Ort: Irgendwo dazwischen

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4. The Snow Falls Quietly

Dieses Nichts war herrlich. Es war schon eine Ewigkeit her, seit es das letzte Mal durchbrochen wurde. Wenn es nach ihm ginge, konnte es auch so bleiben. Denn selbst nach all den Jahrtausenden in unendlicher Stille, hatte er immer noch nicht genug bekommen.

Die Ruhe durchdrang ihn. Löste seine Gedanken in wirbelnden Nebelschwaden auf und ließ sie verdunsten. Er fühlte sich so leicht und frei. Er brauchte in seinem Zustand weder Schlaf noch Nahrung zu sich zu nehmen, was die Sache deutlich vereinfachte.

Seine Aufgabe bestand lediglich darin durch die Gegend zu schweben. Zumindest nahm er das an. Niemand hatte ihm gesagt, was er zu tun hatte. Genau genommen hatte er das letzte Mal, als er ein lebendiges Wesen gesehen hatte, das Weite gesucht.

Er war sich nicht vollkommen sicher, aber er nahm an, dass sie der Grund für seinen seltsamen Zustand waren. Ebenso wie das Gefühl, etwas verloren zu haben. Etwas unglaublich kostbares. Nur konnte er sich nicht erinnern. Wenn er es doch könnte! Es war ziemlich frustrierend einfach nur durch die Gegend zu schweben und nichts zu haben, worüber er nachgrübeln konnte. Denn in seinem Kopf herrschte eine undurchdringliche Leere. Ein großes Nichts. Wäre dort eine Wand gewesen, er hätte sie so lange malträtiert, bis sie einbrach, aber was auch immer es war, was er vergessen hatte; es war unwiderruflich verloren.

Nicht nur sein Körper hatte sämtliche Funktionen eingestellt, wenn er überhaupt einen besaß. Dessen war er sich in letzter Zeit nicht mehr so sicher. Auch sein Geist hatte sich verändert. Lediglich eine vage Vorstellung davon wie es war zu fühlen, war ihm geblieben. Aber mit jedem weiteren Atemzug, den er in dieser Leere tat, entfernte er sich immer weiter, vermutlich von allem, was er einmal gewesen war.

Vielleicht war das gar nicht so schlecht, versuchte er sich nicht gänzlich überzeugt einzureden. Denn sollte er damals böse gewesen sein, hatte er nun die Möglichkeit daran etwas zu ändern. Da er diese Theorie jedoch weder bestätigen noch widerlegen konnte, musste er weiter in dieser Ungewissheit existieren. Mehr war es nicht. Leben konnte man so etwas vermutlich nicht nennen.

Die Wolken blendeten ihn, sodass er die Augen zusammen kniff und für einen Moment glaubte einen unscharfen Schemen zu erkennen. Doch als er die Augen aufriss, war alles wie zuvor und er war alleine.

Einzig die Helligkeit hatte sich verändert. Vielleicht, dachte er seltsam fasziniert, bin ich ja im Himmel. Der schwache Hauch von vergangener Aufregung erfasste ihn und er blickte sich genau um. Aber außer den strahlend weißen Wolken war alles wie immer.

Zum ersten Mal versuchte er sich eigenständig fortzubewegen. Es funktionierte nicht. Natürlich. Weswegen auch immer er hier war, es wurde ihm nicht leicht gemacht. Also entspannte er sich wieder, wenn auch ein wenig widerwillig. Er musste wohl weiter abwarten und darauf hoffen, dass irgendetwas passierte.

Die Leere erfasste erneut seinen Kopf und zog ihn hinab in einen tranceähnlichen Zustand. Lähmte seinen Geist und machte ihn schwerfällig. Sein Körper war ohnehin an die Umgebung gebunden und somit nutzlos. Er ließ geschehen, dass das Nichts ihn auffraß und zu einer weiteren schwerelosen Wolke machte.

Vielleicht würde er eines Tages als Schnee die Erde verzieren und irgendwann in tausenden Einzelteilen schmelzen, bis nichts mehr von ihm übrig war. Es war ein tröstlicher Gedanke, der keine Angst zu ließ. Aber ohne diese Leere hätte es ihn bestimmt wütend gemacht. Er wollte nicht gleichmäßig über die ganze Welt verteilt werden. Weder in seiner jetzigen Materie noch als Schnee oder Regen. Wobei er sich nicht vorstellen konnte, irgendwann einmal zu fallen.

Sollte es einmal so weit kommen, hoffte er, es nicht mehr mitzubekommen. Es wäre eine Schande seine Existenz auf diesem Wege zu verlieren. Aber solange er keine Chance hatte etwas an seinem Zustand zu ändern, musste er wohl mit dieser paranoiden Angst ausharren. Bis etwas passierte.

Oder die Leere ihn erneut völlig in seine Gewalt brachte. Was nicht mehr so lange dauern dürfte, wie er feststellte. Sie hatte sich fest an seinen Gedanken festgekrallt und tauchte sie in blendendes Licht. Durchleuchtete ihn förmlich und saugte alles auf, was ihm bis jetzt noch geblieben war. Doch seine Angst blieb bis zuletzt.

Sein Innerstes erstarrte und klirrte fast vor Kälte. Aber er empfand nichts mehr. Alles war in blitzendes Eis getaucht und wartete sehnsüchtig darauf wieder aufgetaut zu werden.

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