,,Karla, wo bleibst du denn? Wir müssen los!" Die Stimme deiner Mutter dringt genervt durchs ganze Haus.
,,Ich komme doch schon." Mit einer Handbewegung beförderst du dein Handy in die Hosentasche, dann gehst du nach unten, wo deine Eltern bereits vollständig angezogen und ungeduldig auf dich warten. Dein Vater klimpert mit den Autoschlüsseln. Schnell ziehst du deine Schuhe an und willst nach deiner Lederjacke greifen, doch deine Mutter reißt sie dir aus der Hand und drückt dir deine Winterjacke in die Hand, was du nur mit einem Augenverdrehen quittierst.
Du folgst deinen Eltern zum Auto und setzt dich auf die Rückbank. Als dein Vater den Motor anlässt, stopfst du dir die Kopfhörer in die Ohren und schaltest Linkin Park ein. Ihr seid auf dem Weg zum Essen bei Freunden deiner Eltern. Katrin und Markus Wenger. Mittelaltes Ehepaar, keine Kinder, und du hast sie erst ein oder zwei Mal in deinem Leben gesehen. Leider haben deine Eltern trotzdem darauf bestanden, dass du mitkommst - das wird auf jeden Fall stinklangweilig. Und das am zweiten Weihnachtsfeiertag. Als ob du nichts Besseres zu tun gehabt hättest.
Als dein Vater euer Auto mit knirschenden Reifen in der Auffahrt parkt, siehst du das erste Mal wieder auf, seit ihr losgefahren seid. Vor euch erhebt sich das Haus der Wengers. Es ist groß, mit mehreren Balkonen und vielen Fenstern. Ihr steigt aus und klingelt an der Haustür. Deine Mutter hat eine Schüssel mit Kartoffelsalat im Arm.
Du kannst Schritte hören, dann öffnet sich die Tür. Vor euch steht Katrin. Sie fällt euch nacheinander um den Hals, drückt dir zusätzlich noch einen Kuss auf die Wange und redet über die vielen Leute, die schon für ihre Party da sind. Du horchst auf. Party? Du dachtest die ganze Zeit, ihr wärt die einzigen Gäste. Aber vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung.
Wie sich herausstellt, war der Begriff ,,Party" doch etwas übertrieben. Zwar tummeln sich im weitläufigen Wintergarten der Wengers um die zwanzig Leute - doch das Durchschnittsalter liegt definitiv weit über zwanzig. Es gibt weder Musik noch eine ausgelassene Stimmung. Fürs Erste hältst du dich an deine Eltern, nippst verhalten an deinem Glas Wasser, bedienst dich hin und wieder am großen Buffett an der Tür und beobachtest. Wie es aussieht, sind die einzigen, die etwa in deinem Alter sind, zwei circa siebenjährige Mädchen, ein weiteres Mädchen, das jedoch auch mindestens drei Jahre jünger ist als du und ein Junge, den du auf etwa fünfzehn oder sechzehn schätzt. Gerade als du ihn nochmal genauer von oben bis unten unter die Lupe nimmst, dreht er sich um und erwidert deinen Blick. Peinlich berührt wendest du dich ab und bittest den Boden im Stillen inständig, dich auf der Stelle zu verschlucken.
Du verkrümelst dich und stellst dich erst einmal neben deinen Vater, doch schnell stellst du fest, dass die Diskussion, die er mit Markus führt, nicht ganz dein Fall ist (okay, das musste sein, sorry). Dein Blick wandert durchs Zimmer, als er plötzlich an der Tür zum richtigen Garten hängen bleibt. Warum eigentlich nicht? Hier drinnen ist es echt stickig, und ein bisschen frische Luft kann ja sowieso nie schaden. Mit schnellen Schritten bist du dort und schiebst dich nach draußen. Du atmest die kalte Nachtluft tief ein und lächelst.
Ohne ein bestimmtes Ziel schlenderst du durch den Garten. Irgendwann bist du außer Sichtweite des Hauses und vor dir taucht eine Art Pavillon auf. Eigentlich ist es nur eine etwas erhöhte, überdachte Holzfläche, doch mit den Laternen, die irgendjemand außenherum aufgehängt hat, sieht es richtig weihnachtlich stimmungsvoll aus. Du lässt dich auf dem Boden nieder, lehnst dich gegen einen der Holzpfosten, die das Dach halten, schaust in den klaren Sternenhimmel und machst es dir mit deiner Musik bequem.
Als du durch die Kopfhörer Schritte hörst, siehst du auf. Der Junge von vorhin kommt um die Ecke und bleibt stehen, als er dich sieht.
,,Oh, sorry, ich wollte dich nicht stören. Bin schon wieder weg.", entschuldigt er sich und wendet sich zum Gehen.
,,Lass nur. Du kannst ruhig bleiben." Als die Worte heraus sind, staunst du, wie leicht sie dir über die Lippen kamen. Normalerweise hättest du ihm nur nachgesehen und nichts gesagt.
Er dreht sich um und lässt sich neben dich fallen. Eure Arme berühren sich und dich durchfährt ein warmes Kribbeln. Was ist nur los? Das liegt sicher daran, dass du keine Jacke anhast.
,,Ist dir kalt?" Er sieht dich fragend an. ,,Ich kann dir meine Jacke geben."
Dann schlägt er sich gegen die Stirn. ,,Mein Gott, ist das klischeehaft."
Du musst unwillkürlich lächeln (Mehr lächeln:). ,,Ich nehme sie trotzdem gerne.", sagst du leise.
Er zieht sie aus und legt sie dir um die Schultern. Dabei ist er dir so nah, dass du seinen warmen Atem auf deiner Haut spüren kannst.
,,Du heißt Karla, oder? Ich habe dich vorhin mit deiner Mutter reden hören.", bemerkt er.
Du nickst. Die nächsten Stunden sitzt ihr nebeneinander im Pavillon, unterhaltet euch und lacht, und die ganze Zeit ist da so ein blubberndes Gefühl in deinem Bauch, das du dir nicht erklären kannst. Als du schließlich dauernd gähnen musst, merkst du erst, wieviel Zeit schon vergangen ist. Es ist spät geworden. Du schlüpfst aus seiner warmen Jacke und gibst sie ihm zurück.
,,Ich glaube, ich sollte mal wieder ins Haus. Meine Eltern warten sicher schon. War schön, mit dir zu reden.", erklärst du bedauernd.
,,Ja, war es echt. Warte noch ganz kurz, ich habe eine Idee. Du hast doch dein Handy dabei, oder?" Er kramt in seiner Hosentasche. ,,Lass uns Nummern tauschen, dann können wir in Kontakt bleiben."
Dein Herz klopft dreimal schneller als es eigentlich sollte, doch du hoffst, dass er nicht bemerkt, wie deine Hände zittern, als du deine Nummer in seiner Kontaktliste speicherst. Du versucht so zu tun, als wäre es für dich ganz normal, Handynummern mit Jungs zu tauschen, doch in Wahrheit ist das hier das erste Mal, dass dich überhaupt ein Junge wirklich wahrnimmt.
Er gibt dir dein Handy zurück und du schaust kurz darauf. Unter ,,Lukas:)" hat er sich eingespeichert. Dir fällt erst jetzt auf, dass du vorher gar nicht wusstest, wie er heißt. Zum Abschied nimmt er dich in den Arm. Und plötzlich spürst du einen Lufthauch am Mund, so federleicht, dass du dir nicht einmal sicher bist, ob du dir die Berührung nur eingebildet hast. Doch dann hat er dich schon losgelassen und ist verschwunden. Und du stehst da, berührst ungläubig deine Lippen, starrst ihm nach, unfähig irgendetwas zu tun und denkst, was für ein Glück es war, heute Abend mitzukommen.
Und das ist erst der Anfang der wundervollen Liebesgeschichte von Karla und Lukas...den Rest musst du dir leider selber ausdenken:) Frohe Weihnachten<3
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Weihnachten:)
Short StoryGeschrieben: 2015 In diesem Buch sind drei Kurzgeschichten, die ich vor ein paar Jahren für Freundinnen geschrieben habe:) Frohe Weihnachten!