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Ein letztes Mal nehme ich meine ganze Kraft zusammen, um auch den letzten Umzugskarton in den Wagen zu heben. Als ich hörte, wie er auf dem Boden aufkommt, lasse ich erschöpft meine Arme schlaff nach unten hängen und atme schnell. Ganze vier Stunden hatte es gedauert alle Kartons sauber und sorgfältig übereinander in den Umzugswagen zu verstauen. Ich wusste es schon seit ein paar Monaten, dass meine Mutter und ich von hier weg ziehen werden, doch nie konnte ich mir es so komisch und fremd vorstellen. Das Gefühl sein Heimatsort zu verlassen ist mir fremd. Doch nun muss ich mich daran gewöhnen. Ich laufe von dem Wagen in das Haus und eine angenehme Kühle kommt mir entgegen. Das Verstauen hatte mich ins Schwitzen gebracht und durch die knallende Sonne am Himmel, bildeten sich noch mehr Schweißperlen auf meiner Stirn. Ich laufe noch wahrscheinlich ein letztes Mal durch das Haus. Alles ist ausgeräumt. Jegliche Möbel und Dekoration, alles ist einfach weg. Es ist leer. Traurig. Unbelebt. Es herrscht für eine Zeit einfach kein Leben mehr hier drin. Ich bin nun auch in meinem Zimmer angekommen und schaue es mir noch mal gründlich an. Ich will mich später noch an alles genau erinnern können. Welchen Boden es hat, der Geruch, wie die Lichtverhältnisse sind und die Größe. Ich lasse einfach meine Augen durch das leere Zimmer wandern und stelle es mir bewohnt und lebendig vor. Das gab mir jetzt bessere Laune. Ich laufe, die immer noch quitschende Treppe runter und begegne meiner Mutter, die mich auffordert, endlich aufzubrechen. Schweren Herzens lasse ich die Tür ins Schloss fallen und steige ins Auto ein. Mein Vater ist nirgends zu sehen. Warum soll er auch? Er hat sich immer einen Scheiß um uns gekümmert. Daran zu denken gibt mir einen Stich ins Herz.

Meine Mutter startet den Motor und das Auto rollt vom Hof. Wie sehr ich das alles vermissen werde. Mein Zuhause, meine Freunde, die Schule, einfach alles. Der Abschied von meinen Freunden war nicht der Leichteste. Wir heulten die ganze Zeit und konnten uns ein Leben ohne einander gar nicht mehr vorstellen. Ich kann mir mein Leben nicht in England vorstellen. Allgemein in keiner Stadt. Ich liebe es in einer ländlichen Umgebung zu sein und in keiner Stadt. Ich werde die zwitschernden Vögel, die vor meinem Fenster immer herum flogen, vermissen. Genauso die frische Luft.


"Samantha?"


Ich sehe auf. Ich habe gar nicht bemerkt, dass meine Mutter ein Gespräch mit mir anfangen wollte. Ehrlich gesagt habe ich darauf auch keine Lust, aber um unnötigen Streit mit meiner Mutter anzufangen, frage ich was sie wolle.


"Alles okay mit dir?"


"Ja."


"Du hörst dich müde an. Schlaf ein wenig, wir haben noch neun Stunden Fahrt vor uns."


Ich nicke und schlief nach einer Weile ein.

×××

Das Haus war um einiges größer als das Alte und die Nachbarshäuser waren eng an den Anderen gebaut, sodass man nur springen musste um auf den Nachbarsbalkon zu gelangen. Der Umzugswagen stand schon vor dem Haus und zwei muskulös gebaute Männer trugen alle Sachen hinein. Meine Mutter klackerte fröhlich in das Haus hinein während ich dabei war auszusteigen. Eine leichte Brise kam mir entgegen. Ich nahm einen tiefen Atmezug. Ich will jetzt schon zurück. Seufzend lief ich um das Auto um an der zur Straße stehenden Autoseite unsere Wertsachen rauszuholen. Als ich die Tür schloss raste ein Motorrad knapp an mir vorbei und voller Überraschung fiel ich um und die Wertsachen fielen aus der Tasche. Wer rast hier auch so knapp an Anderen vorbei! Wütend schüttelte ich den Kopf, platzte fast und sammelte die heruntergefallenen Wertsachen auf. Sie waren alle verstaut als ich das neue Haus betrat. Es war hell und überall standen schon die gefüllten Umzugskartons, die danach schrien, leer geräumt zu werden. Neugierig schaute ich mich um. Es gefiel mir, aber nur das Haus. Die Umgebung ist nicht mein Geschmack. Die ganzen Hochhäuser, Straßen und das wenige Grün. Ich vermisse die Vögel und die Bäume, die im Wind rascheln und bei Sonnenschein einem Schatten spenden. Genauso liebe ich es, auch wenn es manchmal aufregte, das laute Bellen des Nachbarshund und das Geschreie des Herrchen, dass es endlich ruhig sein soll. Ich liebte und liebe immer noch das ländliche Leben. Ich hasse Großstädte nicht, sie haben nur keine große Bedeutung für mich. Ich akzeptiere die Meinung anderer Leute, wenn sie meinten in der Stadt sei das Leben viel einfacher. Ich dachte mir dazu nur meine Meinung und ließ sie reden.

Die Treppe quietschte nicht, so wie die Alte und im oberen Bereich wurde ich von einem der Männer unsanft an die Wand geschubst. Meine Schulter prellte gegen die Wand und ich zischte kurz auf. Der Mann hat es nicht bemerkt und lief in aller Ruhe die Treppe hinunter. Ich rieb mir über die Schulter und fuhr leicht über die pochende Stelle, an der höchst wahrscheinlich ein blauer Fleck entstehen wird. Warum ausgerechnet heute? Kann es noch schlimmer werden, an meinem ersten Tag im neuen zu Hause?

Ich betrat mein Zimmer und staunte. Es war um einiges größer und heller und so sehr ich mein Altes auch vermisse, fühlte ich mich auf Anhieb in diesem hier wohl. Ich ließ meine Finger über die weiße Kommode neben meiner Tür gleiten und lief in langsamen Schritten zum Fenster. Ich hatte einen Balkon, der sehr nah, wirklich sehr nah, an dem Nachbarshaus angebaut ist. Sofort öffnete ich fröhlich das lange Fenster und stolzierte hinaus. Das Haus war nicht hoch, dennoch könnte ich mir sicher etwas brechen, wenn ich runter springen würde. Ist ja auch logisch. Ich schaute in das Nachbarsfenster und Ekel überkam mich. Durch die saubere Fenster konnte ich Poster von nackten Frauen sehen und ein Junge mit einem Mädchen auf dem Bett. Warum heute? Schnell drehte ich mich um und ging zurück ins Zimmer, um dem Pärchen Ruhe geben. Dort schloss ich die Balkontür und stellte die Tasche mit den Wertsachen, die ich die ganze Zeit umhatte, auf den Boden.


"Samantha!"


Ich verdrehte die Augen. Neues Haus heißt wohl nicht gleich anderes Verhalten, leider. ich ging die Treppe hinunter und wusste schon was mich erwartet. Haufenweise gestapelte Kartons, die ich einräumen sollte. Seufzend nahm ich mir als Erstes die Küche vor und räumte Karton nach Karton alles ordentlich ein, während meine Mutter Einkaufen ging. Nach gefühlten achtzig Stunden waren die Küchenkartons leer und die restlichen vier Zimmerkartons mit je drei Kartons standen noch vor mir. Ich räumte gerade das Regal mit allen Filmen, die wir besaßen ein, als die Haustür klingelt und ich sie müde öffnete. Ich hatte meine Mutter erwartet, doch vor mir stand ein großer muskulös gebauter Junge mit braunen Locken, die einen leichten lila Ton hatten. Seine Augen schauten mich genervt an und an seiner Augenbraue und Lippe befanden sich Piercings.


"Fertig mit glotzen!"


Ich zuckte bei seine, scharfen Ton zusammen und schaute ein wenig beschämt nach unten. Seine Arme waren mit Tattoos übersät und in seiner rechten Hand hielt er eine Kette. Meine Augen weiteten sich, da es genau diese Kette ist. ich hatte sie von meinem Vater geschenkt bekommen. mein Name war dort eingraviert.


"Das muss deine sein".


Er streckte mit die Kette hin und ich nahm sie ihm ab. Dabei strichen unsere Finger sich und die Kälte seiner Finger bereiteten mir Gänsehaut. Er schien das zu bemerkten und grinste leicht, wobei er sich auf die Unterlippe biss.

"Danke!", krächzte ich und versuchte nicht eingeschüchtert zu sein und lächelte. Er wieder rum drehte sich auf dem Absatz um und verschwand. Komischer Typ.


Darkness || h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt