Chapter 1

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Ich habe gerade Feierabend und bin auf dem Weg nach Hause, als ich Nate's vertraute Stimme hinter mir höre. Sofort muss ich lächeln.
»Hey« sagt er, als er mich einholt. »Hey« erwidere ich und umarme ihn kurz. »Ich wollte dich eigentlich von der Arbeit abholen, aber du warst so schnell weg.« Nate grinst mich an und steckt sich die Hände in die Hosentaschen, als er neben mir läuft.
»Echt? Tut mir leid. Hätte ich das gewusst, hätte ich natürlich gewartet.«, entschuldige ich mich, obwohl ich weiß, dass ich eigentlich nichts dafür kann.
»Macht ja nichts. Nächstes Mal sollte ich dir vorher Bescheid geben.« Nate grinst mich an und zieht sich dann eine Zigarette aus der Tasche, welche er kurz darauf anzündet. Das mit dem Rauchen werde ich wohl nie verstehen. Es kostet unglaublich viel Geld, ist ungesund und stinkt einfach bestialisch. »Was hast du heute noch vor?«, fragt er mich, während er an seiner Zigarette zieht.
»Eigentlich nichts. Aber ich nehme an, dass du etwas mit mir unternehmen möchtest«, stelle ich fest und blicke in Richtung Himmel. Es ist Anfang August und ich bin froh, dass die Sonne scheint. Normalerweise ist das Wetter in Washington eher schlecht, wie ich gelesen habe, doch bisher kann ich das nicht bestätigen. In zwei Wochen ist Schulanfang und ich muss zugeben, dass ich doch schon ziemlich nervös deshalb bin.
»Das ist wahr« Er zieht noch zwei Mal an seiner Zigarette, eher er sie auf den Boden wirft und austritt.
Kurz darauf kommen wir an meiner Wohnung an und als ich aufschließe, halte ich ihm die Tür auf, damit er als erstes eintreten kann.
»Woran hast du denn gedacht?« frage ich, als ich anfangen will, mir die Bluse aufzuknöpfen, damit ich mich umziehen kann. Am zweiten Knopf halte ich inne, da mir auffällt, dass ich nicht wie sonst üblich allein bin. Dabei würde ich am liebsten unter die Dusche steigen.
»Wir könnten rausgehen und dann sehen wir weiter« sagt er und nimmt sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Manchmal ist er wirklich unverschämt, dabei weiß er natürlich, dass er sich mittlerweile so fühlen kann wie zuhause. Ich beneide Nate um seine lockere, sympathische Art.
»Klingt gut« sage ich. »Ich gehe aber erst duschen. Du weißt ja, fühl dich wie zuhause.« Grinsend trinkt er einen Schluck und lässt sich auf die Couch fallen.

Als ich mit dem duschen fertig bin, föhne ich mir schnell meine Haare und schlüpfe in Jeans und ein Top. Schließlich komme ich ins Wohnzimmer zurück, wo Nate mit ausgestreckten Beinen auf der Couch liegt und sich irgendwas im Fernsehen ansieht.
»Wollen wir dann los?«, frage ich und nehme auf dem Sessel neben der Couch Platz, da die Couch komplett von Nate beansprucht wird.
»Klar.« Nate schaltet den Fernseher aus und erhebt sich. »Du... die Jungs feiern mal wieder ne Party. Hast du nicht vielleicht doch Lust, mitzukommen? Zed verspricht, dass die Party heute total riesig wird. Wenn du nicht willst, dann ist das natürlich okay. Dann machen wir etwas anderes.«
Ich bleibe noch einen Moment sitzen und seufze lautlos. Nate wirkt, als würde er unbedingt zur Party wollen und als hätte er keine Lust, etwas anderes mit mir zu machen. Immer wieder sagt er mir, wie klasse die Partys seien, die er und seine Freunde regelmäßig schmeißen. Aber ich weiß einfach nicht ob es eine gute Idee ist, wenn ich mit zu einer Party gehe, auf der ich niemanden kenne abgesehen von Nate. Nur eine einzige Person zu kennen ist ziemlich blöd, und ich will Nate auch nicht die ganze Zeit für mich beanspruchen müssen. Zed kenne ich zwar auch, aber nur flüchtig. Als ich Nate kennengelernt habe war er zusammen mit ihm in dem Restaurant.
»Okay«, gebe ich schließlich zurück und bereue es einen Moment später auch schon.
»Wirklich?« Nate grinst mich an und ich sehe förmlich, wie glücklich er darüber ist, dass ich eingewilligt habe.
»Ja, ausnahmsweise. Aber ich werde nicht lange bleiben.« Und das meine ich auch so. Sobald ich keine Lust mehr habe werde ich gehen.
Möglicherweise ist das meine Chance, neue Leute kennenzulernen. Obwohl ich eigentlich keine Freundschaft mit Leuten schließen möchte, die ständig nur am feiern sind. Gerade das wollte ich ja hinter mir lassen. Aber mit Nate freunde ich mich ja auch an, und er ist ziemlich nett. Vielleicht sind seine anderen Freunde genauso wie er und ich habe einfach nur zu viele Vorurteile.
Ich habe keine große Lust mich extra für die Party umzuziehen, weshalb ich einfach meine Sachen anbehalte und mit Nate die Wohnung verlasse.
Es ist wirklich praktisch mit der eigenen Wohnung, und sobald ich studiere, ziehe ich vielleicht doch auf den Campus, da das günstiger werden wird. Aber vielleicht ergibt es sich bis dahin ja, dass ich die Wohnung selbst zahlen kann, sodass meine Mutter das nicht mehr für mich tun muss.
Wir brauchen ungefähr 20 Minuten bis zu einem Verbindungshaus, in welchem die Party offenbar steigt. Den Weg habe ich mir genaustens eingeprägt, damit ich nachher wieder nach Hause finde. Vielleicht hätte ich mit dem Auto fahren sollen, aber falls ich mich doch dazu überreden lassen sollte, Alkohol zu trinken, wäre das natürlich absolut unklug gewesen.
Ich erkenne, dass bereits ziemlich viele Leute anwesend sind, dabei ist es noch relativ früh am Abend. Wie alt die wohl alle sind? Nate ist 19, ich selbst bin 16. Wobei ich in drei Monaten Geburtstag habe. Selbst Nate darf legal noch keinen Alkohol trinken, deshalb gehe ich davon aus, dass hier auf jeden Fall schon Leute sein müssen, die über 21 sind. Ob hier auch welche in meinem Alter rumlaufen? Sind hier alle schon auf dem College, oder gibt es vielleicht doch Leute hier, die wie ich noch zur High School gehen?

Draußen stehen einige Leute herum, fast jeder von ihnen hat einen roten Becher in der Hand. Die Leute unterhalten sich angeregt und ich erkenne, dass tatsächlich einige von ihnen schon betrunken sind. Ob drinnen noch mehr Leute sind? Vermutlich.
Als wir reingehen stehen überall ziemlich viele von den roten Bechern herum. Alle sind gefüllt mit irgendwelchen alkoholischen Substanzen. In der Nähe der Becher stehen Flaschen mit billigem Alkohol.
Auch die Leute hier drinnen scheinen bereits gut dabei zu sein. Das kann doch nur in einem Disaster enden, oder? Oder eskaliert es hier immer so sehr?
Als ich mich umdrehe um Nate etwas zu fragen, kann ich ihn nirgends entdecken. Na super. Ich finde es etwas dreist, dass er erst möchte dass ich mit zur Party komme, nur um mich dann allein zu lassen. Hoffentlich ist er nur kurz zur Toilette oder so und kommt gleich wieder.
Ich bahne mir einen Weg zum Wohnzimmer und lasse mich auf einem freien Platz am Ende der Couch nieder.
Kurz blicke ich mich um und prompt reicht mir auch schon jemand einen Becher in die Hand. Misstrauisch beäuge ich das Getränk. Dem Geruch nach zu urteilen müsste es sich um Whisky handeln. Vermutlich gemischt mit Cola. Ich kann deutlich riechen, dass es sich um eine ziemlich starke Mische handeln muss. Vielleicht wird die Party ja doch lustiger, wenn ich tatsächlich etwas trinke. Zumindest bin ich, sobald ich etwas angetrunken bin, nicht mehr ganz so schüchtern. Und vielleicht komme ich so dann mit jemandem ins Gespräch, solange Nate noch nicht da ist.
Also nehme ich einen Schluck und spüre sofort das vertraute Brennen in meiner Kehle, welches ich noch von meinen Alkoholexzessen damals kenne.

»Du siehst aber nicht so aus, als würdest du oft auf Partys gehen, Prinzessin«, höre ich jemanden sagen. Meint die Person mich?
Als ich mich umdrehe, steht hinter mir ein junger Mann. Er scheint in Nate's Alter zu sein. Seine grünen Augen scheinen mich zu durchbohren. Ähnlich wie Nate hat auch er Piercings und Tattoos. Seine Haare sind dunkelbraun und er hat niedliche Locken.
»Bitte?«, frage ich. »Erstens, nenn mich nicht Prinzessin. Zweitens, du weißt gar nicht, was ich in meiner Freizeit treibe. Und drittens, was fällt dir eigentlich ein, mich so dumm von der Seite anzumachen?« Meine Schlagfertigkeit überrascht mich, doch es ist ein verdammt befreiendes Gefühl. In Florida hätte ich nicht so reagiert. Aber jetzt hier, bei fremden Menschen, fällt mir das erheblich leichter.
»Ziemlich schlagfertig für jemanden, der ganz allein hergekommen ist. Das gefällt mir, Prinzesschen...« Der junge Mann muss lachen und beugt sich vor, um zu sehen, was sich in meinem Becher befindet.
»Ich kann den Alkohol bis hierher riechen. Meinst du nicht, dass die Mische etwas zu extrem für dich ist?« Noch immer scheint sein Blick mich zu durchbohren. Und erst jetzt fällt mir auf, dass er mit einem Akzent spricht. Ich versuche mich nicht von ihm provizieren zu lassen und atme tief ein und aus. Dabei fixiere ich das Piercing in seiner Augenbraue. Ob er wohl ein Freund von Nate ist? Bisher habe ich hier nicht viele Leute mit so auffälligen Tattoos und Piercings gesehen.
»Das hast du nicht zu entscheiden«, sage ich schließlich »Ob du es glaubst oder nicht, aber ich vertrage eine Menge... Prinzesschen«, füge ich hinzu und versuche, ihn mit dem lächerlichen Spitznamen nun genauso auf die Palme zu bringen, wie er es bei mir getan hat. »Und allein bin ich auch nicht hier.«
Allerdings scheint meine Antwort ihn kalt zu lassen. Stattdessen lacht er bloß.
»Du gefällst mir. Dann zeig doch mal, wie viel du verträgst. Ich wette du schaffst es nicht, den Becher zu exen«, fordert er mich heraus.
Eigentlich wollte ich nicht viel trinken, und vor allem auch nicht so schnell. Aber der Typ nervt mich und irgendwie habe ich das Gefühl, mich ihm gegenüber beweisen zu müssen. Ohne ein weiteres Wort hebe ich den Becher an meine Lippen und exe ihn, so wie von mir verlangt. Natürlich ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Das vertraute Brennen ist zurück und erinnert mich an eine Zeit, an die ich eigentlich nicht zurückdenken will.
Nachdem ich den Becher ausgetrunken habe, lecke ich mir über die Lippen und stelle den Becher auf den Tisch. Der Typ applaudiert und lacht leise.
»Respekt, Püppchen, ich...«
»Hardin, lass das arme Mädchen in Ruhe!« Ein Mädchen gesellt sich zu uns. Ihr Haar ist feuerrot, was irgendwie echt cool aussieht. Ebenso wie Nate und der Typ, der offenbar Hardin heißt, hat auch sie zahlreiche Tattoos.

Feeling invisibleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt