Wir fahren nicht nach Hause

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„Kann ich reinkommen? Oder bist du noch beschäftigt?", fragte Lukas mit deutlicher Sorge in seiner Stimme. „Nein, nein, ist schon in Ordnung. Komm rein.", antwortete ich und versuchte nicht ganz so miserabel auszusehen. Die Tür wurde geöffnet und Lukas stand da und sah mich mit sorgenvoller Miene an. Nach ein paar Sekunden in denen er vermutlich abschätzte ob ich wieder aufnahmefähig war sagte er:" Komm ich fahr dich nach Hause. Das hier bringt ja nichts." Ich wollte ihm gerade zustimmen als mein Handrücken schon wieder zu jucken begann. Oh nein, nicht schon wieder, dachte ich und sah nach unten.

Es ging alles sehr schnell. Ich sah Lukas und mich im Auto sitzen. Plötzlich überholte uns jemand von hinten in einer Kurve und krachte mit einem entgegenkommenden Auto zusammen. Lukas versuchte noch zu bremsen aber es war schon zu spät und der Schnee auf der Straße der heute noch nicht weggeräumt worden war verursachte nur, dass wir ins Schleudern gerieten und doch mit den anderen beiden Autos zusammen stießen. Da brach meine Vision ab und ich wusste, dass wir diese Autofahrt nicht überleben würden.

„Ich glaube das ist keine so gute Idee", sagte ich und stand auf. Mein Kopf brummte noch ziemlich aber das Schwindelgefühl hatte einigermaßen nachgelassen. „Wir müssen hier bleiben. Die Prüfungen sind in drei Monaten wir können jetzt nicht noch den Unterricht verpassen, wo wir sowieso kaum hinterher kommen." Das war die beste Ausrede die mir einfiel und ich war froh als Lukas nicht noch weiter darauf einging. „Woher hast du eigentlich gewusst, dass ich mich übergeben musste?", fragte ich um ihn von dem Thema abzulenken. „Ist das ein Witz? Du warst so grün im Gesicht wie dieses hässliche Hemd das unser Englischlehrer alle zwei Wochen anhat.", scherzte er. „Danke, jedenfalls. Ich glaub nicht, dass ich es noch irgendwohin geschafft hätte.", sagte ich ehrlich aufrichtig als wir uns auf den Rückweg zum Klassenzimmer machten. Ich hatte zwar sowas von keine Lust nochmal dort hineinzugehen, aber wie ich das sah gab es nur diese Möglichkeit oder qualvoll bei einem Autounfall zu sterben. So ungern ich auch in den Unterricht wollte, diese Aussicht machte es gerade so erträglich zurück zu Mathe zu gehen.

Als wir die Klasse wieder betraten sah uns Herr Hans mit einem unzufriedenen Ausdruck an dem man anmerkte, dass er es nicht leiden konnte wenn Schüler auch nur eine Minute des so unglaublich wertvollen Unterrichts verpassen. Man könnte auch meinen, er könne Schüler einfach nicht leiden, aber das wäre dann doch zu weit hergeholt (sarkastisches Zwinkern). Wir setzten uns ohne das genervte Schnauben unseres Lehrers zu beachten und begannen wie alle anderen die Notizen von der Tafel abzuschreiben, die wir noch nicht gemacht hatten.

Der Rest des Schultages verlief eigentlich recht normal. Wir wurden alle zusammen angeschnauzt, weil wir alle „vergessen" hatten unsere BWL Hausaufgaben zu machen und fuhren nach der fünften Stunde frühzeitig nach Hause, weil unser Rechnungswesen Lehrer sich heute Morgen krank gemeldet hatte. Das war eine Erleichterung, denn wie sich rausstellte hatte auch in diesem Fach niemand die Hausaufgaben gemacht und es in Rechnungswesen zu vergessen war noch hundertmal schlimmer als in BWL. Also fuhren Lukas und ich zusammen zu mir nach Hause, weil seine Eltern schon wieder irgendwohin auf Geschäftsreise waren und er für die verbleibenden beiden Wochentage bei mir übernachten würde. Die Fahrt verlief so normal wie immer, verrückt zwar, weil Lukas und ich aus unerklärlichen Gründen immer lauthals mitsingen mussten wenn im Radio ein Lied lief das wir kannten und Lukas nicht der beste Sänger war den man sich vorstellen kann, aber trotzdem normal. Wir kamen sicher zu Hause an obwohl ich immer noch etwas Bammel gehabt hatte und in der Kurve die ich in meiner Vision gesehen hatte extra vorsichtig gefahren war.

Wir stiegen noch lachend, wegen der letzten schrägen Note die Lukas rausgehauen hatte, aus dem Auto aus und gingen zur Tür rein. Meine Eltern waren auch beide noch nicht zu Hause aber im Kühlschrank fand ich genug Zeug um uns Sandwiches zu machen und eine Packung Kekse die wir danach killen konnten. Zufrieden ging ich aus der Küche ins Wohnzimmer wo Lukas sich schon auf die Couch gefläzt hatte und durch Fernsehen zappte. Ich stellte ihm den Teller mit seinem Sandwich auf den Couchtisch und begann selbst zu essen. Wir wollten heute endlich mal anfangen Herr der Ringe zu schauen, weil ich es noch nie gesehen hatte und Lukas der totale Fan war. Also tat ich ihm den Gefallen und legte die erste CD ein. Schon nach der ersten Stunde wurde mir langweilig und ich begann an meinem Handy rumzuspielen. Als der Abspann endlich lief war ich schon halb eingeschlafen. „Und wie fandest du es?", fragte Lukas mit einem Leuchten in den Augen, das ich nur zu gut kannte. Es schlich sich immer in sein Gesicht wenn er mir von Herr der Ringe und anderen Dingen erzählte die er so toll fand. Ich wusste ich würde ihn verletzen wenn ich jetzt sagen würde ich hatte nach den ersten siebzig Minuten den Faden verloren, also sagte ich:"Ja es war echt klasse. Ich wusste gar nicht, dass Gandalf schon im ersten Teil stirbt." Er rollte die Augen und sagte:"Aber er kommt doch wieder. Er würde doch Frodo nicht allein lassen." Nun war ich dran mit den Augen zu rollen und mein Blick blieb an der Uhr an der Wand hängen. Komisch, es war erst halb sechs. Es kam mir schon um einiges später vor. Meine Eltern würden in ein paar Minuten nach Hause kommen und Lukas und ich hatten noch Hausaufgaben zu tun, also gingen wir in mein Zimmer wo ich mich sofort auf mein Bett fallen ließ und mir wünschte einfach einschlafen zu können.

„Komm schon steh wieder auf wir müssen noch Aufgaben machen.", sagte Lukas der sich schon auf seinen Lieblingsstuhl gefläzt hatte und nicht so aussah als würde er freiwillig in den nächsten Stunden wieder aufstehen. Ich hievte mich wieder vom Bett auf und ging zu meinem Schreibtisch um den Computer hochzufahren. Ok vielleicht hatte ich Lukas ja eben als ein bisschen freakig mit seiner „Herr der Ringe Obsession" beschrieben aber in Wahrheit war ich auch nicht viel besser. Das konnte man ganz einfach an meinem Desktophintergrund erkennen. Uns starrten Dean und Castiel von Supernatural an die mit, mit Essen vollgestopften Backen in die Kamera schauten. Nach zehn Sekunden wechselte das Bild auf ein Bild von Sherlock und danach wusste ich dass es auf ein Bild der TARDIS von Doctor Who umspringen würde (Ja ich schäme mich ganz leicht für meine kleine Obsession aber jeder hat doch seine Macken oder?). Ich öffnete schnell meinen Standartbrowser, um Lukas nicht unbedingt noch darauf aufmerksam zu machen und gab das Thema unserer Hausaufgaben in die Suchmaschine ein. Ich konnte es kaum erwarten mit den Hausaufgaben fertig zu sein, schlafen und diesen Tag endlich hinter mich bringen zu können.

Als wir dann endlich mit den Hausaufgaben fertig waren und meine Mutter nach Hause gekommen war und das Abendessen gemacht hatte aßen wir alle zusammen sprachen aber nicht viel. Lukas' Tag war recht ereignislos verlaufen. Ich hätte vielleicht von meinen Visionen erzählen können oder sogar sollen aber ich war mir ja selbst noch nicht sicher ob ich mir das nicht doch alles nur eingebildet haben könnte. Ich machte mich so schnell wie möglich fertig um schlafen zu gehen doch als ich in mein Zimmer kam saß Lukas auf meinem Bett und sah mich forschend an. „Was ist?", fragte ich, vielleicht ein bisschen zu forsch. Ich bereute es gleich als ich den leicht verletzten Ausdruck in seinem Gesicht sah, schritt durch mein Zimmer und setzte mich neben ihn auf mein Bett. „Tut mir leid, dass ich so mürrisch bin.", sagte ich kleinlaut. Er sah mich an und seine Miene wurde verständnisvoll. „Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, dass du deine Tage hast. Das ist halt so.", konnte er noch sagen bevor mein Kissen in sein Gesicht prallte. „Nur weil ich einmal mies gelaunt bin heißt das nicht, dass ich meine Tage habe. Außerdem möchte ich gerade mit dir dieses Thema nicht besprechen.", meinte ich nun definitiv besser gelaunt, weil ich für einen Moment von meiner eigentlichen Sorge abgelenkt war. „Also bist du drüber und weißt nicht wer der Vater ist?", mutmaßte Lukas fröhlich weiter. „Es hat nichts mit meinem Uterus zu tun! Können wir bitte das Thema wechseln?", fragte ich im Versuch die endgültige Peinlichkeit zu vermeiden. „Zeg du weißt dass du mir alles erzählen kannst oder?", antwortete Lukas immer noch kichernd, doch sein Worte ließen mich nachdenken. Was wenn ich es ihm einfach erzähle?, fragte ich mich. Würde er mich einweisen? Würde er mir glauben?? Ich glaubte es ja selbst nicht. Vielleicht war morgen ja alles wieder beim alten. Ich muss eine Nacht drüber schlafen und dann konnte ich erst darüber nachdenken ihm von meinen Visionen zu erzählen, dachte ich schließlich und sah noch einmal auf meinen Handrücken auf dem der Bildschirm vor sich hin flimmerte. Doch anscheinend war Lukas anderer Meinung darüber wie dieser Abend verlaufen sollte, denn er nahm meine Hand und sah mir fest in die Augen.




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