2. Kapitel

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Als Puck die Tür öffnete, schlug ihnen der Geruch von gebratenem Essen entgegen. Während Ash die Stöcke nach links in die Abstellkammer brachte, ging Puck mit den Kindern nach rechts. Da ihr Baumhaus rundherum um den dicken Stamm einer Eiche gebaut war, mussten die drei durch Wohnzimmer und Esszimmer laufen, um die Küche zu erreichen. Im Esszimmer setzte Aerandir Ariadne gleich auf einen Stuhl an dem massiven, runden Holztisch. Dann ging er weiter zu dem kleinen Schrank und holte das Besteck um den Tisch zu decken. Als er fertig war, ging er in die Küche.

„Kann ich dir was helfen, Dad?"

„Ja, du kommst gerade richtig. Stell doch bitte schon einmal die Schüsseln mit den Pilzen und den Kräutern auf den Tisch. Dann kann ich die Kaninchen aus dem Ofen holen."

Aerandir tat wie geheißen und setzte sich dann zu Ash und Ariadne an den Tisch. Das Mädchen war vorhin wohl aufgestanden, da sie jetzt auf Ashs Schoß saß. Während er mit seinen Füßen wippte, summte er ein sehr altes Kinderlied vor sich her. Ash hatte seine Hände vor Ariadne verschränkt, sodass sie seine Finger gründlich begutachten konnte.

„Daddy?"

„Ja, meine Kleine?"

„Gehen wir später Blumen pflücken?"

„Ich denke, dass können wir machen", antwortete Ash mit einem Lächeln.

„Was können wir machen?", wollte Puck wissen, der gerade mit einem Holzbrett, auf dem zwei in Streifen geschnittene Kaninchen lagen, aus der Küche kam.

„Blumen pflücken", kreischte Ariadne als sie von Ashs Schoß glitt und sich auf ihren eigenen Stuhl setzte.

Nach dem Essen wurde Aerandir in der Wintermagie unterrichtet. Er sollte lernen, wie er die Eissplitter so steuern konnte, dass sie seine Feinde auch trafen.

Puck zeigte Ariadne derweil, was die Sommermagie alles konnte. Auch wenn sie noch klein war, konnte sie den Schein um sich herum trotzdem fühlen und beherrschte ihre Magie instinktiv. Sie musste nur lernen, sie zu steuern. Puck und Ariadne hatten sich einander gegenüber auf den Boden gesetzt. Beide blickten auf die Lücke zwischen sich. Ariadne sah zu, wie eine rote Blume durch den Erdboden brach und sich langsam öffnete. Sie bekam große Augen und klatschte begeistert.

Puck pflückte die Blume und steckte sie hinter Ariadnes Ohr.

„Die ist so schön. Danke, Daddy!", sagte sie und gab Puck einen Kuss. Puck nahm sie in den Arm und entgegnete: „Meine kleine Prinzessin. So, und jetzt bist du dran. Spürst du den Schein um dich herum?" Als Ariadne nickte fuhr er fort: „Dann schließ jetzt die Augen. Stell dir vor, wie die ganzen bunten Farben zu dir kommen und auf deiner Hand sind." Er nahm ihre Hand und hielt sie mit der Handfläche nach oben. „Öffne die Augen wieder."

Ariadne fing an zu kichern, als sie ihre Hand betrachtete, die nun von lauter Schein umgeben war. „Jetzt legst du deine Hand auf den Boden und stellst dir vor, wie der Schein auf deiner Hand in die Erde geht." Als Ariadnes Hand nicht mehr von der Magie umgeben war sagte Puck: „Stell dir eine rote Blume vor, die aus dem Boden kommt. Genauso wie du es gerade gesehen hast."

Mit zusammengekniffenen Augen blickte Ariadne höchst konzentriert auf die Erde. Doch es wollte nichts passieren. Gerade als sie aufgeben wollte, bekam der Boden Risse. Mit weit aufgerissenen, strahlenden Augen und einem triumphierenden Grinsen blickte sie zu ihrem Vater. Ebenfalls mit einem breiten Grinsen und einem stolzen Funkeln in den Augen meinte er: „Das hast du sehr gut gemacht. Meinst du, du schaffst noch mehr?"

„Ja!", rief Ariadne und konzentrierte sich erneut. Der Boden brach weiter auf, und eine kleine Knospe schob sich an die Oberfläche. Ganz langsam öffnete sich die Blume, die eine kleinere Version von Pucks war. Das Mädchen sprang mit einem Kreischen auf und tanzte um die Blume herum, während sie immer wieder sang: „Ich hab's geschafft! Ich hab's geschafft!"

Ashs Stimme erklang und fragte, was es denn zu feiern gäbe.

Ariadne lief zu ihm und wurde sofort hochgehoben. „Ich kann jetzt Blumen wachsen lassen. Jetzt müssen wir gar nicht mehr so weit weg gehen, wenn wir welche pflücken wollen", berichtete das Mädchen mit einem ernsten Gesichtsausdruck.

„Das hast du gut gemacht. Ich bin sehr stolz auf dich. Weißt du, auf wen ich noch stolz bin?", fragte Ash und bekam ein Kopfschütteln als Antwort. „Auf deinen Bruder. Er hat heute auch was ganz tolles gelernt. Möchtest du es sehen?"

„Ja!", rief Ariadne und blickte erwartungsvoll zu Aerandir. Dieser fixierte einen Ast an und hob dann die Hand. Ein Eissplitter sauste auf den Ast zu und trennte ihn vom Rest des Baumes. Er fiel mit einem Fauchen auf den Boden.

„Seit wann gibt es fauchende Äste?", fragte Puck mit einem verwirrten Blick auf Ash, der sich sofort anspannte.

„Seit darauf Katzen liegen", antwortete eine verärgerte Stimme.

Puck brach in schallendes Gelächter aus.

„Cat Sidhe. Was machst du hier?", wollte Ash wissen.

„Nach was sieht es denn aus?", fragte Grimalkin, der sich gerade daran machte, sein Fell von dem Dreck zu befreien. „Ich saß hier seelenruhig auf einem Ast, bis dieser einfach heruntergerissen wurde."

„Und warum bist du ausgerechnet auf diesem Ast gesessen?"

„Weil ich dachte, es könnte interessant werden, euch zu beobachten."

Da Grim damit beschäftigt war, sich zu putzen, hatte er nicht gemerkt, dass Ariadne sich von hinten anschlich. Als sie bei ihm war, streckte sie die Hand nach ihm aus, um ihn zu streicheln. Doch kaum hatte sie ihn berührt, erschrak Grimalkin und verschwand. Ariadne blinzelte ein paar Mal und blickte dann in die amüsierten Gesichter ihrer Familie.

„Jetzt ist die Katze wieder weg", stellte sie fest.

„Das ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Auftauchen und verschwinden, wie es ihm gefällt. Kommt, gehen wir rein. Es ist bald Zeit fürs Bett", sagte Ash und nahm Ariadne an die Hand.

Nach dem Abendessen, bei dem die Reste des Mittagessens verputzt wurden, setzten die vier sich ins Wohnzimmer. Das Feuer im Kamin beleuchtet die kleinen Astmännchen, die auf dem Tisch tanzten. Aerandir und Ariadne tanzten ebenfalls zu den leisen Tönen einer Laute, die von einem etwas größeren Astmännchen gespielt wurde. Ash saß auf dem Sofa und Puck hatte sich an ihn gekuschelt. Sie beobachteten ihre Kinder, bis Puck leise fragte: „Was glaubst du wird jetzt passieren, da Grimalkin es weiß?"

Ash ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Ich weiß es nicht. Aber ich denke nicht, dass etwas Schlimmes passieren wird. Er wusste ja auch von Aerandir und es geschah nichts."

„Ich hoffe es." Dann ließ er den Lautenspieler verstummen und die Männchen hörten auf zu tanzen. „Zeit fürs Bett, Kinder."

„Aber ich", gähnte Ariadne, „bin noch gar nicht müde." Doch sie ließ sich trotzdem von Ash auf den Arm nehmen. Als dieser in den Eingangsbereich ging und die Treppe nach oben stieg, hatte sie ihren Kopf an seinem Hals gebettet und war schon fast eingenickt. Ash trug Ariadne nach links in ihr Zimmer und Aerandir folgte ihnen um in sein Zimmer zu kommen. Kaum dass das kleine Mädchen in ihrem Bett lag und zugedeckt war, schlief sie auch schon tief und fest. Ash gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging dann zu Aerandir, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Den Baumstamm einmal fast umrundet betrat er nun das Schlafzimmer von Puck und ihm. Dieser hatte es sich in dem großen Himmelbett, in dessen Holzpfosten Schneeflocken und Blumenranken geschnitzt waren, gemütlich gemacht. Ash legte sich zu ihm und Puck kuschelte sich sofort an seinen Winterprinzen.

„Gute Nacht, Eisbubi. Ich liebe dich."

„Ich liebe dich auch, mein Streichekönig", entgegnete er und drückte Puck einen Kuss auf den Scheitel.

Im Wilden WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt