Vorsichtig taste ich mich mit einer Hand am Geländer die Leiter hinauf. Auf der anderen balanciere ich das Tablett. Die hochgestellten Persönlichkeiten essen im Steuerhaus und es wurde darum gebeten, dass ich serviere. Die Suppe für die Mannschaft erhalten die Herren nicht. Das ist gut, denn ich komme mit der Schräglage des Schiffes nur bedingt zurecht. Fest steht, dass ich es mit dem Tablett bis zum Steuerhaus schaffen sollte, da die Offiziere sonst kein Fleisch haben. Sie und Mael Laon dei Savren, der Mler d' Eartha. Der mächtigste Mann der mir bekannten Welt. Er ist es, der verlangt hat, dass ich serviere. Warum, kann ich nur raten doch meine Gedanken dazu gefallen mir wenig. Er hat mir Kleider bringen lassen. Schlicht und für Männer, jedoch aus durchaus solidem Stoff. Jetzt bringe ich ihm das Essen. Was wird er als Nächstes wollen? In meinem Magen breitet sich ein seltsames Gefühl aus. Egal was er verlangt, ich werde es tun müssen. Es ist sein Recht, mich notfalls zu zwingen. Ich gehöre ihm und das nicht nur im übertragenen Sinne.
Nur, was tue ich, wenn er etwas fordert, dass ich unter keinen Umständen geben will?
Ich atme tief durch. Konzentriere mich ganz auf den Geschmack der Luft, der hier auf dem Meer völlig anders ist als in Lorana oder Andor. Die Küste ist am Horizont noch schwach zu sehen. Ich gehe darauf zu. Das Steuerhaus liegt im hinteren Teil des Schiffes. Der hohe Aufbau, in dem auch gegessen wird.
Ein Diener öffnet die Tür, bevor ich klopfe.»Das wurde Zeit! Kriechst du immer so? Ich hoffe, das Zeug ist nicht inzwischen kalt!«
Meine Sprache spricht er nahezu akzentfrei, während er zur nächsten Tür vorauseilt. Dahinter steht der bereits gedeckte Tisch. Ungeduldig klopft er mit der Hand in die Mitte, wo ich die Gefäße abstellen soll. Ich will gerade verschwinden, als er mich am Arm greift.
»Du sollst bei Tisch bedienen. Hast du das schon einmal getan?«
Ich schüttele den Kopf. In der Färberei war niemand, den man hofieren musste. Als mein Vater mich in sein Haus holte ...
»Ich habe einmal Diener dabei beobachtet«, erwidere ich etwas lahm, als er die Brauen hebt.
»Du stehst neben der Tür, bis alle sitzen. Den Mler d' Eartha bedienst du zuerst. Danach den Kapitän, General Hiaseyl, den ersten Offizier ...«
»Halt.« Ich hebe die Hand. »Ich kenne nur den Mler d' Eartha. Kannst du die anderen beschreiben?«
»Götter!« Er schlägt die Hände vors Gesicht. »Unterscheide sie an den Rangabzeichen.«
»Wie sehen die aus?«
Er starrt mich ungläubig an. »Ich dachte, du kommst aus einem hohen Haus? Gab es da keine Feste?«
»Ich bin Vea da Sais Lorana. Ich war in einer Färberei.«
Er spitzt den Mund und stößt einen leisen Pfiff aus als er versteht. »Verdammt! Also der Kapitän ...«
Die Tür fliegt auf und ein weiterer Diener steckt den Kopf herein.
»Sie kommen!«
Der Erste flitzt zur Tür und stellt sich daneben in Positur. Ich will es ihm nach tun, aber er macht eine Handbewegung, die mich auf die andere Seite der Tür weist.
»Vom Mler aus rechts, links und dann rechts herum und hoffe, dass sie richtig sitzen«, zischt er mir noch zu. Ich erinnere mich. Der Ehrengast saß rechts von meinem Vater, links seine Frau. Rasch versuche ich mir in Erinnerung zu rufen, was die Diener bei den Mahlzeiten getan haben. Wein einschenken, das Essen auf die Teller legen ... Zuerst das Fleisch. Wobei ... Meist gab es ein Gericht vor dem Hauptgang. Welche von den Schüsseln, die ich hergetragen habe, enthalten die Vorspeise?Fünf Männer betreten den Raum, von denen mir einer bekannt ist. Er trägt schwarz, jedoch keine Magierroben. Der zweite Mann überragt ihn um gut einen Kopf. Seine Haut ist von der Sonne gebräunt und das dunkle, leicht ölige Haar hat er nach hinten gebunden. Über der linken Schulter hängt eine schwarze Schärpe, wie die Soldaten der Garde sie benutzen. Allerdings aus feiner Seide. Der General? Die restlichen Drei tragen Uniform. Bei einem von ihnen sind Haar und Bart von grauen Strähnen durchzogen. Er ist derjenige, dem die anderen den Vortritt durch die Tür gelassen haben. Auf der Brust seiner leuchtend roten, mit einer Doppelreihe silberner Knöpfe geschlossenen Weste, prangt ein Dreieck. Die Spitze ist ein wenig nach rechts verschoben, was es wie eines der Segel am vordersten Mast wirken lässt. Ein Blick auf die Brust der übriggebliebenen sagt mir, dass ich es hier nicht so einfach habe. Der eine trägt ein Zeichen ganz wie der Kapitän, nur dass seinem Segel die Basis fehlt, der Zweite lediglich einen, senkrechten Balken. Viel Zeit bleibt mir nicht zu beobachten, wie sie miteinander umgehen. Ich eile an den Tisch und hoffe, dass die Vorspeise sich in den zwei kleineren Schüsseln befindet. Der Wein steht in Krügen bereit. Ich verneige mich vor Mael Laon dei Savren und halte einen der Krüge vor seine Augen. Als er nickt, schenke ich ihm und dann den Übrigen ein. Zumindest er, der General und der Kapitän sitzen in der richtigen Ordnung. Die anderen beiden beschweren sich nicht, als ich sie in der Reihenfolge der Tischordnung bediene. Es muss also stimmen. Jetzt die Vorspeise. Vorsichtig hebe ich einen der Deckel an. Aus dem Augenwinkel bemerke ich das Kopfschütteln des Dieners an der Tür. Die große Terrine? Ein Nicken und ich entferne den Deckel vollständig. Als alle die Vorspeise aus ihren Schalen löffeln, ziehe ich mich zur Tür zurück und werfe dem Diener einen dankbaren Blick zu. Er hebt leicht die Mundwinkel und weist mit dem Kinn in Richtung Tafel. Ich wende meine Aufmerksamkeit dort hin und sehe, wie der General seinen Becher nach einigen kräftigen Schlucken absetzt. Rasch eile ich hin, um ihm nachzuschenken. Die restlichen Becher sind gut gefüllt. Ich gehe wieder zur Tür und behalte den Tisch gut im Auge. Die Diener im Haus meines Vaters servierten den nächsten Gang immer dann, nachdem er den Ersten beendet hatte.
Im Verlauf des Essens frage ich mich, weshalb der Mler d' Eartha gewünscht hat, dass ich anwesend bin. Weder richtet er das Wort an mich, noch beachtet er mich auf irgendeine andere Weise. Es ist mir durchaus recht so und ich bin mir auch nicht sicher, wie ich reagieren würde, täte er es. Das einzig Angemessene wäre, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, sobald er sie andeutet nur entfacht dieser Mann in mir einen Widerstand, der mich selbst erschreckt. Alles an ihm ist auf eine seltsame Weise faszinierend. Genau das macht mir Angst. Ein wenig erinnert er mich an Feuer. Großartig, stark und auf seine ganz eigene Weise wunderschön. Im selben Atemzug jedoch tödlich und in der Lage alles zu Asche zu verbrennen, was es berührt, während man noch fasziniert zuschaut. Ob Mael Laon auf diese Weise den Krieg mit meinem Land gewonnen hat?Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als exakt dieser Mann seinen Becher mit einem deutlichen Geräusch auf dem Holz des Tisches absetzt und sich erhebt. Die anderen tun es ihm nach. Rasch verneige ich mich und trete neben der Tür zur Seite. Jetzt im Hinausgehen trifft mich sein Blick. Nur kurz, aber es genügt, um die Botschaft zu übermitteln.
»Konzentriere dich bei einer Schiffsreise auf das Wasser, nicht auf das Feuer.«
Der Satz erscheint in meinen Gedanken und füllt sie aus. Wasser? Feuer? Ein schnippen vor meinem Gesicht weckt mich auf. Der Diener grinst mich an.
»Sofern du selbst was essen willst, solltest du die Reste in die Küche zurückbringen und nicht träumen.«
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Vea
FantasyIhr größter Traum wird wahr, ihre größte Sehnsucht erfüllt ... und verwandelt sich in einen Alptraum. Und alles, was sie kannte, scheint verloren. Vea freut sich, als ihr Vater sie als seine Tochter anerkennt. Dann muss sie erkennen, dass er dies...