Stille.
Im Wald rund um den Lake Mondac war es vollkommen ruhig. Das Ehepaar, das werktags in der brodelnden, chaotischen Stadt lebte, kam sich wie in einer anderen Welt vor.
Stille, nur unterbrochen durch den gelegentlichen Ruf eines fernen Vogels oder das dumpfe Quaken eines Frisches.
Nun aber: ein anderes Geräusch.
Das Rascheln von Blättern, zweimal das scharfe Knacken eines Zweiges.
Schritte?
Nein, das konnte nicht sein. Die anderen Ferienhäuser am See waren an diesem kühlen Freitag Nachmittag im April menschenleer.
Emma Feldman, Anfang dreißig, stellte ihren Martini auf den Küchentisch, an dem sie ihrem Mann gegenübersaß. Sie schob sich eine lockige schwarze Haarsträhne hinter das Ihr und ging zu einem der schmutzigen Küchenfenster, sah von dort aus aber nichts als ein Dickicht aus Zedern, Wacholder und Schwarzfichten, das den Hang eines steilen Hügels bedeckte, dessen Felsen geborstenen gelben Knochen ähnelten. Emmas Mann zog eine Augenbraue hoch. » Was war das?«
Sie zuckte die Achseln und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. » Keine Ahnung. Ich kann nichts entdecken.«
Draußen herrschte wieder Stille.
Emma, so schlank wie eine der kahlen weißen Birken, die vor den vielen Fenstern des Ferienhauses wuchsen, streifte ihre blaue Jacke ab. Sie trug einen passenden Rock und eine weiße Bluse. Anwaltskleidung. Das Haar hochgesteckt. Anwaltsfrisur. Strümpfe, aber keine Schuhe. Steven, dessen Aufmerksamkeit sich auf die Bar richtete, hatte ebenfalls seine Jackett ausgezogen und die zerknitterte gestreifte Krawatte abgelegt. Der Sechsunddreißig jährige mit dem dichten widerspenstigen Haar trug ein blaues Hemd, und sein Bauch ragte unerbittlich über den Gürtel der marineblauen Hose. Emma störte sich nicht daran, sie fand ihn süß, und das würde auch immer so bleiben. » Sie mal, was ich hier habe«, sagte er, nickte in Richtung des Gästezimmers im Obergeschoss und packte eine große Flasche dickflüssigen bio-gemüsesaft aus. Ihre gemeinsame Freundin, die dieses Wochenende aus Chicago zu Besuch gekommen war, hatte in letzter Zeit gefallen es Flüssignahrung gefunden und Trank die abscheulichsten Sachen.
Emma lass das Etikett und rümpfte die Nase. »Das kann sie gern alles behalten. Ich bleibe bei Wodka.«
»Darum liebe ich dich.«
Das Haus knarrte wie so oft. Es war 76 Jahre alt und bestand weitgehend aus Holz, mit nur wenig Stahl und Stein. Die Küche, in der sich sie sich aufhielten, war winklig geschnitten und mit heller Kiefer vertäfelt. Der Boden uneben. Das im Stil der Kolonialzeit errichtete Haus bei eines war eines von insgesamt drei Gebäuden an dieser Privatstraße, zu denen jeweils eine vier Hektar große perzelle gehörte Punkt man konnte von einem Seegrundstück reden, aber nur, weil das Wasser knapp 200 Meter von der vor der Tür entfernt gegen das felsige Ufer plätscherte. Das Haus stand auf einer kleinen Lichtung an der Ostflanke einer beachtlichen Bodenerhebung. Die Mittlwestliche Bescheidenheit der Leute hier in Wisconsin hielt sich davon ab, diese Hügel als Berge zu bezeichnen, obwohl die kammlinien auf bis zu 250 Meter Höhe lagen. Im Augenblick wurde das große Haus in den blauen Schimmer des späten Nachmittags getaucht. Emma schaute hinaus auf den Lake Mondac. Der Abstand zum Hügel war groß genug, dass die gekräuselte Oberfläche ein paar letzte Sonnenstrahlen einfangen konnte. Zur Zeit, am Anfang des Frühlings, sah die Uferregion noch ziemlich schmutzig aus und erinnerte irgendwie an das gesträubte feuchte Rückenfell eines Wachhundes. Das Haus war wesentlich hübscher, als Emma und diesen Steven es sich eigentlich hätten leisten können - sie hatten es im Zuge einer Zwangsversteigerung erworben -, und Emma hatte schon beim ersten Anblick gewusst, dass es sich hierbei und das perfekte Freizeitdomizil handeln würde.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 05, 2015 ⏰

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