"Tschüss, Carolina", sagt Mom, umarmt mich schnell und lässt mich sofort wieder los. Sie entknittert ihren Blazer und streicht den schwarzen Rock glatt. Dann schiebt sie ihre Sonnenbrille auf die Augen. "Wir werden dich vermissen."
Ich muss mich anstrengen, nicht zu lachen.
Meine Eltern sind fast nie zu Hause, entweder haben sie mehrwöchige Geschäftstermine in der ganzen Welt, oder sie sitzen den ganzen Tag vor ihren Laptops und arbeiten. Selber kochen, putzen, Wäsche waschen? Weit gefehlt. Wir haben eine Haushaltshilfe. Nur dass Melanie nicht nur hilft, sondern den ganzen Haushalt alleine schmeißt. Meistens helfe ich ihr dabei, weil sie sonst mit der ganzen Arbeit nie fertig werden würde.
Eigentlich sollte ich mit meinen siebzehn Jahren auf das Abitur lernen, doch meine Arbeiten sind eh fast nie schlechter als eine zwei und ich hasse Lernen.
Mein Vater kommt aus dem Haus. Er zieht zwei große Koffer hinter sich her, über seiner Schulter hängt Moms Handtasche. "Auf Wiedersehen, Carolina", meint er und gibt mir unbeholfen die Hand.
Ich bin das gewöhnt, meine Eltern halten nicht viel von Zuneigung und Liebe. Schon seit Jahren weiß ich, dass die beiden nur geheiratet haben, dass sie aus dem anderen ihre Vorteile ziehen können. Mom hatte Geld, Dad die Beziehungen. Jetzt hat jeder beides.
Nicht, dass sie mir das erzählt hätten; man kann es einfach sehen. Meine Eltern hatten noch nie Händchen gehalten, und ich hatte sie nur einmal küssen sehen, und das war auf ihrer Hochzeit vor neun Jahren, nach dem Satz "Sie dürfen die Braut nun küssen."
Ich nicke mit zusammengepressten Lippen. "Bis bald, Dad." Er dreht sich um und hievt das Gepäck in den Kofferraum, anschließend steigt er zu Mom in den grauen Porsche Cayenne.
"Bye Mom, bye Dad", rufe ich, als Dad den Motor anlässt. Durch die offenen Fenster müssen sie mich eigentlich deutlich hören konnen, doch keiner winkt oder antwortet mir. Wie immer, schießt es mir durch den Kopf. Ich bin nicht enttäuscht oder traurig, mir ist nur die mieserable Familiensituation ein weiteres Mal bestätigt worden.
Ich gehe zurück ins Haus und ins Bad. Dort lasse ich mir Badewasser in die übergroße Whirlpoolbadewanne ein.
Im Prinzip ist es mir egal, ob meine Eltern da sind oder nicht, es ist eh dasselbe. Wenn sie da sind, ist es still und keiner redet, wenn sie weg sind auch. Seit ich elf Jahre alt bin, gehen Mom und Dad regelmäßig für mehrere Wochen ins Ausland. Seit ich vierzehn bin, gebe ich Melanie immer frei, sobald Mom und Dad weg sind, bis sie wiederkommen. Denn das Kochen habe ich mir selbst beigebracht, und so viel Wäsche produziert eine einzelne Person wie ich nicht. Dank meines monatlichen, viel zu hohen Taschengeldes ist mein Kleiderschrank eh immer randvoll, was bedeutet, dass ich alles, was ich mehrmals getragen habe, nur auf einen Haufen vor der Waschmaschine schmeiße und diese einmal in der Woche laufen lasse.
Ich hasse Geld. Meine Eltern lieben es. Und sie denken, Geld könnte die mir fehlende Liebe und Zuneigung wieder wettmachen.
Das meiste von meinem Taschengeld lege ich zurück, damit ich mir später einmal ein kleines, gemütliches Häuschen am Stadtrand kaufen kann. Vom Rest kaufe ich mir Klamotten oder Bücher.Als die Badewanne fast voll ist, ziehe ich mich aus und steige in das angenehm warme Wasser.
Endlich allein.
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Eine kleine Unendlichkeit
Teen Fiction"Ich habe meine Entscheidung getroffen. Und ich bereue sie nicht." - Eine Jugendgeschichte voller Abenteuer, Liebe, Freiheit und einer kleinen Unendlichkeit.