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Die Situation war brenzlig. Sie war erschöpft und verwirrt, und die Polizisten sahen ihr ein wenig zu engagiert aus. Warscheinlich hatten sie nicht oft etwas zu tun.

Einer sprach aufgeregt in ein Gerät, das an seinem Kragen befestigt war;

"...Schiesserei im Kreis neun, eine verletzte Person, unbekannt ob sie gefährlich ist, Mister, sie steht nach drei Schüssen..."

Als Anwort rauschte es knacksend, doch irgendwie verstand es der Polizist.

"... Ja, schickt die Reinigung!"

Alice legte ihren Kopf in den Nacken. So würde sie nicht weiterkommen.

Die Decke war hoch doch einige Lüftungsrohre liefen niedrig und auch die langen Neonröhren, die den Banhof nun, am frühen Morgen hell beleuchteten hingen an sich überkreuzenden Stahlstangen, etwa 4 Meter über dem Boden.

Alice schaute in die Gesichter der Polizisten, die sie befremdet anstarrten und in die Handykameras, die auf sie gerichtet waren, von immerzu zum Flüchten bereiten Passanten, die darauf hofften eine Internetsensation zu werden.

Und dann sprang sie.

***

Blut spritze unter ihren Schuhsohlen weg, ihre Muskeln überspannten sich und ein Geräusch, als ob ein Seil reissen würde vermischte sich mit dem Geklapper der Stahlstangen an denen sich Alice nur knapp klammern konnte. Sie versuchte ihre Füsse einzuhaken, doch ihr rechtes Bein gehorchte ihr nicht. Es schüttelte sie vor dem Adrenalin, dass ihr Körper ausschüttete und irgendwie gelang es ihr, sich auf die Oberseite des Gerüstes zu ziehen.

Alles war mit einer dicken Schicht Staub überdeckt, den sie nun aufwirbelte und zum Husten brachte. Ihr ehemals roter Pullover war jetzt grauschwarz und ihre Hände waren so dreckig, dass sie sie zuerst ein paar mal aneinander schlagen musste um überhaupt noch halt zu haben.

Vorsichtig krabbelte sie vorwärts, ihr rechtes Bein kraftlos und schmerzend.

Ihr Körper war sich wahrlich nicht an solche extreme Anstrengungen gewohnt und das bekam sie nun zu spüren.

Sie biss die Zähne zusammen und krabbelte weiter, in der Hoffnung, das Gerüst würde sie halten.

Unter ihr hörte sie aufgebrachte Stimmen, die ihr befahlen, sofort herunterzukommen. Alice nahm sich kurz die Zeit, ihnen einen Mittelfinger zu zeigen, da sie dachte, er würde gut zur Situation passen.

Ihr Knie war aufgeschwollen und sie konnte es nicht mehr strecken, was das ganze extrem behinderte. Als sie endlich an ihr Ziel -eine Säule, die das Gerüst mit der Decke verband- ankam, schien für sie eine Ewigkeit vergangen zu sein. Ihr Bein schmerzte pulsierend, irgendwelche Sehnen mussten gerissen sein. Sie zog sich an der Säule hoch und überlegte einen Moment.

Währenddem ihr Bein knirschte sah sie sich um.

Sie brauchte einen Plan. Und neue Kleider. Am besten beides zusammen.

Die Polizisten hatte sie, so wie es aussah abgeschüttelt.

Sie senkte den Blick und bekam beinahe einen Herzinfarkt.

Vor ihr sass eine zusammengekauerte Gestalt und schaute sie an.

Ihre hellblauen Haare schauten unter einer schmutzig grünen Kaputze hervor und verdeckten ihre Augen. Sie hatte eine Schweinchennase und die Lippen, zwischen denen der Stiel eines Lollis klemmte, waren rebellisch verzogen. Sie trug ein altrosa Tutu, welches über und über mit Schmutz und Staub befleckt war und ausgelaufene Stahlkappenstiefel.

Alice fing sich wieder und löste sich aus der innigen Umarmung mit der Säule.

Die Gestalt starrte sie noch immer an, währenddem ihre Hand zu ihrem Mund wanderte um dort mit einem Schmatzen den Lolli heraus zu ziehen, mit dem sie nun auf Alice zeigte.

"Brauchst du Hilfe?"

Ihre Stimme klang heiser, als ob sie nicht oft benutzt werden würde.

Alice schaute auf den Lolli, von dem ein Speichelfaden tropfte.

Colageschmack.

"Ja. Gerne."

***

Wie sich herausstellte, war das Gerrüst, auf dem sie gelandet war ein einziges Labyrinth und geschäftiger als sie gedacht hatte.

Sie war wohl auf einen Abzweiger gehüpft, aber es gab Teile, deren Boden weitaus weniger verschmutzt war.

Einmal liefen sie sogar an jemanden vorbei, den Alice jedoch nur als Schatten erkennen konnte.

Die Gestalt vor ihr stellte sich als Teagan vor.

Ihr Tutu staubte bei jedem Schritt und Sie hatte mittlerweile ihren Lolli fertig gelutscht und kaute nun auf dem Stiel herum.

Schon seit zehn Minuten folgte Alice ihr nun über die Stahlkonstellation und sie hatte schon den verdacht, dass sie im Kreis laufen, als Teagan endlich anhielt.

Alice schaute über ihre Schulter, was nicht schwer war, da Taegan höchstens 1.50 Meter gross war.

Sie standen vor einer unscheinbaren, rostigen Tür, auf der in grossen, gelben Lettern die Nummer 27 stand.

Teagan zog eine Halskette unter ihrem Pulli hervor, an denen eine Vielzahl verschiedener Schlüssel baumelten. Sie suchte einen heraus und steckte ihn ins Schlüsselloch.

Sie rüttelte ein wenig an der Tür, bis diese knarzend kleinbei gab und ein Stockdunkler Tunnel dahinter hervor kam.

Teagan schaute zu Alice zurück bevor sie den Tunnel betrat.

"Bleib dicht hinter mir."

Und Alice blieb dicht hinter ihr.

SempiternalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt