Es ist irgendwie merkwürdig diese Geschichte mit einem Abschiedsbrief zu beginnen, aber dieser Brief ist der Anfang meiner Geschichte. Denn auf irgendeine Weise ist jeder Abschied, jedes Ende, ein Anfang. Aber eins sei euch gesagt: diese Geschichte hat kein Happy End. Wer an dieser Stelle gehen möchte, dem steht es frei zu gehen.
So wie ich jetzt bin, wollte ich eigentlich nie sein.
So wie es jetzt ist, sollte es eigentlich nie sein.Früher habe ich mich immer darüber lustig gemacht, wenn jemand immer nur schwarze Klamotten getragen hat, nur traurige Lieder gehört hat und immer alleine über den Schulhof gelaufen ist, aber mittlerweile weiß ich, dass da mehr dahinter steckt, als die bloße Suche nach Aufmerksamkeit oder Mitleid. Mittlerweile kann ich diese Menschen verstehen. Ich weiß, wie sie sich fühlen.
Ich habe in letzter Zeit oft über mein Leben nachgedacht. Warum die Dinge so sind, wie sie sind und warum es mir so geht, wie es mir geht. Wie es mir geht? Nicht so gut, schätze ich. Manch einer würde mir jetzt bestimmt sagen, dass das nur eine Phase ist und dass das wieder vorbei geht. Aber das traurige an der Sache ist, dass niemand mehr da ist, der mir so etwas sagen könnte.
Manchmal denke ich, dass alles besser wäre, wenn ich tot wäre.
Dann müsste ich mir das nicht länger antuen.
Dann müsste sich niemand mehr mit mir rumquälen.
Dann müsste sich niemand mehr unnötig um mich sorgen.'Selbstmord' ist ein hartes Wort. 'Mord' klingt nach einem Verbrechen und ein Verbrechen ist etwas schlechtes, etwas für das man im Nachhinein bestraft wird.
Bei einem Selbstmord ist das anders. Ein Selbstmord beginnt mit der Bestrafung.Wenn man die Menschen aus meinem Umfeld darum bitten würde, mich in wenigen Worten zu beschreiben, dann wäre 'depressiv' sicherlich eines der wenigen Worte, dass auf keinen Fall fallen würde. Warum auch? Ich bin immer gut drauf und lache viel.
Aber nur weil ich lache, bin ich noch lange nicht glücklich. Und nur weil ich atme, bin ich noch lange nicht am Leben. Ich selbst würde mich als 'tot' beschreiben. 'Innerlich tot', alle Gefühle in Tüten eingepackt und aus dem Fenster geworfen.Vor ein paar Jahren war alles noch halbwegs gut, aber nicht weil es wirklich noch gut war, sondern weil ich dachte, dass es gut gewesen wäre. Und im Vergleich zu heute, war es das definitiv. Ich könnte mich jetzt an einem beliebten Klischee bedienen und sagen, dass das alles in meiner Kindheit begonnen hat, aber so war es nicht. Meine frühe Kindheit war vollkommen okay. Bis zur Grundschule war ich ein ganz normaler Junge, der ein ganz normales Leben geführt hat. Aber schon damals habe ich mich nicht immer mit jedem verstanden. Doch mit der Zeit hat sich 'nicht mit jedem' auf 'mit keinem' erweitert.
Ich will das alles gar nicht erst auf andere schieben.
Ich bin selber schuld, das weiß ich, das ist Fakt.Ich bin derjenige, der die Verantwortung für mein Leben trägt und ich habe diesbezüglich total versagt. Mein Leben geht den Bach runter und ich bekomme es nicht in den Griff, etwas daran zu ändern. Vielleicht will ich auch gar nichts ändern. Vielleicht ist es besser, so wie es ist. Manch einer ist einfach nicht dazu bestimmt, zu leben. Und ich bin mir relativ sicher, dass ich eine dieser Menschen bin - born to die.
Jeder Mensch hat diese eine Seite, die er niemandem zeigt. Dieses eine Kapitel, das er niemandem vorliest. Egal wie glücklich ein Mensch zu sein scheint, jeder hat etwas worüber er sich sorgen macht, worüber er sich nächtelang den Kopf zerbricht. Manche vertrauen sich anderen an und erzählen ihnen von ihren Ängsten, andere behalten sie lieber für sich, aber jeder Mensch hat sie - Angst.
Jeder Mensch hat eine eigene Geschichte.
Und ich denke, das hier ist meine.Doch an dieser Stelle soll sie enden.
Ich will nicht, dass jemand um mich trauert. Ich will nicht, dass jemand Woche für Woche, Tag für Tag an meinen Grab steht und sich Vorwürfe macht, ich will nicht, dass sich jemand die Schuld an meinem Tod gibt, dass jemand denkt, er hätte sich nicht intensiv genug um mich gekümmert. Es gibt nichts, das mir helfen kann und ihr hätte nichts machen können, um mich zu retten. Niemand kann das. Ich bin schon lange verloren.
Danke, für alles was ihr getan habt. Ob gut oder schlecht, all das hat mich zu dem Mensch gemacht, der ich bin. Zu dem Mensch, den ich so sehr hasse. Ich war niemand besonderes, aber ich wollte auch nie jemand besonderes sein. Die kleinen Dinge sind es, die einen Menschen ausmachen. Die Art und Weise, wie er redet, denkt, lacht. Doch alles was ich getan habe, war falsch. Vorgespielt, auswendig gelernt.
Und an all die jenigen, die sich über mich lustig gemacht haben: ich hoffe, dass ich euch gut unterhalten habe und dass ihr aus euern Fehlern lernen werdet. Dass ihr darüber nachdenkt, was ihr mit jedem noch so kleinen Wort anrichten könnt. Ihr habt mich zerstört, Stück für Stück, Wort für Wort. Ihr habt mich kaputt gemacht. Aber den letzen Schlag verpasse ich mir selber.
Wenn ihr das lest, werde ich vermutlich nicht mehr da sein. Und ihr werdet keinerlei Möglichkeit mehr haben, euch bei mir zu entschuldigen. Aber das sollt ihr auch gar nicht. Ihr sollt mit eurer Schuld leben und ich hoffe für euch, dass ihr damit umgehen könnt. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, war ich die letzen Tage nicht in der Schule, unter anderem weil ich an diesem Brief gesessen habe, um euch etwas zu hinterlassen, das euch erklären kann, warum ich das tue, was ich tuen werde oder im Falle der Ankunft dieses Briefes, getan habe.
Ich hoffe, dass euch die vorangegangen Worte einen Überblick, über die Gründe meiner Tat geben konnten und ihr mich ein Stück weit verstehen könnt. Ich werde mich hier nicht bei einzelnen Personen verabschieden, um niemanden unnötig zu belasten. Das zu schreiben ist nicht einfach und das zu tuen, das ich vorhabe, noch viel weniger, aber ich sehe keinen anderen Ausweg aus dieser Hölle. Ich habe lange über meine Entscheidung nachgedacht und es gibt nichts was mich noch hier hält. Macht euch keine Sorgen um mich, da wo ich hingehen werde, wird es mir gut gehen.
In Liebe und Hass, Michael
DU LIEST GERADE
Beyond Death [pausiert]
Teen FictionAls die 16-jährige Liv den Abschiedsbrief ihres Mitschülers Michael findet, beginnt sie sich über sein Leben zu informieren und baut langsam eine Beziehung zu dem Toten auf. Dies ist die Geschichte eines Jungen, der keinen Ausweg mehr sah, seinem Le...