieren. Müssen wohl seine Augen sein, die ihm mal wieder Streiche spielen. Mit sanften Schritten komme ich auf ihn zu und hocke mich vor ihm. Er jedoch gibt keine Reaktion von sich. Nur starre Blicke und ungleichmäßiges Atmen. Langsam hebe ich die Hand und schnipse vor seinen Augen. Keine Reaktion. Was auch immer ihm gerade die Seuche vorgaukelt, es muss mitreißend sein. Auch als ich mit der Hand vor seinen Augen winke, er bleibt wie versteinert sitzen. Ich bin darauf vorbereitet, dass er jeden Augenblick losschreien würde, wäre es von meinen Bewegungen oder weil das Schattenmonster ihn an den Haaren gepackt hat. Sanft stupse ich seine Schulter an, einen Schrei erwartend. Seine Pupillen sind zusammengeschrumpft, seinen Atem zieht er in schnellen Zügen. Langsam senkt er den Kopf und starrt gezielt auf den Boden. Anscheinend etwas, das sich auf dem Boden schlängelt? Und das anscheinend schnell näherkam, denn er sieht so aus, als würde er gleich vor Angst in die Luft springen.

Die Kinder essen schnell, übermenschlich schnell, wenn man es so ausdrückt. Bevor der Junge an einem Herzinfarkt erliegt, fliegt ihm mit so einer Wucht ein Kissen ins Gesicht, ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Ein kurzhaariges Mädchen hopst auf und ab und lehnt sich über den Sitzsack, in dem der arme Junge mit dem Kissen auf dem Gesicht liegt. Mein Atem ist gestockt, der Junge könnte jetzt glatt traumatisiert sein. Er könnte denken, das Monster hätte ihn angegriffen oder gar umgebracht. Es rührt sich nichts. Ich bin von meinem Versuch, den Jungen zurück in die Realität zu bringen, so mitgerissen worden, ich hatte nicht bemerkt, dass die anderen Kinder fertig geworden sind, ihre Suppen zu löffeln. Jetzt haben sie sich alle im Betreuungsraum verteilt, ein Mädchen davon hatte es auf den Jungen abgesehen.

Die Traum Seuche - April, 2002Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt