Gerettet

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an: Ich war 13 Jahre, habt Nachsicht.


Zögerlich setzte ich den rechten Fuß vor den Linken.
Gleich würde es soweit sein. Gleich würde ich alles vergessen. Den Schmerz, die Trauer, die Sehnsucht...
Schließlich war ich am Ende des Stegs angekommen.
Nur noch ein Schritt, dann würde alles ein Ende haben.
Eine Frage, welche ich mir in letzter Zeit öfter stellte, schob sich unwillkürlich in meine Gedanken: Würde mich jemand vermissen?
Mein Freund starb im Krieg und ich Außenseiterin hatte keine Freunde.
Ich warf einen kurzen Blick auf den Zettel, welcher in meiner zittrigen Hand lag an. Es war ein simpler Zeitungsartikel.
,,3 Tote bei einem Autounfall"
Ich bereute es.
Hätte ich doch ja gesagt, wäre ich doch mit zum Einkaufen gekommen. Doch das habe ich nicht. Stattdessen habe ich mich, bockig wegen einer unsinnigen Sache, in meinem Zimmer eingeschlossen und nicht mal das ,Bis dann' erwiedert.
Aber es gab kein dann.
Ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen bildeten. Dann fiel die erste auf meine Schuhe. Gefolgt von der Zweiten, der Dritten, der Vierten...
Ich hatte seit Monaten nicht mehr geweint. All meine Trauer hatte sich mit der Zeit in Hass verwandelt. Hass auf mich.
Verdammt, wäre ich doch mitgekommen! Ich hätte mir das stundenlange Grübeln warum sie nicht nach Hause kamen, das ganze Geweine, erspart!
Aber ich war nicht mitgekommen. Stattdessen war ich jetzt ganz alleine in dieser riesigen Welt...
Ich hasste mich dafür nicht mitgekommen zu sein, ich hasste mich, weil ich mich in mein Zimmer verkrochen habe, ich hasste mich, weil ich nicht mal die simple Verabschiedung meiner Eltern zurück gegeben hatte.
Ich wünschte ich hätte ihnen gesagt wie lieb ich sie habe...
Aber das würde ich jetzt nachholen.
Ich atmete einmal tief ein.
Nur noch ein kleiner, winziger Schritt.
Ich schloss meine Augen und zog meinen letzten Atemzug.
Das kalte Wasser kribbelte auf meiner Haut.
Ich tauchte immer tiefer und tiefer. Unterwasser war es schwer die Zeit einzuschätzen. Stunden konnten sich wie Minuten anfühlen und Minuten wie Stunden. Aber mein Körper trieb keine Stunden in dem kalten Wasser, welches mit zunehmender Kraft auf meine Brust drückte, nein, ein Mensch hätte nicht einmal eine viertel Stunde ohne Sauerstoff überlebt. Und mit der Zeit spürte ich wie sehr mein Körper diesen brauchte.
Schwindel breitete sich in mir aus, bis ich schließlich meine Augen schloss und bewusstlos wurde.

Als ich wieder zu mir kam befand ich mich nicht mehr im Wasser. Trotzdem konnte ich das Rauschen der Wellen noch deutlich hören.

allein gelassenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt