Hanna

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,,Hey, Hanna, hast du heute Zeit?"

Als Nicks Stimme hinter dir erklingt, seufzt du. Dieser Junge lässt sich wirklich nicht unterkriegen. Ständig versucht er, dich zu einem Date zu überreden, aber du möchtest einfach wirklich nichts von ihm. Ihr seid Nachbarn, seit er vor einem halben Jahr mit seiner Familie in das Haus neben eurem eingezogen ist, und er hat sich schon bei eurer allerersten Begegnung in dich verkuckt. Und obwohl du in ihm nicht mehr siehst als einen netten Typen, hast du es immer noch nicht geschafft, ihm das wirklich klar zu machen. Immer wenn ihr euch zufällig irgendwo trefft, hält er dir Türen auf, strahlt dich an oder versucht, dich in ein Gespräch zu verwickeln. Du hast wirklich probiert, ihn sanft abblitzen zu lassen, doch es klappt nicht. Du drehst dich um.

,,Ja.", antwortet du schlicht. ,,Aber nicht für dich. Tut mir leid, Nick, lass mich bitte in Ruhe."

Nick steht da wie ein begossener Pudel und sieht dich traurig an, dann läuft er dir doch hinterher. ,,Jetzt komm schon! Du hast mir nie eine einzige Chance gelassen. Vielleicht findest du mich ja doch total toll und weißt es nur noch nicht, weil du es einfach noch nie mit mir versucht hast. Ich wünsche es mir zu Weihnachten." Er legt den Kopf schief.

Du zögerst. Er hat Recht. Du warst von Anfang an immer genervt von ihm, obwohl er dir überhaupt nichts getan hat. Vielleicht solltest du einfach einmal mit ihm ausgehen. Wenn das nichts bringt, kannst du es ihm ja immer noch sagen.

,,Okay.", sagst du. ,,An was hättest du gedacht?"

Nick starrt dich an. ,,Jetzt ernsthaft? Mega cool!"

Er führt einen kleinen Freudentanz auf und du musst lachen.

,,Wie wäre es mit dem Weihnachtsmarkt in der Stadt?", schlägt er vor. ,,In einer Stunde hier draußen?"

Du willigst ein. Dann schiebst du dein Fahrrad ins Gartenhäuschen und gehst ins Haus. Was zieht man zu einem Date auf dem Weihnachtsmarkt an? Nachdem du zwanzig Minuten lang verschiedene Outfits durchprobiert hast, die sowohl warm als auch ganz hübsch sein sollten, hältst du inne. Was tust du hier eigentlich gerade? Das dort draußen ist Nick. Und du machst dir tausend Gedanken über deine Kleidung? Was ist nur los mit dir? Kopfschüttelnd gehst du ins Wohnzimmer, setzt dich neben Marja, die sich auf dem Sofa breitgemacht hat, und ihr seht euch irgendeine Serie an, bis du aufstehst, weil es Zeit wird, nach draußen zu gehen.

Nick steht schon an eurem Gartentor und tippt auf seinem Handy herum. Als er dich sieht, steckt er es sofort weg. Gemeinsam lauft ihr los, um mit der S-Bahn in die Stadt zu fahren. Zuerst schweigt ihr nur, doch irgendwann fangt ihr an, euch zu unterhalten. Du stellte schnell fest, wie lustig Nick ist. Er bringt dich dauernd zum Lachen mit Witzen, hauptsächlich über sich selbst. Du staunst, wie gut man sich mit ihm unterhalten kann. Ihr redet viel über seine Familie und Nick erzählt Anekdoten von seiner achtjährigen Schwester. Über deine Familie weiß er das Meiste schon. Nick ist ein wirklich guter Beobachter - es ist schon fast gruselig, wie genau er Bescheid weiß.

Am Weihnachtsmarkt angekommen, lässt er dich entscheiden, wo ihr anfangt, euch umzusehen. Der Weihnachtsmarkt besteht aus 24 Ständen, die im Kreis um eine Bühne angeordnet sind, auf der eine Blaskapelle spielt. Ihr geht von Häuschen zu Häuschen und amüsiert euch wirklich gut, doch dir fällt auf, dass Nicks Blick immer zu einem Stand wandert: der, von dem ein leckerer Geruch nach Gebratenem in Schwaden zu euch herüberweht. Nach einer Weile lächelst du ihn an.

,,Las uns etwas essen."

Das lässt Nick sich nicht zweimal sagen. Er nimmt deine Hand und zieht dich mit sich. ,,Komm, ich lade dich ein."

Zuerst willst du protestieren, doch dann hältst du doch den Mund. Es ist eigentlich süß von Nick, dass er dir etwas spendieren will.

,,Was möchtest du denn?", fragt er dich. Seine Augen glitzern im Schein der Lichterketten, die in den Bäumen befestigt sind und seine Wangen sind gerötet vor Kälte.

,,Ähm..." Du überlegst. Du bist zwar Vegetarierin, willst aber nicht so wirken als wärst du eins dieser Mädchen, die krankhaft auf ihre Ernährung achten und jede winzige Schwankung ihres Gewichts haargenau beobachten. ,,Die Pommes sehen doch ganz gut aus."

Nick nickt und stellt sich in die Schlange. Du wartete solange neben dem Stand. Als er wiederkommt, hat er in der einen Hand eine Tüte Pommes und in der anderen ein Serviette mit einer Bratwurstsemmel. Zusätzlich balanciert er zwei Becher Punsch. Du bedankst dich und umarmst ihn.

Nick sieht sich um. Es gibt einige Bänke am Rand des Weihnachtsmarkts, doch sie sind alle besetzt. Er fasst eine ins Auge, auf der ein Pärchen sitzt, dass wenig älter ist als ihr. Du kennst die beiden aus der Schule, sie gehen in eine Klasse über euch. Als Nick neu war, haben sie sich tagelang über seine Kleidung, seine Haare und seinen Stil lustig gemacht. Nick erkennt sie auch schnell wieder. Er zwinkert dir zu, dann steuert er schnurstracks auf eben diese Bank zu. Du folgst ihm zögerlich und hast keine Ahnung, was er vorhat. Er will die beiden doch nicht etwa ansprechen?

Kurz bevor er an der Bank ankommt, knickt Nick plötzlich um, gibt einen erstickten Laut von sich und fällt zu Boden. Dort bleibt er regungslos liegen. Du stürzt zu ihm.

,,Nick? Nick, ist alles in Ordnung?" Du kniest dich neben ihn.

,,Ja, nichts passiert.", gibt er benommen zurück, doch als du versuchst, ihm beim Aufstehen zu helfen, lässt er sich mit einem Aufschrei erneut zu Boden sinken. ,,Mein Fuß.", jault er und hält sich den Knöchel.

Das Pärchen auf der Bank ist mittlerweile auf euch aufmerksam geworden. ,,Alles klar bei euch?", fragt der Junge und wendet sich an Nick. ,,Möchtest du dich hierhin setzen? Wir können auch woanders hingehen."

,,Das wäre super." Nick stützt sich auf dich und humpelt mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht zur Bank. ,,Dankeschön."

Die beiden lassen euch alleine. Kaum sind sie um die Ecke verschwunden, fängt Nick an zu Lachen. Du starrst ihn irritiert an, bis du es kapierst: Nick hat nur gespielt, um die beiden zu vertreiben. Ganz schön raffiniert.

,,Du bist ja fies.", rügst du ihn, doch dann musst du auch Grinsen.

Nick schaut dich ohne das geringste Bisschen Reue im Blick an. ,,Du musst aber zugeben, das Gesicht, dass die beiden gemacht haben, war genial."

,,Stimmt." Du lachst zurück. ,,Aber jag mir bitte nie wieder so einen Schreck ein."

,,Keine Sorge."

Plötzlich ist die Stimmung zwischen euch ganz komisch. Dir ist vorher gar nicht bewusst gewesen, wie nah ihr euch eigentlich seid. Und warum du Nick vorher immer abgewiesen hast, ist dir jetzt sowieso schleierhaft. Er ist total nett und charmant. Und warum ist dir bloß nie aufgefallen, wie süß es ist, wenn sich tiefe Grübchen in seinen Backen bilden, sobald er lächelt?

Er beugt sich ein wenig näher zu dir ran, dann zögert er. Ihm ist definitiv auch noch bewusst, wie oft er bei dir abgeblitzt ist. Diesmal bist du dran, etwas zu tun. Langsam bewegst du dich nach vorne, dann küsst du ihn sanft mitten auf den Mund. Die Welt um euch herum versinkt in einem Wirbel aus Farben und Gerüchen, und du nimmst alles nur noch verschwommen wahr, als wärst du unter Wasser oder so. Automatisch schließen sich deine Augen. Als ihr euch wieder löst und du sie öffnest, siehst du, dass Nick knallrot geworden ist. Du bist leicht außer Atem, doch du spürst trotzdem das wohlige Kribbeln in deinem Bauch, das wohl eher nicht am Punsch liegt.

Und dann ist der Moment vorbei und eine verlegene Stille tritt ein, die auch nicht von dem als Nikolaus verkleideten Mann auf dem Platz übertönt werden kann, der immer wieder ,,Ho, ho, ho, frohe Weihnachten" ruft und den Vorbeigehenden Schokolade in die Hände drückt.

Nick steht ruckartig auf. ,,Ich denke, wir fahren dann mal zurück nach Hause."

Du nickst mit gesenktem Kopf und ihr geht zum Bahnhof. Es ist gerammelt voll und aus Angst, ihn zu verlieren, bleibst du ganz nah bei Nick. Auf der Rolltreppe dreht er sich schließlich zu dir um. ,,Und? War es so schlimm?"

Das schelmische Grinsen ist in sein Gesicht zurückgekehrt. Du schüttelt den Kopf und siehst ihn schüchtern an. Ein ungewöhnliches Gefühl für dich. Normalerweise hast du immer einen frechen Kommentar parat, doch heute sind alle Sprüche wie aus deinem Gehirn weggefegt. Nick streckt dir die Hand hin.

,,Sonst verlieren wir uns noch in dem Gedränge."

Du lächelst und nimmst sie. Denn du weißt: für euch beide hat die Geste mehr Bedeutung als hundert Worte.

So, wie es weitergeht, musst du entscheiden. Fröhliche Weihnachten;)

Weihnachten:)Where stories live. Discover now