Prolog

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Schon immer war mein Leben von mir selbst vorausgeplant gewesen. Ich selbst hatte mir schon als kleines Mädchen das Ziel gesetzt, die Schule mit Bestnoten zu beenden, zu studieren, irgendwann zu heiraten, meinen Traumjob zu bekommen und Kinder zu kriegen.
Meine Mutter hat mich bei meinem Vorhaben stetig unterstützt. Wir hatten nie viel, da mein Vater uns verlies als ich noch klein war. Aber meine Mutter kümmerte sich darum, dass ich immer all das hatte, was ich brauchte, um meine Träume zu erreichen und mir langsam dabei zu helfen mir das Leben aufzubauen, welches ich mir sehnlichst herbei wünschte.
Alles schien nach Plan zu laufen. Meine Noten waren hervorragend, sodass es später kein Problem werden sollte zu studieren. Allerdings lief alles nur so lange gut bis ich 14 war. In diesem Jahr fiel ich in ein Loch, aus welchem ich ohne Hilfe niemals wieder herausgekommen wäre.
In diesem Jahr stieß ich alles und jeden von mir. Ich konnte nicht mit mir selbst leben und wollte gar nicht erst, dass andere versuchen, mir irgendetwas positives einzureden, wo es doch nichts mehr in meinem Leben gab, was auch nur annähernd positiv gewesen wäre.

Zu dieser Zeit war ich wahnsinnig unglücklich, sogar depressiv. Ich verbrachte die Tage nur noch in meinem Zimmer, in meinem Bett. Motivation zum aufstehen gab es gar nicht mehr. Mir fehlte einfach der Antrieb um meinem gewohnten Tagesablauf nachzugehen. Der ganze Terror, der mich in diese Lage brachte, und der eigene Druck den ich mir machte führten schließlich dazu, dass ich soweit ging den Versuch zu starten, mein Leben zu beenden.

Nachdem ich dann doch die richtige Hilfe bekommen, und nach erstmaliger Ablehnung auch angenommen hatte, lernte ich, wieder richtig zu leben.
Wenige Monate nach meiner schweren Zeit lernte ich Leute kennen. Leute, von denen ich glaubte sie seien die besten Freunde, die man sich nur wünschen kann. Obwohl meine Mutter mich vor ihnen gewarnt hat nahm ich an, dass sie mich verstehen würden. Dass sie mich mögen und mich schätzen, dass ich ein Leben lang mit ihnen befreundet sein würde.
Doch dem war nicht so.
Unbemerkt zogen mich meine neuen Freunde runter. Ständig veranstalteten sie irgendwelche wilden Partys und betranken sich ohne jeglichen Grund. Da ich zu ihnen gehören wollte tat ich dasselbe.
Doch mit jeder Party wuchs in mir das Gefühl, dass ich mehr und mehr wieder in meine Depressionen verfallen würde. Dies gab mir den nötigen Ansporn mit 17 schließlich von zuhause auszuziehen. Ich verließ mein Elternhaus und zog einen Schlussstrich. Nicht nur, dass ich von zuhause auszog. Ich verließ sogar meine Heimatstadt, meinen Bundesstaat, damit ich anfangen konnte, mir ein neues Leben aufzubauen. Das Leben, von dem ich immer geträumt habe. Obwohl meine Mutter traurig über meine Entscheidung war, stand sie doch hinter mir. Sie wusste dass sie mich gehen lassen musste, denn hätte sie es nicht getan, hätte sie mich später vermutlich auf eine ganz andere Weise verloren.
So zog ich also von Florida nach Washington. Anfänglich gestaltete sich dies äußerst schwierig, jedoch habe ich es geschafft. Da es nicht üblich ist, bereits mit 17 allein zu wohnen - geschweige denn, in ein anderes Bundesland zu ziehen - dauerte all dies seine Zeit. Wir mussten schauen, dass wir mich irgendwo unterbringen konnten. Eine Wohnung zu finden ist schon nicht leicht wenn man erwachsen ist. Wenn man allerdings wie ich erst 17 ist, dann gestaltet sich das als äußerst schwierig. Wir haben etliche Vermieter kontaktiert, die meisten haben es natürlich abgelehnt, mich in einer ihrer Wohnungen leben zu lassen. Eine ältere Frau war allerdings so nett, es zu versuchen. Der Mietvertrag läuft zwar über meine Mutter, aber sobald ich 18 bin, kann er dann über mich laufen.

Zunächst fühlte ich mich einsam in Washington, denn ich kannte hier niemanden und niemand kannte mich. Trotzdem war ich bereit, mir ein neues Leben aufzubauen. Denn das war es schließlich, was ich wollte. Natürlich wusste ich nicht ob ich hier neue Freunde finden wüde, doch ziemlich schnell lernte ich schließlich Nate kennen.
Ich selbst bin in meinem letzten Jahr an der High School. Da ich nach meiner schweren Zeit wieder anfing gute Noten zu bekommen, nahm mich der Rektor bereitwillig als neue Schülerin auf. Die Ellensburg High School hat einen ziemlich guten Ruf und ich bin wirklich gespannt darauf, dort mein letztes Schuljahr zu verbringen. Nate ist schon am College, weshalb ich also dort noch niemanden kenne. Das positive ist jedoch, dass Nate an der Washington Central University studiert, wo auch ich im nächsten Jahr gerne studieren wollen würde.
Damit ich hier in Washington über die Runde komme und damit meine Mutter nicht noch mehr Geld für mich ausgibt als ohnehin schon, habe ich mir einen Nebenjob besorgt. Zugegeben, kellnern ist nicht unbedingt der beste Job und auch nicht das, was ich unbedingt machen wollte, aber der Job wird gut bezahlt und Trinkgeld bekomme ich auch häufig. Das bietet mir die Möglichkeit, auch etwas für meine zukünftigen Studiengebühren beiseite zu legen.

Als ich vor zwei Wochen Schicht hatte, kam Nate zu mir ins Restaurant. Er lies nichts anbrennen und fragte mich ziemlich schnell nach meiner Nummer. Normalerweise gebe ich diese nicht so schnell an Fremde weiter, zumal Nate mir ziemlich suspekt vorkam mit seinen ganzen Tattoos und Piercings. Doch mittlerweile bin ich froh, dass ich ihm meine Nummer gegeben habe, denn Nate ist einer der liebenswertesten Menschen, denen ich je begegnet bin. Wir verbringen ziemlich viel Zeit miteinander, obwohl es mich doch etwas stört, dass er ständig auf Partys ist. Natürlich ist er schon alt genug um das selbst zu entscheiden, aber gerade solche Partys sind der Grund, warum ich hierher gezogen bin. Damit ich mit soetwas nichts mehr zu tun habe. Vielleicht, wenn ich nicht schon mit 15 angefangen hätte Partys zu feiern... vielleicht hätte ich dann eine nicht ganz so große Abneigung gegenüber Partys.
Nate hat schon oft versucht mich zu überreden, ebenfalls auf eine Party mitzukommen. Jedoch habe ich immer wieder dankend abgelehnt mit der Begründung, dass ich noch minderjährig sei. Er muss nicht wissen, dass ich all das schon erlebt habe und deshalb weiß, dass das nicht mein Ding ist. Immer wieder beteuert er, dass die Partys wirklich erstklassig seien und dass sich niemand dort um mein Alter Gedanken machen wird, doch ich hielt bisher immer an meiner Meinung fest. Und glücklicherweise nimmt Nate es mir auch nicht übel, dass ich nicht mit zu den Partys kommen will. Stattdessen hat er mir versprochen, dass sobald ich 18 bin, er mich mit auf eine gigantische Feier nehmen wird. Statt zu feiern verbringen Nate und ich also Zeit damit, Filme zu schauen, essen zu gehen oder einfach zu reden, damit wir uns besser kennenlernen.
Ich bin ihm wirklich dankbar dafür, dass er in mein Leben getreten ist. Durch ihn fühle ich mich weniger einsam und er hilft mir dabei, wieder richtig Anteil am Leben zu haben.

Dass ich es allerdings irgendwann bereuen könnte nach Washington gezogen zu sein, daran hätte ich im Leben nie gedacht.



Feeling invisibleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt