Abi-Ball

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Meine Pumps versuchen, mich umzubringen. So viel wie heute Abend habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht getanzt; vor allem nicht mit meinen Lehrern oder dem Schuldirektor.

Ich stolpere auf die Bar zu, klettere auf einen Hocker und streife die Folterwerkzeuge von meinen geschwollenen Füßen. Da werde ich niemals wieder hineinkommen, aber das ist mir egal.

Du schlingerst auf mich zu und lässt dich auf den Hocker neben mir plumpsen. Anscheinend hast du schon ein wenig mehr als nur ein wenig getrunken. In der Hand hältst du eine langstielige, dunkelrote Rose. Ihre Blütenblätter haben sich noch nicht geöffnet, doch sie ist jetzt schon wunderschön. Wenn sie voll erblüht ist, wird sie so schön sein, dass es weh tun könnte, sie anzusehen.

Die Rose habe ich schon einmal gesehen, denke ich ... und plötzlich weiß ich, dass du mich gleich etwas fragen wirst. Etwas, das mit einer Rose zu tun haben wird. Mit dieser Rose ...

Ach du Scheiße!

Ich träume!

Natürlich träume ich, denn du kannst unmöglich hier sein, du bist tot. Was jetzt? Was war doch gleich mein Plan?

»Maddy!«, sagst du mit schwerer Zunge, »Maddy, kannichdichwasfrag'n?«

Nein, das geht nicht. Jetzt weiß ich es wieder, nicht du sollst fragen, ich muss das tun. Jetzt gleich, bevor ich aufwache.

Du siehst mir direkt in die Augen, mit diesem Blick, den ich so gern für immer festhalten würde. Aber du bist tot, dies ist ein Traum, und auf diese Traumsequenz folgt die nächste, bis zum grausamen Schluss.

»Wer bist du?«, frage ich dich, und du schaust mich immer noch an, jetzt allerdings nicht mehr zärtlich, sondern amüsiert.

»Alles in Ordnung middir, Maddy? Geht's dir gut?«

»Wer bist du? Bitte antworte mir.«

»Ähm ... ich bin Tom, das weissu doch. Was für'n Spiel wird'n das hier eigentlich?«

Du grinst mich an, und Dein Grinsen hat mich schon immer aus dem Konzept gebracht. Aber nicht dieses Mal, Tom, dafür habe ich lange geübt.

»Und wer bin ich?«

»Maddy, was soll'n das? Verarschsu mich gerade oder so?«

Du fängst an zu lachen und kriegst dich überhaupt nicht mehr ein. So war das nicht geplant. Mir fällt die nächste Frage nicht ein, du machst mich kirre mit deinem Lachflash. Du musst antworten. Bitte, Tom!

Du verschwimmst, ich kann nichts dagegen tun. Der Traum flackert, und du lachst, während du dich auflöst, genau wie die Bar und die Aula und die Menschen.


Ich wachte auf, Toms Lachen noch immer in den Ohren.

Mist, verdammter!

Den Rest der Nacht lag ich wach. Ich war aufgewühlt und überlegte, ob ich um eine weitere Schlaftablette bitten sollte, aber Schwester Mizzie hatte Dienst. Da wälzte ich mich doch lieber stundenlang von einer Seite auf die andere und grübelte, warum ich es einfach nicht hinbekam, in meinem eigenen Traum Regie zu führen.

Als Doctor Goldblum sich am nächsten Vormittag bei mir einfand, sah ich so jämmerlich aus wie der Tod auf Urlaub, legte aber eine Hyperaktivität an den Tag, die nicht recht dazu passen wollte. Ich ließ ihn kaum seinen Gruß aussprechen und fiel sofort mit meinem immensen, während der Nacht aufgestauten Frust über ihn her.

Gehen Sie einfach durch die Wand! [Teil 1 als Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt