dritter Akt

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Meine Hand zitterte so sehr vor Erschöpfung, dass ich einige Male das Schlüsselloch verfehlte, bevor ich die Tür aufschließen konnte und in die kalte Nacht hinausstürzte. Ich hörte zunächst nichts anderes, als meinen eigenen Herzschlag in den Ohren, dachte zuerst Zauberzunge wäre tatsächlich schon losgelaufen, doch dann legte sich eine Hand auf meine Schulter und seine Stimme drang eine Sekunde danach in mein Bewusstsein vor.

„J, dir geht es gut! Wie... wie hast du es geschafft..."

In der Dunkelheit konnte ich ihn kaum erkennen, nur seine grünen Augen stachen seltsamerweise aus dem Gemisch von Grau und Schwarz hervor. Er sah so unendlich müde aus... So sah ich also in seine Augen und hoffte im gleichen Moment er würde meine nicht erkennen... zumindest nicht die Tränen die darin schimmerten.

„Unwichtig. Wie müssen jetzt zuerst von hier wegkommen und zwar so schnell wie möglich."

Ich nahm ihn an seiner unverletzten Hand und zog ihn mit mir in eine Richtung, in die Schatten zwischen den Bäumen hinein.

Weg von diesem Labyrinth aus Stein, Staub und Blut.

Wir verbrachten die Nacht in diesem Wald. Entweder hatten wir uns verirrt, oder er war einfach so riesig und endlos, dass unser Fußmarsch in eine Richtung endlos zu sein schien. Mit jeder Stunde, die verging, mit jeder Rippe, die brach fiel mir das Atmen schwerer, verstärkte sich der Schmerz in meiner Brust.

Es musste 3 Uhr morgens sein, als Zauberzunge plötzlich stehen blieb und mich damit ebenfalls stoppte, noch immer musste er sich auf mich stützen, um laufen zu können. (Noch maximal 13 Stunden zu leben)

„Es führt zu nichts, J. Es führt zu nichts, wenn wir die Hand vor Augen nicht erkennen können und gleichzeitig einen Weg suchen!"

Mein Atem ging schwer, meine Lippe blutete noch immer von dem letzten Rippenbruch, bei dem ich mich in ihr verbissen hatte, um nicht zu schreien. Ich lief nur noch aus einem Reflex, aus einer Hoffnung hinaus, dass es bald enden würde, dass es einfach bald vorbei sein würde... Die Schmerzen. Die Angst. Zauberzunge in Sicherheit.

„Wie müssen auf den Sonnenaufgang warten, J. Uns bleibt nichts anderes nötig. Ein paar Stunden Schlaf würden uns guttun... uns beiden."

Nein, der Schlaf wird uns Zeit stehlen. Wertvolle Stunden, die durch unsere Finger rinnen, wie feiner Sand...

Doch ich hatte nicht die Kraft es auszusprechen. Die Sätze kamen einfach nicht über meine Lippen.

Der Schlaf wird nicht uns die Zeit stehlen, sonder allein dir, J. Nur dir allein. Er braucht den Schlaf. Er wird nicht sterben, weil er sich ein paar Stunden Ruhe gönnt. Du wirst das.

Zauberzunge schlief noch, als die Sonne langsam begann das Muster der lebendigen Blätter auf das längst tote Laub zu zeichnen. Es war 7 Uhr, noch 9 Stunden also. Die Tränen der letzten vollen Stunden klebten noch an meinen Wangen, als ich mich über den schlafenden jungen Mann beugte. Für einen Moment hielt ich inne, bevor ich ihn weckte und sah einfach auf sein schlafendes Gesicht herunter.

Noch immer war er immer er blass, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er kämpfte. Er kämpfte. Sein Körper kämpfte gegen die Infektion und ich wusste, dass es ihm besser gehen würde, wenn ich ihm noch ein paar Stunden geben würde... Beinahe hätte ich mich neben ihn gelegt und hätte versucht es ihm meine letzten neun Stunden lang gleich zu tun.

Einfach liegen, neben ihm, seine Wärme, seinen Atem spüren und...

Ich stupste ihn unsanft an die Schulter. „Zauberzunge! Wach auf! Die Sonne ist aufgegangen. Wir müssen weiter!"

Wäre ich doch nur sieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt