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Müde und total fertig, aufgrund des Schlafmangels, werde ich von meinen Zofen geweckt. Sie haben heute ganz schön viel zu tun, um mich für die Kameras ansehnlich zu machen. Heute Abend werden alle zum ersten Mal die 35 Auserwählten sehen, auch ich. Ein Schauer läuft über meinen Rücken, allein bei dem Gedanken daran. Ich bereue es nicht mehr dagegen angekämpft zu haben, aber wahrscheinlich hätte ich so oder so verloren. Manchmal hat man, selbst als Prinzessin, keine Chance gegen den König.
„Sind Sie schon aufgeregt?" Holly versucht meine roten Haare irgendwie hoch zu stecken. Nach fast 17 Jahren haben sie es endlich geschafft mich nicht ständig so förmlich anzusprechen. Zum Glück. Es kommt mir so komisch vor.
„Nein, eigentlich nicht. Auch diese Fotos werden mich nicht weiter bringen. Es ist nur ein Gesicht. Dadurch lerne ich sie nicht kennen. Wozu also?" Dass ich darauf keine Lust habe und mir dieses Casting komplett egal ist, verheimlich ich ihnen. Sie unterhalten sich noch etwas darüber, aber ich höre nicht wirklich zu. Aber die Stimmen beruhigen mich. Die letzten Handgriffe nehme ich selbst vor. Ich suche meinen Schmuck aus. Eine einfach silberne Kette und ein paar Perlenohrringe. Fertig. Zum Glück sind die Zofen talentiert. Irgendwie haben sie es geschafft mich frisch und ausgeruht aussehen zu lassen. Ein Wunder.

Den Rest des Tages verbringe ich damit, mir irgendwelche Vorträge über die politische Situation, die Finanzen und was auch immer anzuhören. Erst am Abend geht es mit meinen Eltern auf die Bühne. Wir werden kurz eingewiesen und schon geht die Kamera ein und wir sind live im Fernsehen zu sehen. Der Moderator spricht, interviewt den König über die aktuelle Lage, und kommt dann zu mir. Leider. Wie ich diese Kamera hasse. Am liebsten würde ich gerade die Zunge rausstrecken und weglaufen. Als Kind habe ich das öfter getan, jetzt nicht mehr. Ich muss erwachsen wirken, auch wenn das nicht immer zutrifft.
„Prinzessin Elina. Heute werden Sie zum ersten Mal die Erwählten sehen. Sind Sie aufgeregt?" Schon wieder diese Frage. Die Frage, die mir jeder stellt. Ich will sie nicht schon wieder beantworten. Für einen kurzen Moment erwäge ich wirklich einfach die Zunge raus zu strecken, aber der Gedanke verfliegt wieder.
„Um ehrlich zu sein, bin ich es nicht. Die Aufregung kommt sicher erst, wenn ich sie kennen lernen werde. Ein Foto sagt nichts über den Charakter einer Person aus, welcher mir persönlich sehr wichtig ist. Ich werde mich also gedulden müssen, bis ich sie alle vor mir stehen sehe und mit ihnen reden kann."
„Haben Sie schon irgendwelche Vorstellungen über Ihren zukünftigen Ehemann, Eure Majestät?" Ich denke kurz über die Frage nach.
„Nein, nicht wirklich. Ich lasse das ganze einfach auf mich zukommen. Das Leben ist immer für Überraschungen gut. Ich möchte mich nicht gleich auf etwas festlegen."
„Vielen Dank, Prinzessin Elina. Kommen wir nun zu den Gewinnern." Eine Kamera ist genau auf mein Gesicht gerichtet. Ich würde sie am liebsten zerschlagen. Meine Eltern stehen neben mir. Meine Mutter legt eine Hand auf meine Schulter. Ein Zeichen, dass sie für mich da ist.
Die Namen gehen so schnell aus meinem Kopf raus, wie sie kommen. Ich merke mir nicht einen einzigen. Die Fotos zeigen natürlich nur ausgesprochen schöne Jungs. Alle verschiedenen Typen, die ich mir vorstellen kann. Es ist sogar ein Junge mit roten Haaren dabei, wobei ich gleich lächeln muss. Trotz guten Aussehens, ist keiner dabei, der mich auf Anhieb interessiert. Sie wirken alle langweilig.

Nach dem Auftritt wollen meine Eltern sofort mit mir sprechen, aber ich verziehe mich direkt in mein Zimmer und schicke meine Zofen weg. Ich habe keine Lust über die Fotos zu sprechen, die überhaupt nichts aussagen. Ich warte bis es dunkel ist. Zwischendurch kommt eine Zofe rein und bringt mir die Anmeldungen der Erwählten. Ich schaue nicht rein. Wie spannend kann das denn sein? Vermutlich gar nicht.

Als es spät genug ist, schleiche ich mich wieder raus. Ich wecke Nico und wir gehen zu den Ställen. Doch anstatt die Pferde zu füttern und zu streicheln, lasse ich mich gleich ins Heu fallen. Nico steht an der Tür. Ich warte auf seine Sorgen, aber er bleibt ruhig.
„Heute keine Ansprache?", frage ich verwundert.
„Nein, Miss. Ich glaube, Sie hatten heute genug Aufregung." Er kommt etwas näher und setzt sich neben mich.
„Du sprichst von diesen dummen Fotos, nicht?"
Nico nickt und sieht mich an. Er sagt nichts, aber ich weiß auch so, was er gerne fragen will.
„Ich will das Ganze nicht. Ich will nicht, dass sie in dem Palast rumrennen. Ich will nicht, dass mich alle dabei beobachten und ich will schon gar nicht einen von ihnen heiraten." Ich schaue nun auch zu Nico. Seine Augen weiten sich ein wenig.
„Ihr müsst einen von ihnen heiraten, Prinzessin."
„Aber das will ich nicht. Ich kenne schon denjenigen, den ich heiraten möchte. Ich brauch kein Casting." Ich drücke meinen Kopf tiefer in das Heu.
„Sie haben schon jemanden? Jemand hat Ihr Herz gewonnen?" Seine Stimme erhebt sich etwas.
„Kaum zu glauben, ich weiß. Aber es scheint, dass er es nicht weiß, und auch nicht so fühlt." Ich seufze. Warum sollte mich auch jemand lieben? Ich bin kompliziert und ganz sicher eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment explodieren kann.
„Aber Miss, ich kenne niemanden, der Sie nicht bezaubernd findet."
„Genau das ist das Problem. Bezaubernd. Ich will nicht bezaubernd sein. Es klingt so bescheuert, als wäre nur das Aussehen wichtig. Dabei ist es doch egal, wie man aussieht oder wieviel Geld man hat. Wichtig ist doch nur die Person dahinter."
Nico nickt, als verstehe er mich genau. Als hätte auch er schon darüber nachgedacht. Ich rücke etwas näher an ihn heran und setze mich auf, sodass unsere Arme sich berühren. Wir ziehen sie nicht weg. Ich drehe meinen Kopf zu ihm.
„Kann ich dich um einen Gefallen bitten?"
Auch Nico dreht seinen Kopf zu mir. Sein Gesicht ist jetzt ganz nahe an meinem. „Natürlich, Miss", antwortet er sofort und ich sehe, dass er es ehrlich meint. Ich schaue in seine Augen und vergesse kurz die Welt um mich herum. Ich vergesse meine Worte, unfähig überhaupt zu sprechen. Ich stottere und bekomme nichts zu Stande.
„Alles in Ordnung, Prinzessin?" Nico sieht besorgt aus, und die Falte über der Nase erscheint wieder.
„Was? Ja, klar. Alles gut." Ich konzentriere mich wieder auf die Realität. „Ist ja auch egal. Ich gehe jetzt schlafen, gute Nacht." Ich verschwinde. Nico ruft mir noch einmal leise nach, aber ich gehe weiter und schleiche wieder in mein Zimmer. Niemand hat mich gesehen, aber es wäre mir auch egal gewesen, wenn es so wäre.

Die Tage vergehen viel zu schnell. Der Tag der Anreise rückt immer näher, oder wie ich ihn nenne „Tag des Weltuntergangs". Ich war auch nicht mehr in den Ställen unten. Ich konnte einfach nicht, auch wenn es mir schwer fällt einzuschlafen. Als sie dann doch eintreffen, beobachte ich sie von dem Fenster aus.
„Geht es dir besser?" Meine Mom stellt sich neben mich und starrt mit mir aus dem Fenster.
„Kann ich dich etwas fragen?" Ich wende meinen Blick nicht von dem Fenster ab.
„Nein, wir können das ganze nicht mehr rückgängig machen, Schatz. Ich weiß, dass du nicht unbedingt dafür bist, aber gib ihnen doch einfach eine Chance. Wer weiß, was sich daraus ergibt. Und wenn du am Ende niemanden findest, dann ist das auch in Ordnung." Sie lächelt mir aufmunternd zu, doch ändert das gar nichts.
„Können wir sie einfach wegschicken?"
„Dafür ist es jetzt zu spät." Meine Mutter nimmt mich in die Arme. Ich liebe diese Moment, in denen wir nicht das Land regieren: Einfach nur wir beide, wie eine ganz normale Familie. „Du solltest jetzt hier weg gehen, sonst sehen sie dich." Ich nicke und verschwinde. Die Erwählten sollen mich erst morgen früh zum ersten Mal sehen. Wir unnötig.

Auf dem Weg in mein Zimmer mache ich einen Umweg, einfach nur um länger nachdenken zu können.
„Prinzessin." Nico verbeugt sich vor mir und kommt näher.
„Nico? Was machst du denn hier? Ich glaube ich habe dich noch nie im Palast selbst gesehen." Ich lächle. Wenigstens ein Stück Alltag für den heutigen Tag.
„Ich ..." Er sucht die richtigen Worte. „Ich muss mit Ihnen sprechen, Miss."
„Natürlich. Setzen wir uns." Wir gehen ein paar Schritte weiter zu einer kleinen Nische. Dort setzen wir uns hin. Es ist eine Art Bank vor dem großen Fenster. Ich sitze gerne an diesen Orten, meistens mit einem Buch in der Hand.
„Es ist ein wenig kompliziert", beginnt Nico. Er ist nervös. Das merkt man daran, dass er an seiner Kleidung rumspielt und sie zwischen den Fingern dreht. Er kann mich kaum ansehen.
„Ist schon gut. Du kannst es mir sagen."
„Nein, Miss. Es steht mir nicht zu. Ich bin doch nur ..."
„Nur was? Du bist mein Freund Nico. Schon soft habe ich dich nachts geweckt, und nie hast du dich beschwert. Du arbeitest den ganzen Tag und brauchst den Schlaf sicherlich. Trotzdem stehst du immer ohne zu meckern auf und verbringst so viel Zeit mit mir. Es steht dir also eindeutig zu, egal was es ist." Ich lächle ihn aufmunternd an, gespannt auf das, was er sagen möchte. Es scheint ihn so viel Überwindung zu kosten, aber dann atmet er schwer aus. Nico hebt seinen Blick und schaut mir in die Augen. Er öffnet den Mund, als wir unterbrochen werden.

„Prinzessin. Sie müssen schnell hier weg. Die erste Gruppe kommt gleich hier vorbei." Officer Parker steht neben mir und sieht hektisch aus.
„Einen Moment noch, Officer." Ich sehe wieder zu Nico.
„Nein, Eure Majestät. Es tut mir leid, aber wir müssen sofort gehen." Ich widersetze mich nicht. Es hat ja sowieso keinen Sinn. Als ich aufstehe, flüstere ich Nico noch etwas zu: „Heute Nacht." Er nickt kaum merklich, dann gehe ich mit meiner Begleitung weg.

Not a fairytale || selection ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt