Caro

29 2 1
                                    


Der Wind weht dir um die Ohren und du ziehst dir den Schal noch weiter ins Gesicht, während du auf Bounty über die Felder fegst. Es fühlt sich gut an, deine ganzen Alltagsbelastungen hinter dir und dich einfach nur treiben zu lassen, die Welt um dich herum zu vergessen. Du gehst in der Bewegung von Bounties Galopp mit und als du wieder auf einen Weg zusteuerst, parierst du sie in den Schritt durch. Sie atmet heftig und du klopfst ihr den Hals. Langsam reitest du den Waldweg entlang, der sich vor euch auftut und schiebst tief hängende Zweige aus dem Weg, damit sie dir nicht das Gesicht zerkratzen. Du bist auf dem Weg zu deinem Lieblingsplatz, einer offenen Fläche nah am Waldrand. Obwohl sie recht weitläufig ist, bist du nach wie vor die Einzige, die sich dort aufhält. Und einen Teufel wirst du tun und deinen Freundinnen vom Hof davon erzählen. Sommers wie Winters kommst du dorthin, wenn du nachdenken möchtest oder einfach nur alleine sein. Heute ist das der Fall (xD). Du brauchst ein wenig Ruhe von deinem Leben, heute hattest du einfach das Gefühl zu ersticken.

Kurz bevor ihr ankommt, springst du von Bounty und streifst ihr die Zügel über den Kopf. Ab hier wirst du sie führen, denn der Durchgang in den Büschen ist zu eng, wenn du noch auf ihr sitzt. Du biegst gerade die letzten Zweige auseinander, als du ein lautes Knacken vernimmt und ruckartig innehälst. Bounty schnaubt.

,,Psst.", zischst du. ,,Da ist jemand."

Du spähst zwischen den wenigen verbliebenen Blättern hindurch und deine Vermutung bestätigt sich. Auf der Lichtung ist ein anderer Reiter. Er scheint zu trainieren, danach sieht es jedenfalls aus. Sein Gesicht kannst du nicht sehen, er ist zu weit entfernt. Du beobachtest ihn weiter still. Er ist wirklich gut. Seine Gesten verfließen mit denen seines Pferdes und die beiden sehen total gelassen aus, während sie die schwierigsten Figuren meistern. Es sieht aus, als würden sie tanzen. Oder fliegen. Zwischendurch macht der Reiter eine kurze Pause, gleitet aus dem Sattel, trinkt etwas aus seiner Flasche, die er am Rand der Ebene abgelegt hat, und schwingt sich direkt wieder aufs Pferd. Er reitet so weit von dir weg, dass du schon denkst, er wird verschwinden, doch dann dreht er um und konzentriert sich kurz. Dann trabt er an und wechselt auch gleich in den Galopp. Er hält auf die Mitte der Lichtung zu. Dort liegt seit dem letzten Sturm ein riesiger entwurzelter Baum. In deinem Gehirn rattert es, als du plötzlich kapierst, was er vorhat. Er will darüberspringen. Du zuckst zusammen. Ist der denn verrückt? Das ist doch viel zu hoch! Er wird stürzen und sich und seinem Pferd sämtliche Knochen brechen. Du willst gerade aus dem Dickicht stürzen und ihn auf halten, da ist es schon zu spät. Mit einem großen Satz setzt das Pferd über den Stamm. Es sind sogar noch einige Zentimeter zwischen seinen Hufen und dem Baum Platz. Mit offenem Mund starrst du den beiden hinterher, als sie im Wald verschwinden - diesmal endgültig.

Du brauchst erstmal einige Minuten, um das zu verdauen. Wie es scheint, gehört die Lichtung von nun an nicht mehr nur dir alleine.

Als du schließlich einen Blick auf dein Handy wirfst, stellst du fest, dass es spät geworden ist. Die Zeit ist verflogen, während du dem geheimnisvollen Reiter zugesehen hast. Du musst dich auf den Weg zurück zum Stall machen.

Die nächsten Tage bist du zwischendurch immer wieder so abwesend, dass es sogar deinen Freundinnen auffällt. Doch du kannst nichts dagegen tun: ständig wandern deine Gedanken zurück zu dem Typen, der besser reiten konnte als jeder, den du kennst. Du reitest zu deinem Platz so oft es geht und siehst ihm beim Trainieren zu. Er ist fast jedes Mal da, wenn du kommst.

,,Leute, hört mal her. Das ist Louis.", wirst du heute aus deinen Träumereien gerissen. Deine Lehrerin steht vorne an der Tafel. Du hast gar nicht bemerkt, dass sie beim Hereinkommen nicht alleine war.

,,Louis ist vor kurzem hierher gezogen. Etwas ungewöhnlich so kurz vor Weihnachten, ich weiß, aber die Gründe dafür wird er euch wohl lieber selbst verraten.", fährt sie fort.

Weihnachten:)Where stories live. Discover now