Zum Anfang der Pause hin, brach das schrille Klingeln das Schweigen, das sich in der Klasse bereitgemacht hatte. Wenige Minuten zuvor hatte unsere Mathelehrerin eine Abschiedsrede für den Jungen gehalten und den Klassenraum so mit tiefer Trauer gefüllt. So ruhig war es hier selten. Alle hingen zusammengeknickt über ihren Tisch, manche weinten sogar, einige wenige schluchzend leise vor sich hin und selbst die Lehrerin war schon seit Minuten sprachlos, an Unterricht war nicht einmal zu denken.
Ich sah zu meiner Sitznachbarin Anne rüber, deren Ellenbogen sich wie Säulen auf dem Tisch stützen, um ihren Kopf in der Luft zu halten. Sie starrte die Wand an, an der ein großer Kalender hing. Es war Dienstag und sicherlich einer der wenigen Schultage, der uns noch lange in Erinnerung bleiben würde, da war ich mir sicher.
"Anne?", flüsterte ich, während ich sie von der Seite anschielte.
Sie antwortet nicht, drehte jedoch ihren Kopf fragend zu mir herüber.
"Hast du ihn eigentlich gekannt?", fragte ich und brach somit ihr Schweigen.
"Nur Flüchtig. Er war im selben Ethik-Kurs wie ich, aber wir hatten nicht viel miteinander zutun.", sagte sie, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte.
"Hat man ihm denn gar nicht angesehen, dass es ihm schlecht geht?"
"Ich glaube, niemand konnte das sehen. Sowas kann man generell den wenigsten ansehen. Solange man lächelt, denkt doch jeder, dass es einem gut geht. Und meist merkt man erst wenn es zu spät ist, was wirklich in einem Menschen vorgegangen ist."
Erneue lief ihr eine Träne die Wange herunter und tropfte auf ihr Matheheft. Die Buchstaben verschwommen zu einem Brei, bevor sie langsam verblassten. Sie rieb sich die Tränen aus den Augen und schob ihr Heft zur Seite.
"Man hätte ihn helfen können, wenn-" "-man es gesehen hätte.", unterbrach mich Anne.
"Vermutlich hätte man nur genaue hinschauen müssen, um es zu sehen.", dachte ich laut und bereite sofort es ausgesprochen zu haben. Ich wollte Anne nicht unterstellen, weggesehen zu haben, auch wenn das vielleicht tatsächlich der Fall gewesen war.
"Er- Michael hatte nicht viele Freunde, eigentlich kaum jemandem, dem er es hätte zeigen können. Da gab es nur einen, so einen Toby, dem hat man es angesehen. Aber der ist schon vor einer ganzen Weile von hier weggezogen.", sagte sie, während sie weiterhin auf den Kalender starrte und mich keines Blickes würdigte.
Ich antworte zunächst nicht darauf, unterbrach das erneute Schweigen dann aber wieder mit einer Frage: "Weißt du zufällig wie dieser Toby weiter heißt? Weiß der denn überhaupt schon Bescheid?"
"Ich weiß nicht, ob die beiden vor seinem Tod noch Kontakt hatten und einem Nachnamen habe ich leider auch nicht. Tut mir leid."
***
Auch zurück zuhause ließ mir der Gedanke an Michaels Tod keine Ruhe und die Sache mit diesem Toby machte mich irgendwie echt neugierig. Nachdem Anne mir nicht weiterhelfen konnte, musste es doch irgendeine Möglichkeit geben, Kontakt mit ihm aufzunehmen und so beschloss ich einfach mal im Internet nach ihm zu suchen.
Und tatsächlich fand ich mehrere Tobys, die letztes Jahr auf unsere Schule gegangen sind, darunter auch einer der zur Mitte des Jahrs weggezogen ist. Ich zögerte erst kurz, schickte ihm dann aber eine Nachricht, um meine Neugierde endlich zu befriedigen.
Bereits nach wenigen Minuten antwortet er und schnell stelle sich heraus, dass es tatsächlich der richtige Toby war, der der mit Michael befreundet war und dass er bereits über dem Tod seines ehemaligen besten Freundes Bescheid wusste.
Ich bat ihn um ein Treffen oder ein Telefonat, um mehr über die Hintergründe zu erfahrend, aber er flüchtete sich jedes Mal in Ausreden, bis er dann irgendwann gar nicht mehr antwortete und so durchsuchte ich sein Facebook-Profil nach weiteren Informationen über den kürzlich verstorbenen Michael.
Ich musste eine Weile suchen, bis ich schließlich einen älteren Eintrag auf seiner Pinnwand fand, in dem ein Michael markiert war. Jedoch führte mich der darin erhaltende Link zu einem gelöschten Profil, auf dem nur noch der Name und ein verpixeltes Foto zu erkennen waren.
Also eine erneute Spur ins Nichts. Doch noch war meine Hoffnung nicht verloren, doch noch etwas über ihn um die Gründe seines Todes herauszufinden. Wenn ihm schon keiner helfen konnte, dann wollte ich es wenigstens verstehen.
Plötzlich klopfte es an meiner Zimmertür und die Rufe meiner Mutter rissen mich aus meinen Gedanken: "Hallo? Liv, kann ich mal kurz reinkommen?"
Ohne auf meine Antwort zu warten, öffnete sie die Tür. Sie hielt ein Telefon in der Hand und ich hoffe, dass es nicht für mich war, da ich gerade so gar keine Lust darauf hatte mit irgendwem zu telefonieren.
"Ich hab gerade mit deiner Lehrerin telefoniert und- Warum hast du mir denn nichts von dem Jungen erzählt?", fragte sie stürmisch.
"Was gibt's denn da zu erzählen? Ich kannte ihn doch gar nicht."
"Warum hat sie überhaupt angerufen?", fragte ich meine Mutter misstrauisch.
"Weil sie mich kennenlernen wollte. Sie ist ja schließlich deine Klassenlehrerin und ich bin deine Mutter! Und jetzt zurück zu dem Jungen. Kommst du damit klar?"
"Warum sollte ich nicht damit klarkommen?", entgegnete ich ihr.
Ich hatte echt keine Lust mich jetzt vor meiner Mutter zu rechtfertigen. Ich kannte Michael zwar nicht, aber auf irgendeine Weise nahm mich sein Tod trotzdem mit und irgendwie machte er mich auch neugierig. Ich wollte unbedingt erfahrend warum jemand so etwas tut und wer daran schuld ist.
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass dieser Toby mir da weiterhelfen konnte oder vielleicht sogar mehr damit zutun hat, als ich bisher dachte. Auf jedem Fall musste ich ihn unbedingt dazu überrede, mir mehr über die Sache zu erzählen.
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Zunächst einmal hoffe die Geschichte konnte den bisher recht hohen Erwartungen (siehe Kommentare zum Prolog) gerecht werden. Ich werde in nächster Zeit auch nur diese und mein andere neue Story "Obsessed" weiterschreiben, daher würde ich mich echt freuen wenn ihr auch da mal vorbeischauen würdet! :)
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Beyond Death [pausiert]
Teen FictionAls die 16-jährige Liv den Abschiedsbrief ihres Mitschülers Michael findet, beginnt sie sich über sein Leben zu informieren und baut langsam eine Beziehung zu dem Toten auf. Dies ist die Geschichte eines Jungen, der keinen Ausweg mehr sah, seinem Le...