VI

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Alice wusste nicht, wie lange sie schon schweigend gelaufen waren, an an unzähligen Tunnelabzweigungen, Rattenkadavern und stinkender Kloake.

Das unterirdische Labyrinth schien niemals zu enden.

Teagan vor ihr, die sich, wie es schien, sehr gut auskannte, zögerte nicht ein mal, obwohl für Alice alle Tunnels gleich aussahen. Sie hatte jegliche Versuche, sich den Weg zu merken aufgegeben.

Es war unglaublich, dass es ein solch enormes System unter dieser Stadt gab.

Alice lief beinahe in Teagan hinein, als diese plötzlich inne hielt und ihr bedeutete leise zu sein. Als ob Alice überhaupt mit ihr sprechen würde.

Sie hörten ein Knirschen von Metall auf Stein, darauf das Knarzen von Rost, kurz dannach wie jemand auf den staubigen Steinboden sprang und das darauffolgende männliche Stöhnen vor Schmerz.

Teagan entspannte sich und rief sichtlich erfreut:
"X-RAY!"
Worauf sie ein überaschtes
"TEABAG?" Zur antwort bekam.

Um die nächste Ecke lugte ein Kopf, das Gesicht mit unzähligen Piercings geschmückt und kurzen, gebleichten Haaren.

Der Junge, der ihnen nun entgegenkam, hatte schrägstehende, helle Augen, die nun Überrascht zu ihnen schauten. Er trug staubige, schwarze fludderhosen und ein trägert-shirt, auf dem der Name einer Band stand.

Hang men.

Alice hatte noch nie so jemanden wie diesen Jungen gesehen, jedoch wusste sie, aus den Beschreibungen aus Büchern, dass sie einen Punk vor sich hatten.

"Teabag! Was machst denn du hier?" Fragte er fröhlich und umarmte Teagan innig. "Geht es dir gut? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen!"

"Drei stunden, X-ray, das ist keine Ewigkeit. Konntest du den Auftrag erfüllen?"

"Jop!" Er zog einen Brief aus seiner überdimensionalen Hosentasche. "Genau wie Breesan es wollte, vom Honorar kaufen wir uns ein Eis, nicht wahr?" Er lächelte und es war ein ehrliches, fröhliches lächeln, dass Herzen zum Schmelzen bringen konnte.

Alice liess es jedoch kalt. Sie stand neben der szenerie und beobachtete sie interessiert. War dies eine Liebesgeschichte? Oder eine innige freundschaft?

"Aber wer zur Hölle ist das?" Hörte sie den Punk fragen. Ohne Zweifel war sie gemeint.

"Das ist Alice, ich hab sie beim Bahnhof aufgelesen. Ich glaube Bree wird sie Brauchen können. Hör mal, X-Ray, ich glaube sie ist unsterblich oder so, auf jeden Fall war dieser Bengel von Luce hinter ihr her, und sie hats überlebt!"

"Was, dieser Jules da? Aber das ist doch das Ass von Luce. Der hat noch nie jemand gehen lassen."

"Er war auch ziemlich wütend. Und zwar sichtlich. Die Lage war echt ernst.
Sie müsste eigentlich schon lange Tot sein."

X- ray schaute fasziniert zu Alice rüber.

"Hey! Wie heisst du?" Er kam mit ausgestreckter Hand auf Alice zu. "Ich bin Xerxes, aber das kann sowieso niemand aussprechen, also bitte nenn mich X-Ray."

"Ich bin Alice. Sehr erfreut."
Sie nahm seine Hand und schüttelte sie. X-ray schaute etwas verwirrt.

"Weisst du, das tönt komisch, von einer, die gerade Halbnackt und Blutbesudelt rumläuft."

Alice schaute ihn ein wenig verwirrt an. Sie verstand nicht.

"Aber ist ja auch egal. Hut ab, Teagan, sie wird Bree bestimmt gefallen. Übrigens, darf ich den?" Er zog ihr den Lolli aus dem Mund und leckte daran. Nichts laszives war dabei, wie man vielleicht erwarten würde. Nein, es war etwas völlig normales für diese Beiden, ihren Speichel zu teilen, wie Alice fasziniert feststellte.

Teagan kramte in ihrer pullitasche und zog noch einen Lolli hervor. Wieder Colageschmack. "Willst du auch einen?" Fragte sie Alice und streckte ihr die Süssigkeit hin.
"Gerne." Sie hatte sich schon immer gefragt, wie solche Süssigkeiten schmeckten. Im Internat hatte sie niemals solche sachen essen dürfen.

Teagan und X-ray, fingen wieder an zu laufen und Alice folgte ihnen. Sie sprachen über irgendetwas, doch Alice war zu konzentriert, den Lolli aus der Plastikhülle zu befreien, als ob sie etwas verstanden hätte. Sie stolperte über Rattenskelette, trat mit ihrem schuhlosen Fuss in eine Pfütze und lief in eine rostige Metallleiter, bis sie sich endlich den Lolli in den Mund stecken konnte.

Er war lecker.

***

Sie standen vor einer Türe. Einer grossen, metallenen, mehrfach gesicherten Türe, auf der in riesigen Buchstaben "DO NOT ENTER! LIFE-THREATENING!" stand. Wie es aussah, wollten sie trotzdem hinein. Und Alice musste wohl oder übel mit.

X-ray bemerkte ihren Misstrauischen Blick wohl, denn er flüsterte ihr zu: "Keine Angst, das ist nur Bluff, damit sich niemand, der sich hierher verirrt hat, hineintraut." Alice nickte.
Das gab Sinn.
Teagan kickte kräftig an die Tür und schrie: "OI, FLORENCE, HIER IST TEAGAN MIT X-RAY UND NOCH NER PERSON, LASS UNS REIN. PASSWORT IST "PETER PAN IM BANANENMUS MIT SALZ""

Einen Moment lange war es Still, in der sich Alice über die Sinnlosigkeit dieses Passwortes Gedanken machen konnte.

Dann hörte man mehrere Vorhängeschlösse aufschliessen.

Die Eisentüre ging ein klein wenig auf, und ein Junge schaute hervor. Sein Gesichtsausdruck war genervt unter seiner unglaublich voluminösen Haarpracht von Hellen, fast weissen Haaren, in denen sich allerlei Zöpchen, Bänder, Glöckchen und Klammern tummeten. Seine Augen, unter denen sich massive Augenringe befanden waren hellgrün und gross. Er starrte Alice an.

Sie starrte zurück.

"Wird sie Bree-san gefallen?" Fragte er Teagan, ohne die Augen von Alice zu lassen.

"Ja."

"Dann ist gut."

Er stiess die Türe ganz auf, und ein schwall warmer, frischer Luft kam ihnen entgegen. Ein Licht trat aus der Türe unf breitete sich im Tunnel aus. Alice fühlte sich schon geborgen, obwohl sie noch nicht einmal im Korridor war, der sich hinter der Tür befand.

Alice trat nach Teagan und X-ray ein und sah sich um. Roter Teppich, crèmefarbene Tapeten, helles, gelbes Licht. In der Ecke neben der Tür, die von dieser Seite her aus lackiertem Holz bestand, stand ein gepolsteter Stuhl, auf dem Florence nun Platz nahm, und sich einem Zauberwürfel widmete. Und zwar in einem unglaublichen Tempo. Alice's Augen kamen beinahe nicht mehr mit.

"Kommst du?" Hörte sie Teagan rufen, sie schon am Ende des Korridors angekommen war.

Alice wandte sich vom Geschehen hinter ihr ab und lief zu Teagan, die auf sie Wartete.

X-ray war schon in den riesigen Raum getreten, der nun vor ihnen lag und Alice überwältigt, und mit offenem Mund, stehen bleiben liess.

SempiternalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt