~1~ Frei von den ganzen Sorgen

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Ich werde die Behandlung nicht durchführen. Es hat alles sowieso keinen Sinn. Wozu denn? Wozu sollte man etwas durchführen, wenn es sowieso sinnlos ist. Man sagt, dass alles einen Sinn hat, also sollte man doch etwas Sinnloses nicht machen.

Ich stand von meinem Bett auf und ging zu meinem Fenster, was sich genau gegenüber vom Bett befand. Rechts hatte ich noch einen langen Schrank und links einen Schminktisch.

Meine Eltern kauften mir viel. Auch wenn ich das nicht wollte, möchten sie mich jeden Tag aufs Neue überraschen. Ich möchte echt diese Sachen nicht und schätze jedes dieser Dinge, doch ich brauche das Ganze nicht um glücklich zu sein. Ich brauche einfach das, was jedem Menschen glücklich machen würde. Liebe. Familie. Und das wichtigste Gesundheit, von der ich ganz weit weg bin.

Ich habe die Pick-Krankheit. Jedoch ist das bei mir schon sehr lange her. Ich darf einfach nicht negativ gelaunt sein, das ist der Grund, warum ich einfach Sachen bekomme.

Ich sah mir die Stadt an. Die ist so friedlich. Überall sind Kinder die lachen und spielen, in dem Alter musste ich immer zur Behandlung, um zu überprüfen, ob meine Krankheit sich von Tag zu Tag verschlimmert. Normalerweise taucht das bei älteren Menschen auf, jedoch hatte ich diese Krankheit schon mit 8. Meine Eltern hatten mich immer nach anderen Ländern geschickt, um die besten Ärzte zu finden. Nach 8 Jahren haben sie auch eine Lösung gefunden. Ich hatte echt Glück, was die Krankheit betrifft. Jetzt müsste ich entscheiden, ob ich es machen will oder nicht.

Ich hatte den Drang danach Fahrrad zu fahren. Ich wollte mich wieder frei fühlen.

„Ich geh Fahrrad fahren" sagte ich zu meinen Eltern.

„Aber pass auf, du darfst dich nicht anstrengen" sagte meine Mutter

„Ich weiß" sagte ich und ging zum Keller um das Fahrrad zu holen. Ich zog es raus und schloss unseren Keller wieder.

Die ganzen Straßen fuhr ich ab und hatte auch ein Ziel. Ich fuhr immer weiter und dachte mal nicht über mein Leben nach. Ich wollte einmal Frieden. Einmal glücklich sein. Meine Füße traten immer weiter, meine Kraft wurde immer weniger, doch ich war noch nicht angekommen. Mein Atem wurde schon schneller. Dann passierte es wieder, dieser Stromschlag in meinem Kopf. Dieses Gefühl, das meinen kompletten Körper zucken ließ. Ich hielt sofort an.

Nein. Warum schon wieder? Wieder hatte ich mein Ziel nicht erreicht. Ich wollte mein Ziel doch nur einmal erreichen. Einmal ohne meine Gedanken. Ich schaffte es mal wieder nur bis zum See. Ich wollte doch nur einmal bis zu meiner alten Schule. Ich wollte doch nur all meine Erinnerungen trainieren.

Ich stieg vom Fahrrad und setzte mich auf eine Bank vor dem See. Ich suchte nach Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. Sein Lächeln, seine Stimme, seine Witze, seine strahlenden Augen. Das Mädchen neben ihm. Ahh. Wieder ein Stromschlag. Es tat einfach weh. Um mich etwas abzulenken holte ich meine Kopfhörer raus und machte meinen Lieblingsrap auf. Ich liebe Raps, schon mal Kianush gehört? Ich wollte niemals wie ihr sein. Ich fing an zu weinen. Ich musste alles rauslassen, schließlich kann ich nicht alles in mich hinein fressen. Ich wollte nicht darüber traurig sein. Ich wollte nicht für jemanden weinen, dem ich egal bin. Er hat diese Tränen nicht verdient.

Mit diesem Gedanken wusch ich mir meine Tränen weg und stieg wieder auf meinen Fahrrad. Ich fuhr die ganzen Straßen wieder zurück. Ich genoss den Wind, die Freiheit. Dieses Gefühl hatte ich immer beim Fahrradfahren. Das war meine Ablenkung. Das war eines der wenigen Dinge, die mich an Leben hielten. Ich liebe dieses Gefühl frei zu sein. Einfach mal von allem weg.

Als ich auch die letzte Ampel überquerte war ich endlich wieder zuhause angekommen. Ich stieg von meinem Fahrrad ab und schloss es wieder in unseren Keller ein. Ich stieg die Treppen hoch und schloss unsere Tür auf. Ich hörte schon wie meine kleinen Geschwister herumschrien. Das zauberte mir wieder ein Lächeln in mein Gesicht. Ich öffnete die Tür ganz leise und schloss sie wieder. Dann ging ich zur Wohnzimmertür und guckte den kleinen Zwillingen, Efe und Eda, zu, wie sie auf dem Sofa hüpften und dabei lachten. Die beiden sind ein weiterer Grund am Leben zu bleiben. Beide haben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen.

Efe entdeckte mich und lächelte mich an. „Yildiz abla" schrie er und rannte auf mich. Eda, die mich ebenfalls sah, lief auch auf mich zu. Ich umarmte beide und küsste sie auf die Stirn. Die fünf jährigen machen mein Leben einfach bunt. Ich bin zwar 12 Jahre älter, doch ich unternehme gerne etwas mit ihnen. Ich habe noch zwei weitere Geschwister. Einen 12 und einen 20 jährigen Bruder. Beide sind sehr Stolz. Beide wissen von mir Bescheid. Von der Krankheit.

„Canlarim wie war der Kindergarten?" fragte ich sie. Ich wollte unbedingt wissen, was sie immer im Kindergarten machen, um zu gucken, ob sie mir ähnlich sind. Falls ich mich erinnern kann.

„Abla, weiß du was heute passiert ist? Wir hatten heute Besucht" sagte er. Ich lachte kurz auf „Das heißt Besuch mein Schatz" sagte ich. „Genau Besuch" sagte er. „Echt, wer denn?" Während er von irgendwelchen Schülern der Nachbar Schule erzählte, achtete ich genau auf seine Bewegungen. Seine Augen. Dieses Blau-Grün fasziniert mich immer aufs Neue. Meine Zwillinge haben es irgendwie geschafft, die Augen zu tauschen. Efe hat links grün und rechts blau, Eda hat links blau und rechts grün. Ist es einfach nicht fantastisch.

„War es so?" fragte ich nochmal interessiert, als Efe und Eda fertig waren. „Jaa" sagten sie und ruschten von meinem Schoß runter. „Wollen wir den Tisch decken? Es ist schon spät" sagte ich und kniete mich zu ihnen. Beide nickten. Ich nahm ihre Hände und ging zur Küche, wo meine Mutter schon Essen gemacht hatte. „Wir decken schon mal den Tisch" sagte ich meiner Mutter und gab Efe die Gabel und Eda die Löffel. Ich nahm die Teller aus dem Schrank und brachte sie ins Esszimmer.

Nachdem wir den Tisch gedeckt hatten, kam auch schon mein Vater. Er hatte wie immer seine Arbeitstasche. Nicht falsch verstehen er ist ein Bauingenieur. Ich bin richtig stolz auf ihn, also stolz darauf so einen Vater zu haben. Er hat sich alles selber erarbeitet.

„Hallo" sagte ich und umarmte ihn.

„Hosbulduk, meine Tochter" sagte er und küsste meine Stirn.

„Babaaa" schrien die kleinen und kamen auch in den Flur. „Mein Prinz, meine Prinzessin" sagte mein Vater und nahm ihre Hände. „Wie geht es euch?" „Ganz gut mein König" sagte Eda und küsste seine Stirn. Es zauberte mir wieder ein Lächeln ins Gesicht meine Familie so zu sehen.

„Okan, kommt essen ist fertig. Wasch deine Hände und komm" sagte meine Mutter und ging mit einem Topf ins Wohnzimmer. Wir setzten uns alle an den Tisch und mein jüngerer Bruder Selim. „Ablasi, wo bleibst du?" fragte ich ihn. „Playstation" lächelte er mich an. „Wir müssen mal wieder gegeneinander spielen." sagte ich und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Er sah mich mit zusammgekniffenen Augen an. „Können wir" sagte er.

Nach dem Essen legte ich mich sofort ins Bett. Morgen ist wieder Schule. Das heißt, dass die ganzen Schmerzen wieder hoch kommen werden. Das heißt, dass alles wieder hochkommen wird. Das heißt, dass die zwei Tage Ferien vorbei sind. Das Wochenende ist vorbei. Leider.

Wenn die Zeit mir meinen Stern nimmtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt