Prolog
01.02.1999 Meadfoot Beach, Torquay
Es war ein kalter Tag in Torquay, an der Englischen Riviera.
Ich stand an meinem Fenster und sah nach draußen. Von meinem
Zimmer aus konnte man den größten Teil des Meadfoot Beach's
sehen. Meistens waren dort sehr viele Menschen aber jetzt,
spät in der Nacht, konnte man keinen Menschen am Strand sehen.
Mir gefiel der Anblick des leeren Strandes. Es sah so ruhig und
natürlich aus. Das einzige, was man jetzt noch hören konnte, war
der Regen. Normalerweise regnet es nicht wirklich oft in Torquay.
Es ist sehr warm hier. Aber heute regnete es in Strömen. Ich seufzte.
schon seit Stunden konnte ich kein Auge zudrücken. Vielleicht hätte
ich nicht so früh ins Bett gehen sollen? Aber anstatt bei meiner
Familie und ihren Freunden zu sitzen und ihren sinnlosen Gesprächen
zu lauschen, war ich lieber alleine in meinem Zimmer. Aber etwas
störte mich noch: Mason war auch unten. Mason war der Sohn von
den besten Freunden meiner Familie. Er war zwei Jahre älter als
ich, siebzehn. Wir kannten uns schon seit unserer Kindheit, aber
wir wurden keine Freunde. Ein Grund dafür war, dass Mason sich oft
sehr distanziert verhielt und nicht viel redete. Er sah auch oft
gelangweilt aus, so, als ob ihn das stören würde, dass meine Familie
und seine so gut befreundet waren. Manchmal fragte ich mich, ob nicht
vielleicht ich diejenige war, die ihn störte. Vielleicht konnte er mich
einfach nicht ausstehen? Warum, wusste ich nicht. Aber wenn er wüsste,
was ich für ihn empfand, würde er vielleicht anders reagieren.
Eine Träne lief mir über die Wange. Ich hätte mit ihm darüber reden
sollen. Ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte. Aber ich hatte einfach
Angst vor seiner Reaktion. Ich seufzte. Hier stehen und weinen brachte
nichts. Er wusste ja nicht, wie ich mich fühlte. Und überhaupt, es
wäre ihm auch egal. Leise schlich ich mich aus meinem Zimmer und lief
die Treppe runter. Aus dem Wohnzimmer hörte ich Gelächter. Typisch.
Keiner wusste, wie ich mich fühlte. Es nahm keiner Notiz von mir.
Dazu waren meine Eltern viel zu beschäftigt mit anderen Dingen.
Wie zum Beispiel mit der Organisation des großen "Summer Festivals".
Alle aus meiner Familie waren dazu eingeladen. Wir würden einige
Tage lang am Strand feiern. Und zwar genau an diesem Strand.
Dem Meadfoot Beach. Und dann würde der Strand nicht mehr so ruhig
und still sein. Er wäre überfüllt mit lachenden, trinkenden Leuten.
Und ich würde in der Mitte von all diesen Leuten stehen und so tun,
als ob das der schönste Tag meines Lebens wäre. Aber innerlich würde
ich schreien und darauf warten, dass das alles vorbei wäre. Ich lebte
nicht das Leben, das ich mir wünschte. Ich war nur ein reiches,
verwöhntes Mädchen, das mit ihrer Familie in einer Villa in Coventry
lebte und für einen Jungen schwärmte, der sich überhaupt nicht für
sie interessierte und nur deshalb voller Kummer und Sorgen war.
Manchmal kam ich mir so vor, als würde ich übertreiben. Es gab
schließlich genug Menschen, die ernstere Probleme hatten. Und ich
hatte alles, was das Herz begehrt, und war trotzdem unglücklich.
Aber Reichtum war nie das, was ich wollte. Eine Villa, ein gigantischer
Garten, mehrere Autos, Butler und Dienstmädchen, das war nicht das,
was ich wollte. Meine Familie hatte alles, was materiell war aber
so etwas wie Glück gab es gar nicht bei uns. Es war alles nur gespielt.
Meine Eltern waren mit ihrer Arbeit beschäftigt, mein großer Bruder
Andrew hatte seine eigenen Probleme mit Alkohol und ich, Evelyn,
sehnte mich nach mehr Aufmerksamkeit. Ein Butler, ein Dienstmädchen,
konnten meine Eltern nicht ersetzen. Privatunterricht kann den
Unterricht in einer Schulklasse nicht ersetzen. Das ist einfach nicht das,
was einen Menschen glücklich macht. Und trotzdem dachten viele
Menschen: "Oh seht nur, wie reich die Cords sind! So viele Autos und so
eine große Villa! Die sind bestimmt überglücklich." Doch der Schein trügt.
Reichtum macht blind. Man sieht einfach nicht mehr, was wirklich wichtig im Leben ist. Und so ging es mir mit meiner Familie. Noch nie hatte ich mit jemandem über meine Gefühle gesprochen. Nur einmal wollte ich es Mason erzählen, er würde mich aber verraten.
Auch meinen Eltern erzählte ich nichts. So etwas interessierte meine Eltern sowieso nicht.
Wir redeten nicht über Gefühle oder Probleme... aber daran war ich ja gewöhnt.
So war ich aufgewachsen. Leise öffnete ich die Tür, der Wind blie mir die Haare ins Gesicht und der Regen durchnässte sofort mein Kleid. Aber es machte mir nichts aus. Barfuß lief ich über den Sand und sah dabei auf das Meer. Heute war Vollmond und daher erhellte der Mond den pechschwarzen Himmel mit seinem silbrigen Licht. Ich erschrak mich als ich einen Schritt ins Wasser wagte. Es war wirklich eiskalt. Ich lief weiter und war bis zu den Knien im Wasser. Ich lächelte und summte ein Lied, dass ich Mason mal singen gehört hatte, als er diesen Strand entlang spazierte. Es war 'Halfway Gone' von Lifehouse.
"You were always hard to hold so letting go aint easy, I'm hanging on your growing cold,
while my mind is leaving. Talk is cheap give me your word you can keep. Cause I'm halfway gone and I'm on my way and I#m feeling, feeling, feeling this way. Cause your halfway in but don't take too long cause I'm halfway gone, I'm halfway gone..."