Prolog Titanic

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Prolog Titanic

Wasser. Überall Wasser. Meine Augen waren weit aufgerissen und brannten vom Salzwasser. Ich spürte meine Beine und Arme nicht mehr. Tausende Tonnen Eiswasser zogen mich mit langsamen Bewegungen auf den Meeresgrund. Über mir sah ich verschwommene Lichter und einen großen dunklen Fleck, der sich mit erschreckender Geschwindigkeit auf mich zubewegte. Ich wollte wegschwimmen, um nicht begraben zu werden, doch meine Gliedmaßen gehorchten mir nicht. Bewegungslos trieb ich im Wasser. meine Lungen schrien förmlich nach Luft und ich musste meine letzte Kraft aufbringen um meinen Mund geschlossen zu lassen. Ich versuchte die restliche Luft bei mir zu halten, als wäre sie etwas ganz kostbares, doch mit jedem Meter, den ich weiter nach unten sank kämpfte sie stärker gegen meine eiskalten Lippen an. Ich spürte wie sich meine Lungen zusammen zogen. Meine Instinkte übernahmen die Kontrolle. Ich stieß die verbrauchte Luft aus und zog in einer ruckartigen Bewegung Wasser in meinen Mund. Es lief mir die Kehle herunter und ich konnte nichts mehr dagegen tun. Mein Wille zu Überleben war gebrochen. Während sich meine Lungen mit Wasser füllten und mein Herzschlag sich verlangsamte, erinnerte ich mich an die letzten Stunden meines kurzen Lebens.

"Mister Ruth, hier entlang bitte." gemäßigten Schrittes betrat ich den prachtvollen Innenbereich des Schiffs. Der Butler, der mir die schwere, goldene Tür geöffnet hatte, zog sie wieder hinter mir zu und ließ mich allein auf der langen Treppe, die in den Speisebereich führte. Vollkommen selbstbewusst sah ich mich um. Um mich herum sah ich prachtvolle Kleider und glatt frisierte Haare, die vornehm von einem Hut bedeckt wurden. Überall gab man sich freundlich und respektvoll die Hand und besprach in angemessener Lautstärke wichtige Dinge. Auf den ersten Blick mochte das alles recht gemütlich wirken, doch kannte man die wahren Gesichter hinter den perfekten Masken, so wusste man, dass das alles nur Illusion war. Es herrschte keine angenehme Atmosphäre, alle waren angespannt, durch den Zwang vor den anderen ein gutes Bild abgeben zu müssen.

Ich legte meine rechte Hand leicht auf das Geländer und schritt dann mit durchgestrecktem Kreuz die Treppe hinunter. Am Fuß der Treppe stand eine Frau, oder zumindest sah sie so aus: Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt und mit tiefblauen Perlen verziert, die perfekt zu ihren Augen passten. Durch das Make Up waren ihre Wangen gerötet und ihr Mund bildete eine perfekt geschwungene Linie. Ihr Kleid fiel in dunkelblauen Wellen auf den Boden und wurde von einem mit Gold Elementen besticktem Mieder gehalten. Es war so geschnitten, dass die Atemberaubend schöne Kette an ihrem Hals gut zur Geltung kam. Ich trat die letzte Stufe hinab und begrüßte sie mit einer tiefen Verbeugung.

"Guten Abend, Miss Claire." Ich hauchte ihr einen Handkuss gegen die Finger und sie erwiderte mit einem strahlenden Lächeln. "Auch ihnen ein guten Abend, Mister Jonathan" Ich richtete mich auf und bot ihr meinen Arm dar. "Begleiten sie mich zu Tisch?" Mit einer leichten Kopfbewegung legte sie ihren Arm auf meinen und wir gingen zu unserem Tisch. Er war, so wie alle Tische, prachtvoll gedeckt und über und über mit Blumen bedeckt. Auf einem der fünf Stühle saß bereits meine Mutter und begrüßte und mit einem wohlwollenden Lächeln. Ich hatte Claire vor drei Tagen auf dem Schiff kennen gelernt und seitdem waren wir sehr oft zusammen über das Deck gelaufen. Meine Mutter war nicht von Anfang an damit einverstanden gewesen, da sie meinte, wir seien noch zu jung, aber mit der Zeit schloss sie Claire ins Herz.

Ihre Eltern waren nicht an Bord. Sie waren bereits in Amerika. Claire war mit ihrer Tante und ihrem Onkel hier, die mit ihr in London geblieben sind, damit ihre Eltern ihren Umzug in die USA regeln konnten. Claire vermisste ihre Eltern sehr und sie konnte es kaum erwarten endlich in Amerika zu sein. Jeden Abend stand sie an der Reling des Schiffs und sah in Richtung des Horizonts. Sie sehnte das Ende der Reise auf diesem Schiff herbei, auch wenn das bedeutete, dass sie mich nie wieder sehen würde, denn ich war mit meiner Mutter auf dem Weg nach Kalifornien, um uns dort eine Zukunft ohne meinen Vater aufzubauen. Er hatte uns vor wenigen Monaten verlassen und meine Mutter war so traurig, dass sie das nächst beste Schiff, möglichst weit weg von London buchte. Dass es ausgerechnet die Titanic war, war Zufall gewesen. Ein glücklicher Zufall, denn ich interessierte mich sehr für die Bauweise von Schiffen und da dieses Schiff angeblich unsinkbar war interessierte mich die Konstruktion natürlich umso mehr.

Ice FlameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt