Kalte Seelen

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Erzählt wird nun jene Geschichte einer jungen Frau, genannt Klara, die es wohl am Nötigsten gehabt hätte, einen guten Freund zu besitzen. Und doch soll uns ihre Hoffnungslosigkeit als Geschenk des Verstehens dienen.

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Zuallererst ist zu sagen, dass das Leben, wie auch immer, wie eine alte Treppe ist. Es geht auf und ab, mal steigt man, mal muss man runter. Und manchmal stolpert man. Es quietscht und knarrt. Dann geht eben gar nichts. Das ist nur eine dieser unzähligen Metaphern über ein unwichtiges Leben, was ungebildete Menschen mal von sich abgelassen haben.

So herrlich uninteressant.

Es gibt Momente, da möchte ich so sein wie die anderen. Ich möchte mir Momente schaffen, die die Ewigkeit überdauern. Die sich in meinem Kopf als „schön" verankern und die ich immer wieder auf Bildern sehen kann. Aber das wird nicht passieren. Manchmal zerreißt es mich, und manchmal bin ich glücklich so zu sein, wie ich bin.

Man mag mich, aber ich bin kein Freund. Man sucht mich, aber wird mich nicht finden. Man kommt und geht. Und ich bleibe zurück.

Wenn ich an meinem Fenster stehe und mir mein Essen mache, mir die schönen Kleider anziehe und später am Tisch sitze, so warte ich immer darauf, dass auch nur irgendeiner kommt und sich zu mir hinsetzt. So wie es allen anderen auch passiert. Allen anderen, bis auf mir.

Dann decke ich den Tisch wieder ab, stehe auf und sehe nach draußen. Ich stehe am Fenster und meine Blicke streifen durch die Landschaft. Ich hätte viel verändern können. Vieles, aber nicht alles.

Da sind sie, und treffen sich. In ihrer Einfarbigkeit stehen sie dort mit ihren Schuhen und ihren Gewändern, reden und rauchen. Sie gucken nicht einmal zu mir, soll mir recht sein. Seht mich doch an.

Wenn "beliebt" heißt, den anderen nachzulaufen, so bin ich gerne unbeliebt. So bin ich gerne ungewollt und so werde ich gerne alleine sterben. Das ist nunmal der Preis der Individualität, oder nicht? Wenn man - man selbst sein - will, dann hat das eben Konsequenzen. Und die ziehe ich daraus, um meinen eigenen Wert mir zu bewahren.

Aber was erwarte ich? Das sich das plötzlich ändert? Nein, natürlich nicht. Das könnte ich auch gar nicht. Es wäre falsch, ich wäre falsch. Die anderen wären falsch. Es wäre doch nur eine Aneinanderreihung unvorhersehbarer - unglücklicher Zufälle, von einigen auch „Gott" genannt, die mein Leben eben in diese Bahn gerichtet haben.

Man konnte mich damals schon nicht leiden, und man wird es jetzt auch nicht tun. Warum sollte man auch. Menschen machen Fehler.

- Fehler einen bis in seine Grundstrukturen zu hassen und zu diskriminieren sind aber keine Fehler, es sind auch keine Missgeschicke. Es sind falsche Verhaltensweisen und vorallem sind es Vergehen. Vergehen an der Menschheit.

Ich bin Mensch - sie auch. Es gibt daran keinen Unterschied. Ob man einen nun wegen seiner Brille, oder seinen roten Haaren nicht mag - spielt dabei keine Rolle. Es geht darum, dass es Menschen sind und man sie gefälligst zu respektieren hat. Da gibt es kein „Aber...", da gibt es auch keine „Entschuldigung". Es hat auch nichts mit der Entschuldigung zu tun, es hat etwas damit zu tun, wie die Einstellung gegenüber fremden Dingen ist.

Wenn wir Menschen nicht endlich anfangen zu lernen, dass etwas „Anderes" gut für uns ist - und nicht schlecht - so können wir endlich anfangen zu denken. Erst wenn dieser Schritt getan ist, kann man von Integration und Toleranz sprechen.

- Wörter die in unserer Welt nur zu gerne gesagt werden, während die Rate der Freitod - „Opfer" in den Jugendjahren immer weiter steigt. So kann das nicht weiter gehen, und das akzeptiere ich auch nicht.

Die Individualität eines des Einzelnen, des Individuums, und seine Freiheit, sind das Wichtigste, was der Mensch, das Individuum, hat. Wenn wir doch endlich anfangen würden, uns gegenseitig zu lieben - und ja - dazu benötigt es keine Gestalt mit dem Namen Gott, Allah oder Buddha, dann können wir anfangen von einer zivilisierten Welt zu sprechen. Wo kommen wir denn sonst hin.

Es wird über dieses Thema immer so locker leicht gesprochen. „Macht es nicht, es zerstört Leben", „Macht es nicht, das ist verboten", „Macht es nicht, sie sind nicht anders.". Das kann nicht der Kern der Aktionen sein, etwas zu verhindern.

Es sind die Dinge, die man einem hinter vorgehaltener Hand sagt, die am schlimmsten sind. Nicht die, die man laut hinausposaunt. Immer den Gedanken zu haben, etwas falsch zu machen, was alle anderen sehen könnten - ist furchtbar. Das sind doch nicht wir. Wir sind so nicht.

In den letzten Monaten und Jahren hat sich die Welt verändert, im Umgang mit Toleranz und Akzeptanz, hat sie große Fortschritte gemacht. Die Menschen lernen, andere, wie auch immer sie sind, zu akzeptieren.

Jedoch bleiben die schmutzigen Bilder, die jetzt längst verwischt sind, immer an mir kleben und stehen für etwas schlechtes. Nicht, weil ich schlecht davon denke, sondern weil man in Verbindung mit mir dies als schlecht empfindet.

In meinem Leben gab es nicht immer dieses Bild eines perfekten Mannes, den ich später mal heiraten möchte. Es gab immer das Versprechen, dass ich ihn bekommen werde. Inzwischen weiß ich, dass es nicht so sein wird. Ich muss meinen Preis dafür geben, wie andere ihn vielleicht auch gegeben haben. Mein Preis, für mein Leben. Mein Preis, für meine Freiheit. Mein Preis, für eine bessere Welt.

Ich freue mich darüber, dass es Menschen gibt, die sich am Leben erfreuen und ihr Leben so leben, als sei es ihr letztes. Als würden sie tanzend durch das Leben schreiten, mit ihren verhärteten Ellenbogen all jene wegstoßen (ganz versehentlich), die ihnen im Weg stehen, und so beliebt werden. Dort werden sie auf jeder Party erscheinen und ein gern-gesehener Gast sein.

Vielleicht war dies der Schlüssel. Sich selbst zu lieben, indem man andere verachtet. Indem man sich als besser darstellt. Das ist nur ein Preis. Vielleicht ein viel genutzter - einfacher - Preis, den ich nicht bezahlen werde.

Mein Weg führt mich hinaus aus dieser Welt, ich werde die Welt mit einem Lächeln am Fenster verlassen. Und vielleicht werde ich ihn irgendwann kennenlernen. Vielleicht wird es auch eine sie, dass weiß ich nicht. Und dann wird derjenige auf mich zukommen und mich fragen, ob ich ihn heiraten will und ich werde nein sagen. Wenn man mich einmal - selbst wegen Lappalien meiner Stimme - gehasst hat, so verstehe ich nicht, warum man es jetzt nicht mehr tun sollte. Ich bin immer noch der selbe Mensch mit den selben Eigenschaften wie vorher. Man kann mich ruhig ins Jenseits verbannen, wenn ich jetzt sage, dass man mich nicht (mehr) verdient hat, nur weil die Menschen angefangen haben zu denken.

Ich werde das Weihnachten wieder alleine feiern und das finde ich gut. Nicht jeder kann das Glück haben, eine Schar von Menschen um sich zu haben, die sich Freunde nennen und im Hintergrund andere Dinge über einen reden. Ich werde mir meine Wohnung so einrichten, wie ich es mag. Mein Essen werde ich mir selber kochen und am Abend die Geschenke auspacken, die ich mir selbst geschenkt habe.

Vielleicht erscheint das traurig, aber das ist es nicht. Es ist ein Leben von sieben Milliarden dieser Welt und es wäre schade nur eine Träne dafür zu vergießen, obwohl wir doch alle an solcher Situation schuld sind. Ich habe eben kein Talent dafür beliebt zu sein.

Ebenso freue ich mich über meine Freunde, die die ich dann wirklich habe, eben nicht mein Schicksal zu ergreifen. Sie haben ihr eigenes, vielleicht ein besseres Leben. Darüber vermag ich nicht zu urteilen, das steht mir auch nicht zu. Sollte ich doch mit jemanden mein Schicksal tauschen, so würde ich das nicht aushalten.

Ich klemme mir meine schwarzen Strähnen an den Rand meines Ohres, ziehe die Vorhänge zu und erfreue mich an den kalten Seelen, die mich in meiner Einsamkeit umgeben.

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Vielen Dank im Voraus. :-)

Kalte SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt