Wunderkind

Amber Shafer

Erkenntnis durchströmte mich, alles ergab plötzlich für mich Sinn: Die Endlichkeit des Universums, die Existenz der Menschheit, der Tod...

Auf einmal wurde alles weiss, es war so hell, dass ich das Gefühl hatte, ich erblindete. Trotz dessen, dass ich meine Augen zu hatte, konnte ich das Licht förmlich spüren, wie es sich in meinen Körper bohrte. Jemand schrie, aber es war eher wie das Weinen eines Neugeborenen.

Ich brauchte eine Weile, um zu merken, dass das Schreien von mir kam, und ich verstummte sofort.

Es roch überall nach Krankenhaus, ich hasste diesen Geruch. Ausserdem war mir total kalt, und ich bemerkte, dass ich splitterfasernackt war. Abrupt öffnete ich die Augen, was ein grosser Fehler war, denn erst konnte ich überhaupt nichts erkennen, es war einfach alles weiss.

Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Licht, ich erkannte Formen und Umrisse. Plötzlich wurde ich gepackt und wärme floss durch meinen Körper. Irgendetwas weiches wurde um mich gewickelt und ich wurde hochgehoben.

Vorsichtig öffnete ich meine Augen erneut, ganz langsam. Vor mir war jemand, ich konnte nichts genaueres erkennen, aber es war ganz sicher ein menschliches Wesen.

Es war eine Frau, ich konnte ihre langen, schwarzen Haare nun besser erkennen, sie lächelte mich an, mir kam dieses Lächeln bekannt vor, ich hatte es schon einmal gesehen, aber hatte vergessen, wann und wo dies war.

Die Frau nahm mich ganz sachte zu sich und begutachtete mich. Ich fühlte mich bei ihr wohl, und wollte nicht mehr von ihr weg, von ihr getrennt werden.

Ich schaute der Frau in die Augen, sie waren von einem wunderschönen Blau. Diese perfekten, blauen Augen erkannte ich, aber das war unmöglich, deren Besitzerin war tot, und das seit meinem siebten Lebensjahr.

Aber sie war es, hundertprozentig, daran führte kein Weg vorbei. Diese zierlichen Gesichtszüge, die kleine Stupsnase, die mandelförmigen Augen: Das war sie, meine Mutter.