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Isabell

4 Jahre später ...

Ich hasse mein derzeitiges Leben. Und ich hasse den Mann, der dafür gesorgt hat, dass ich dieses Leben, bestehend aus Angst und Misstrauen, führe. Denn er hat mich vergewaltigt. Mir mein Leben genommen. Ich hasse ihn. Nein. Ich verachte ihn. Seinetwegen fühlt sich alles in mir und um mich herum falsch an. Jedes Lachen, jede Zärtlichkeit, meine Umgebung - einfach alles, gibt mir das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Nichts davon passt mehr zu mir. Ich muss hier weg. Weg aus dem Gefängnis, das sich mein Zuhause nennt. Damit ich nicht mehr so tun muss, als wäre alles okay. Damit ich vielleicht endlich wieder atmen kann. Damit ich eventuell sogar zufrieden werden kann. Denn das alles ist in der riesigen, vor Geld strotzenden Villa meiner Eltern nicht möglich.


Jeder Raum erinnert mich an das Mädchen, das ich einmal war. Jede Urkunde oder Medaille von Leichtathletikwettbewerben zeigt mir, dass ich einmal Ziele hatte. Und jede verdammte Nacht in meinem zu großen, aber dennoch beengenden Zimmer lässt mich von damals träumen. Sequenzenweise. Niemals bleibt es bei einem durchgehenden Traum, wie ihn andere Menschen haben. Nein. Ich träume einen eigentlich zusammenhängenden Traum stückweise. Und nach jedem Abschnitt wache ich schweißgebadet und zitternd auf. Und zwar genau vier Mal.


Zuerst nach dem Traum vom Club. Ein eigentlich schöner Traum. Wir, also meine Freunde und ich, tanzen, albern herum und trinken. Tobi ist auch da. Er ist zuvorkommend und lieb. Genau deswegen habe ich mich in ihn verknallt. Da mein Unterbewusstsein aber weiß, dass er das eigentlich alles gar nicht ist, schlägt es Alarm und weckt mich vorzeitig. Aber es dauert nicht lange, bis ich wieder einschlafe. Und somit auf Traum Nummer zwei treffe.


Er ist grausam. In allen Einzelheiten sehe ich Tobis geifernde Visage über mir, während er brutal und schmerzhaft in mich eindringt. Ab da spüre ich alles. Sein Gewicht, das Brennen in mir, die Übelkeit, ihn, das Bersten meines Verstandes. Einfach alles. Das lässt mich zum zweiten Mal aufwachen. Und zwar immer genau an der Stelle, an der er von mir runtergezogen wird.


Trotzdem bleiben der Schmerz und all die Gefühle in mir, bis ich wieder einschlafe und somit beim dritten Traum anlange. Dem, der mir wie ein Film immer wieder zeigt, wie Tobi einen Typen halbtot prügelt. Dieser Traum fühlt sich meist fast noch schlimmer an als der vorherige. Denn die Machtlosigkeit, die mich erstarren, mich mit ansehen lässt, wie der Mann unter Tobi allmählich das Bewusstsein verliert, brennt höllischer als jeder Schmerz, den Tobi mir zugefügt hat.


Am schlimmsten ist aber der letzte Traum. Kornblumenblaue blutunterlaufene Augen starren mich besorgt an. Das Gesicht dazu ist fast unerkenntlich. Es muss ein schönes Gesicht gewesen sein. Wäre es nicht verbeult und blutüberströmt. Dann verdrehen sich die blauen Augen, bis nur noch das Weiß der Augäpfel zu sehen ist. Der Körper dazu erschlafft wie ein Luftballon, aus dem man langsam die Luft entweichen lässt. Er bricht über mir zusammen. Das warme Blut läuft über meinen Leib. Ich schreie. Zwar kann ich mich nicht erinnern, ob ich wirklich geschrien habe, aber im Schlaf passiert es.


Der Psychiater, den mir das Krankenhaus damals aufgeschwatzt hat, sagte, das sei normal. Posttraumatisches Träumen, nennt sich so was. Meinte er zumindest. Ob das wirklich die richtige Bezeichnung dafür ist, weiß ich nicht. Ist mir ehrlich gesagt auch egal. Der Pfuscher hat eh nichts mehr zu sagen. Denn vor ein paar Tagen hat er mich für geheilt erklärt. Ich konnte ihn endlich davon überzeugen, dass es mir gut geht. Obwohl es nicht so ist. Aber ich habe es geschafft, ihm vorzuspielen, mir ginge es bestens, damit ich dort nicht mehr hin und alles aufarbeiten muss. Ich will nicht darüber reden. Ich will - meinen Eltern zuliebe - weitermachen. Ich will - mir zuliebe - einfach vergessen können. Deshalb tue ich alles dafür, als psychisch stabil zu gelten. Ich treffe mich, auch wenn ich panische Angst habe, mit meinen Freunden. Lächle, obwohl mir nicht danach ist, oder lache über schlechte Scherze. Alles in allem strenge ich mich richtig an, um präsentabel in der Öffentlichkeit zu wirken.

Munich Lovers - Ich gehör zu DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt