Das Spiel geht solange weiter, bis alle, einschließlich mir, wirklich komplett betrunken sind. Einer der Gäste kotzt sich in der Ecke des Raumes die Seele aus dem Leib. Mir tut die Person leid, die das hinterher wegwischen muss.
»Ich sollte langsam gehen«, sage ich zu Nate und frage mich für einen kurzen Moment, ob ich lalle. Ich selbst habe das Gefühl so betrunken zu sein, dass ich gar nicht mehr richtig sprechen kann, was mir jetzt im Augenblick irre witzig vorkommt.
»Bleib doch noch«, bittet Nate und lächelt mich an.
»Ich weiß nicht, ob das so klug ist.« Ich atme zweimal tief ein und aus und überlege, was passieren könnte, sollte ich doch noch bleiben. Wenn ich auch nur noch einen Schluck von irgendwas trinke, dann kotze ich. Da bin ich mir fast sicher.
»Du warst auch skeptisch, ob du überhaupt herkommen sollst. Und sieh an, du hast tatsächlich Spaß.« Damit hat er natürlich Recht. »Wir können nachher auch zusammen zurück.«
»Okay«, sage ich und gebe schließlich nach. Vielleicht wäre es ohnehin nicht so klug, jetzt allein nach Hause zu laufen. Vermutlich bin ich zu betrunken um den richtigen Weg zu finden, wobei mir ein Spaziergang dabei helfen würde, wieder nüchtern zu werden.
»Komm, wir gehen raus an die frische Luft.« Nate steht auf und hält mir die Hand hin, um mir hochzuhelfen.
Ich zupfe kurz mein Top zurecht und folge ihm durch die Menschenmasse nach draußen, in den Garten. Die frische Luft fühlt sich gut an, richtig gut. Ich lasse mich auf einer kleinen Mauer nieder und atme gierig die frische Luft ein. Tatsächlich fühle ich mich jetzt schon etwas besser. Drinnen ist die Luft fürchterlich. Es stinkt nach Zigarettenqualm und Schweiß.
»Die Party ist gar nicht so übel, oder?«, erkundigt sich Nate.
»Nein, eigentlich hasse ich Partys ja, aber die hier ist wirklich gut. Und die Leute da drinnen scheinen wirklich nett zu sein, obwohl sie scheinbar nicht wissen, wann sie aufhören sollten zu trinken.« Ob Nate wohl sein Limit kennt? Oder übertreibt er auch immer maßlos? Das werde ich wohl noch herausfinden müssen.
»Ja, aber so ist das immer hier«, lacht er und fährt sich mit der Hand durchs Haar.
Ich richte mein Gesicht gen Himmel und beobachte die Sterne. In all der Zeit die ich jetzt hier bin, kann ich an einer Hand abzählen, wie oft ich die Sterne sehen konnte. Normalerweise ist es Nachts immer bewölkt, aber jetzt in meinem betrunkenen Zustand genieße ich den Anblick umso mehr.
Nate reißt mich aus meinen Gedanken, indem er sich eine Haarsträhne von mir um die Finger wickelt und damit spielt.
»Weißt du eigentlich, wie schön du bist?«, fragt er und ich spüre, wie ich erröte. Was soll das den jetzt?
»Danke.« Ich weiß nicht genau was ich antworten soll, deshalb beiße ich mir auf die Unterlippe und beobachte, wie er weiterhin mit meiner Haarsträhne spielt.
Einen kleinen Augenblick später beugt Nate sich vor und legt seine Lippen auf meine.
Unsicher was ich tun soll, lasse ich ihn gewähren, erwidere den Kuss aber nicht und schiebe ihn auch nicht von mir. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Meine Gedanken sind benebelt, was vermutlich noch am Alkohol liegt. Flüchtig erwidere ich den Kuss, bereue es aber sofort und löse mich deshalb von Nate.
»Ich kann das nicht, es tut mir leid«, flüstere ich. Ein Kuss ist für mich ein sehr intimes Geschehen. Da ich Nate erst seit kurzem kenne kann ich ihn nicht jetzt schon küssen. So war ich noch nie und so will ich auch nicht sein. Möglich, dass es für ihn normal ist. Möglich, dass es das ist, was Studenten auf einer Party so treiben. Aber ich fühle mich noch lange nicht dazu bereit, Nate wirklich küssen zu wollen.
»Schon okay«, gibt er zurück und schenkt mir ein lächeln, obwohl ich ihm gerade eine Abfuhr erteilt habe.
Ich hüpfe von der Mauer und sehe auf meine Füße herab. Jetzt fühle ich mich unwohl in meiner Haut.
»Lass uns wieder rein gehen«, schlage ich vor.
Gemeinsam mit Nate gehe ich also wieder ins Verbindungshaus und bereue es, da mir sofort die stinkende Luft entgegen schlägt. Warum Leute rauchen müssen werde ich wohl nie verstehen. Ich selbst habe einmal an einer Zigarette gezogen, bei einem meiner ehemaligen Freunde. Es hat einfach nur eklig geschmeckt und mein ganzer Hals hat gekratzt, sodass ich ständig husten musste.
Die Party ist noch immer im vollen Gange. Nate schlendert ins Wohnzimmer, ich deute ihm jedoch an, dass ich mich nach nebenan begebe. Mein Hals fühlt sich ganz trocken an, deshalb wäre ein Glas Wasser jetzt nicht schlecht.
In der Küche fische ich mir ein halbwegs sauberes Glas aus dem Schrank und schenke mir Leitungswasser ein.
Nachdem Nate mich geküsst hat und ich ihn abgewiesen habe, könnte es jetzt komisch zwischen uns sein. Er ist mein erster Freund hier - zumindest hoffe ich, dass er mein Freund ist. Ich möchte nicht, dass die Dinge zwischen uns kompliziert werden.
»Oh mein Gott, ich habe dich eben aus dem Fenster heraus mit Nate gesehen!«, quietscht Steph, die neben mir auftaucht. »Na los, erzähl schon! Was läuft da zwischen euch?«
Ich pruste das Wasser zurück ins Glas, versuche es jedoch zu überspielen, indem ich noch einen Schluck trinke. Mit meiner Antwort warte ich einen Moment, merke aber, dass ich gar keine richtige Antwort darauf habe.
»Da läuft nichts. Wir sind befreundet, schätze ich. Mehr nicht.« Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe Steph an, welche sich ein grinsen nicht verkneifen kann.
»Freunde küssen sich aber nicht. Moment, habt ihr etwa eine Affäre?« Steph klatscht in die Hände und es kommt mir vor, als würde sie denken, sie hätte ein Geheimnis herausgefunden.
Ich lege die Stirn in Falten und bin etwas erschrocken darüber, dass Steph offenbar kein Blatt vor den Mund nimmt.
»Wir haben keine Affäre«, sage ich schnell. Zu schnell. »Ich bin nicht der Typ für etwas lockeres, ich glaube, das weiß Nate auch. Außerdem hatte ich noch nie... naja...« Wie sage ich ihr am besten, dass ich noch nie eine Affäre, geschweige denn Sex hatte? Normalerweise könnte sie annehmen dass ich mit meinen 16 Jahren noch Jungfrau bin. Allerdings sind ja beinahe alle Teenager heutzutage ziemlich frühreif, weshalb es möglich ist, dass sie annimmt, dass auch ich bereits schon Erfahrungen in dem Gebiet gesammelt habe. Vielleicht hat sie aber auch einfach nur vergessen, wie jung ich bin.
»Oh«, formt sie stumm mit den Lippen. Sie greift um mich herum und schnappt sich eine Flasche Vodka, wovon sie sich etwas in ihren Becher schüttet.
Offenbar weiß sie darauf nichts zu sagen. Stattdessen nimmt sie einen Schluck von ihrem puren Vodka.
»Kommst du eigentlich auch zur nächsten Party?«, fragt sie mich und wechselt glücklicherweise das Thema.
»Ich weiß nicht, eigentlich mag ich keine Partys.« Auch die heutige Party hat meine Meinung nicht geändert. Natürlich war es witzig und ich habe viel gelacht, aber so wirklich kennengelernt habe ich hier niemanden. Und möglicherweise ist es zwischen Nate und mir jetzt kompliziert. Hoffentlich lag der Kuss nur an dem Alkohol, wovon Nate ziemlich viel hatte.
»Aber heute hattest du doch Spaß?«
»Ja, schon. Aber ich glaube, so schnell muss ich auf keine Party mehr«, erkläre ich. Vermutlich hält Steph mich jetzt für eine absolute Spießerin.
»Oh, achso. Naja, ich gehe wieder zurück zu den anderen. Du kannst ja gleich nachkommen.« Mit diesen Worten lässt sie mich allein in der Küche zurück.
Als ich zurück ins Wohnzimmer komme, kann ich Nate nirgends sehen. Seufzend fahre ich mir mit der Hand durchs Haar. Da ich keine Lust habe Nate im ganzen Haus zu suchen, beschließe ich, einfach nach Hause zu gehen. Mittlerweile bin ich wieder halbwegs nüchtern, wodurch ich merke, wie müde ich eigentlich bin.
An der Haustür angekommen, stellt sich mir jemanden in den Weg.
»Du solltest nicht allein gehen.« Es ist der Typ von vorhin, welcher mich so genervt hat. Stirnrunzelnd mustere ich ihn und fange aus irgendeinem Grund an zu lachen. Verdammt, vielleicht bin ich doch noch betrunken!
Irritiert schaut mich der Typ an. Ich glaube, Steph hat ihn Hardin genannt.
»Ich weiß nicht was daran lustig sein soll.« Sein Blick wandert an mir herab. Vielleicht sucht er nach ersten Anzeichen dafür, dass ich betrunken bin. Bin ich denn noch betrunken? Naja, nicht mehr so sehr wie vorhin, aber doch noch etwas. Aufgrund der stickigen Luft hier drin und dem Rausch, welchen ich offenbar noch habe, wird mir ganz schwindelig.
Wie kann ich auch nur so naiv sein und mit wahllos fremden Menschen - abgesehen von Nate - in einer fremden Stadt, einem fremden Bundesstaat, so sehr den Bogen überspannen? Eigentlich wollte ich hier nochmal ganz von vorn anfangen und jetzt finde ich mich nach nicht mal vier Wochen doch auf einer Party wieder. Ich kann mir das enttäuschte Gesicht meiner Mutter vorstellen, wodurch mir schlecht wird.
»Tut mir leid«, murmel ich. »Aber erst hast du vorhin versucht mich zu provozieren und jetzt meinst du, ich solle nicht allein nach Hause gehen. Ich weiß einfach nicht, wie ich dich einschätzen soll.«
»Lass stecken, geh einfach nach Hause«, brummt er. Er spricht ziemlich deutlich und wirkt überhaupt nicht betrunken. Kann er wirklich so viel Alkohol ab? Wenn er auch nur ansatzweise so viel getrunken hat wie die anderen hier, dann müsste er jetzt total betrunken sein. Stattdessen wirkt er komplett nüchtern. Wobei ich natürlich nicht weiß wie viel er tatsächlich getrunken hat.
»Das war nicht böse gemeint«, sage ich und bemühe mich um einen ruhigen, sachlichen Tonfall. »Wie wäre es denn, wenn du dich mir mal vorstellst?«
Es ist ziemlich unhöflich von ihm, wie er sich mir gegenüber verhält, finde ich.
»Ich bin Hardin«, antwortet er schließlich. Ich weiß, dass Steph seinen Namen vorhin bereits erwähnt hat, finde aber dennoch dass er genügend Anstand haben sollte, mir seinen Namen selbst zu verraten. Der Name ist ziemlich außergewöhnlich, ich habe ihn zuvor noch nirgends gehört, weshalb ich den Namen schon jetzt mag.
»Ich bin Tessa«, sage ich. »Und ich gehe dann jetzt. Bis dann, Hardin.«
Draußen angekommen atme ich gierig die frische Luft ein, wie ich es bereits vorhin schonmal gemacht habe.
»Ich bringe dich nach Hause.« Ich erschrecke total und zucke zusammen, als Hardin auf einmal hinter mir auftaucht. In seinem Unterton höre ich, dass er keinen Widerspruch dulden wird.
Ohne ein weiteres Wort legt er mir den Arm um die Taille, doch schnell entwinde ich mich. Was soll das jetzt bitte werden? Aus den Augenwinkeln kann ich erkennen wie er die Augen verdreht, jedoch lasse ich das unkommentiert. Er führt mich zu einem Wagen, offenbar seiner. Entsetzt starre ich ihn an.
»Du kannst nicht fahren!«, fauche ich. »Du hast getrunken!«
Wie kommt er auf die hirnrissige Idee ich würde zu ihm in den Wagen steigen, wenn er Alkohol getrunken hat? Offenbar ist er betrunkener als ich dachte.
»Ich hab nicht getrunken.« Er zuckt mit den Schultern. »Manchmal tue ich nur so als ob. Aber meistens trinke ich nur Wasser.«
Seine Lippen formen sich zu einem Grinsen und ich bin mir nicht sicher ob ich ihm glauben soll oder nicht.
Am liebsten würde ich ihn irgendwelche bescheuerten Aufgaben machen lassen die beweisen, dass er tatsächlich nüchtern ist. Aber dabei würde ich mir vorkommen wie eine Idiotin.
Eigentlich sollte ich ihm vertrauen. Welchen Grund hätte er mich anzulügen?
»Also, soll ich dich fahren oder nicht?«, fragt er und reißt mich aus meinen Gedanken.
»Ja, bitte.« Ich fahre nur mit ihm mit weil mir sein Ton erneut verrät, dass er nicht locker lassen wird. Zudem möchte ich einfach nur noch in mein Bett und schlafen.
»Wo muss ich hin?«, fragt er schließlich als wir im Auto sitzen und er den Motor startet. Sein Wagen schnurrt regelrecht als er anspringt, meiner hingegen hört sich beim starten an wie eine Schrottkarre.
Schließlich nenne ich ihm meine Adresse und er fährt los. Während der Fahrt sehe ich aus dem Fenster und lehne meinen Kopf gegen die kühle Scheibe. Kurz erlaube ich mir einen Blick auf Hardin und mustere sein Profil. Wieso fällt mir erst jetzt auf wie attraktiv er ist?
Als ich genauer darüber nachdenke blicke ich schnell aus dem Fenster.
»Danke übrigens«, murmel ich erschöpft. Die Fahrt in seinem Wagen ist angenehm und erst jetzt merke ich, wie erschöpft ich wirklich bin. »Also fürs bringen. Das ist wirklich nett.«
Hardin lacht leise, erwidert aber nichts darauf.
Als wir bei mir ankommen bin ich fast eingeschlafen. Hardin bremst ziemlich abrupt, woraufhin ich aufschrecke und mir augenblicklich schlecht wird.
»Wichser!«, brüllt Hardin und zeigt irgendwem aus dem Fenster heraus den Mittelfinger. Nachts ist es vor dem Haus immer ziemlich dunkel und oftmals laufen die Leute einfach über die Straße. Für Fahrer sind sie dabei nur schwer zu erkennen, vor allem wenn sie dunkle Klamotten tragen. Eventuell hätte Hardin eben beinahe jemanden überfahren.
Das ganze wird mir jetzt zu viel. Schnell öffne ich die Beifahrertür, beuge mich heraus und übergebe mich. Verdammt, das ist mir wirklich peinlich...
Nachdem ich fertig bin ist mir das so unangenehm, dass ich ohne ein weiteres Wort aussteige. Wie gut, dass ich bereits zuhause bin.
Dass auch Hardin ausgestiegen ist höre ich daran, dass er seine Wagentür zuknallt.
»Alles gut?«, fragt er beiläufig als sei es das normalste der Welt, dass ich mich aus seinem Auto heraus übergeben habe.
Als ich nicke lehnt er sich an seinen Wagen. »Gut, ich wüsste nämlich nicht was ich getan hätte, hättest du mir in den Wagen gekotzt.«
Schnell blicke ich weg, da mir die Situation ohnehin mehr als peinlich ist. Ich hätte heute wirklich nichts trinken dürfen.
»Danke nochmal fürs fahren« ist das einzige was ich sagen kann.
»Nächstes Mal solltest du aufpassen dass du nicht wieder so viel trinkst. Ich sagte ja dass du nicht so viel verträgst.« Und da kommt wieder seine verdammte Arroganz.
Damit ich mich jetzt nicht mit ihm auseinandersetzen muss gehe ich wortlos ins Haus.
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Feeling invisible
Teen FictionTessa ist eine ausgezeichnete Schülerin, verbirgt das jedoch hinter ihrem Charakter. Wie ihre Freunde trinkt sie und feiert auch gern mal wilde Partys - bis sie nach Washington zieht, weil sie ihr altes Leben nicht mehr weiter führen will. Dort lern...