Einsam

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Die breiten Straßen, die großen Menschen, der Lärm um mich herum. Alles ist viel zu groß, zu laut, zu unbekannt.
Manche starren mich an, andere sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie mich fast umrennen.
Also laufe ich. Ich beginne zu rennen, nur weiter und weiter und vielleicht finde ich einen Ort an dem ich Halt machen kann.
Der Regen prasselt auf mich herab und macht meine Glieder schwer und meine Augen müde.
Unter der Brücke, über die ich gehe, sehe ich einen Fluss fließen. Und es stehen Häuser dort unten und aus ihren Fenstern scheint ein warmes Licht. Bestimmt leben dort Familien und sitzen gerade zusammen und lachen und lieben sich.
Ich renne weiter und spüre den Wind, wie er mich weitertreibt, wie er mir zuflüstert, ich solle doch so lange rennen, wie ich wollte, bald würde ich sowieso nicht mehr können. Und ich weiß, dass der Wind nicht ganz Unrecht hat. Doch ich bin stark, denke ich und laufe weiter. Ich traue mich nicht, mich umzusehen. Ich habe Angst, Angst vor der großen Welt. Vor ihrer Welt. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Ich kann nichtmal nachfragen. Möchte wissen, was sie erzählen, über welche Geschichten sie lachen, über welche sie weinen. Doch niemand möchte mich teilhaben lassen. Ich laufe und laufe. Ich spüre meine Beine und ich spüre wo ich auf den eisigen Boden trete. Ich habe die Hoffnung verloren. Aber das Rennen hilft, denke ich. Ich fühle mich einsam und allein. Und diese Erkenntnis lässt mich dann doch stoppen. Ich merke, dass ich nicht mehr weiterrennen kann. Ich bin doch zu schwach. Ich lege mich auf den kalten Bürgersteig und kugele mich zusammen. Ich friere und ich wimmere leise. Die Menschen gehen an mir vorbei, als würden sie nicht sehen, dass ich liege, als müsste ich sterben. Ich lege meinen Kopf auf den Boden und schließe die Augen ganz kurz. Doch der Lärm macht mir das Atmen schwer, wenn meine Augen zu sind, also öffne ich sie wieder.
Plötzlich sehe ich jemanden stehen bleiben und hebe den Kopf.
Ein Mann kommt auf mich zu, er hält einen Schirm in der Hand und als er sich zu mir hockt werde ich einen Moment lang nicht mehr vom kalten Regen getroffen, weil er mich mit seinem Schirm beschützt.
"Was machst du denn hier?", fragt der Mann und ich sehe seine freundlichen braunen Augen leuchten.
An diesem kalten Wintertag in dieser großen Stadt ist es das erste Leuchten. Nie zuvor hat mich jemand so angesehen, wie dieser Mensch. Niemals. Ich weiß nicht, wie ich reagieren, was ich tun soll.
Er streckt seine Hand nach mir aus, doch ich weiche zurück.
Sicher bin ich mir nicht, ob ich ihm tatsächlich vollkommen trauen kann, auch wenn ich es will.
"So ganz allein bist du hier? Hast niemanden der auf dich aufpasst? Wie kann jemand das zulassen?"
Er schüttelt nachdenklich den Kopf und ich sehe ihn fragend an. Er blickt zurück zu mir und muss leise lachen. "Möchtest du mitkommen, Kleiner?", fragt er. Vorsichtig komme ich etwas näher gekrochen.
Der Mann steht auf und
ich erhebe mich auch vorsichtig, mit eingezogenem Kopf und folge ihm.
Er sagt nichts, lächelt mich nur an. Ich gehe langsam hinter ihm her, Abstand entsteht zwischen uns. Ich will sehen, ob er nach mir sieht. Ob es ihm egal ist, ob ich da bin oder nicht.
Andere Menschen kommen und wollen uns auseinander drängen. Ich will der Versuchung doch zu ihm zu laufen widerstehen, doch ich kann nicht. Ich möchte bei dem Mann mit den braunen Augen sein. Also laufe ich wieder. Ich laufe zu dem Mann und gehe neben ihm.
Er lächelt und hält seinen Schirm über uns beide. Dankbar sehe ich ihn an. Er ist so groß, so viel größer als ich. Doch er geht langsam, als würde er seine Schritte den meinen anpassen. Und plötzlich merke ich, dass die Leute zur Seite gehen, wenn wir vorbei wollen, und niemand rennt mich mehr um. Sie deuten auf mich und strahlen über das ganze Gesicht. Ich scheine sie plötzlich froh zu machen, obwohl sie mich doch eben nicht beachtet haben... Alle nicken und lächeln dem Mann zu.
Ich verstehe nicht, wieso sie das tun, aber ich weiß, dass sie wissen, dass ich nun zu ihm gehöre.

Solche wie duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt