25/08/15 - Dakota Wilson

3.3K 346 14
                                    

Diese Ruhe war mir ein Heiligtum. Etwas völlig Fremdes in meinem Inneren. Sophie war mein Gegenpol. Sie war sanfte Ruhe, fröhliches Lachen. Ich war die beißende, unangenehme Stille. In mir tobte ein immerwährender Sturm, den ich nicht zu besänftigen vermochte. Ein Sturm, der mich von den anderen trennte, mich zu ertränken versuchte, während das Festland immer und immer weiter in die Ferne –

Sophie gab mir einen sanften Stoß an die Schulter und mit einem Mal war da kein Sturm mehr. Sophie war mein Ruhepol. Mein Anker. Mein Fels in der Brandung. Das war sie schon gewesen, bevor sie überhaupt richtig hatte laufen können. Ihre Energie war schon immer einfach zu mir übergesprungen, sobald sie mir nahe genug war. »Mein Bruder ist mir der wichtigste Mensch auf diesem Planeten und ich möchte ihn so gut es geht unterstützen, deswegen bin ich hier.« Ich richtete meinen Blick auf Sophie, erwiderte ihr Lächeln. Mit fester Stimme erzählte sie den anderen, diesen Fremden, dass ich im September mein Studium an der Universität beginnen werde, weil sich mein Hauslehrer für mich eingesetzt hat. Es war ein Kampf gewesen, es war frustrierend und ich erinnerte mich an die vielen Momente, in denen ich mir sicher gewesen war, dass die ganze Arbeit es nicht wert war.

Und doch saß ich hier. Und doch würde ich Biologie studieren. Im Labor arbeiten. Hier die Stunden absitzen, in der Hoffnung auf Besserung. In der Hoffnung, Sophie endlich das zurückgeben zu können, was sie mir seit jeher ermöglichte: Freiheit.

»Das war aufregend«, flüsterte meine Schwester mir zu. Ich zwang meine Lippen wieder nach oben, obwohl es weh tat, dass sie mich noch immer zu solchen Sitzungen begleiten musste. Dass ich auch mit zwanzig Jahren noch nicht von ihr loskam.

Der Junge zu meiner linken begann mit seiner Vorstellungsrunde und stotterte dabei so stark, dass ich ihm kaum folgen konnte. Er endete und nach ihm begann der desinteressiert wirkende Typ direkt neben Rebecca. Das letzte Mitglied dieser skurrilen Gruppe.

»Ich bin Jared, ich bin neunzehn und ich habe verfickt noch mal niemals gelernt, wie man liest.« Die Therapeutin sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, während er einen Mundwinkel zu einem schelmischen Grinsen verzog. Lionel und meine Schwester schnaubten belustigt und auch zwei andere Teilnehmerinnen hatten ein schmales Lächeln auf den Lippen. Ich verstand den Witz nicht.

»Ha ha, sehr witzig«, machte Grace und starrte ihm grimmig entgegen.

»Wie bitte?«, fragte die Therapeutin nach und sah zwischen den beiden hin und her.

»Es ist ein dummer Witz aus dem Internet«, erklärte sie weiter. »Da wo Idioten wie er ihre Bildung hernehmen.«

»Wortwahl!«, warnte Rebecca, während Jared sagte: »Erklärungen ruinieren den Witz.«

»Du ruinierst den Witz, Jared.«

Ich fühlte mich, als hätte ich einige schwerwiegende Folgen einer Drama-Serie verpasst. Ich versuchte den Streit in den Kontext einzuordnen, zu verstehen inwiefern die beiden sich bereits kannten. Wie sehr sich die beiden hassten.

»Grace!« Rebecca starrte sie an. Langsam löste das Mädchen ihren Blick von Jared und sah stattdessen die Therapeutin an.

Sie zuckte mit den Schultern. »Sorry?«

»Das ist keine Entschuldigung.«

»Ich bin noch nicht bereit mich ernsthaft bei Jared zu entschuldigen.«

»Hab' wahrscheinlich noch nie zuvor was Echteres aus deinem Schlund gehört«, kommentierte Jared und wurde im nächsten Atemzug ebenfalls von Rebecca ermahnt.

Es kehrte Stille ein. Jared stellte sich nicht noch einmal richtig vor und die Wut zwischen den Beiden schwebte nahezu sichtbar durch den Raum. Ich schluckte schwer.

Rebecca sah noch einmal zwischen Jared und Grace hin und her, dann strich sie sich die Haare hinter die Ohren und sah auf ihre Notizen herunter. »In Gruppentherapien sehen wir es gerne, wenn die Teilnehmenden die Richtung der Gespräche bestimmen. Manchmal kommen alle zu Wort, manchmal kann ein Problem auch so überwältigend sein, dass wir eine ganze Stunde lediglich ein Thema besprechen können. Das ist in Ordnung und ich hoffe, dass jeder der will und es braucht, auch immer zu Wort kommen kann. Überlegt euch zu Hause worüber ihr reden wollt, ich kann keinen von euch zum Mitmachen zwingen, bedenkt aber, dass eine Therapie nur so lange funktionieren kann, wie ihr dafür bereit seid.« Einen Moment lang ruhte ihr Blick auf Grace. Diese ignorierte es gekonnt. »Keiner wird euch dazu zwingen eure gesamte Lebensgeschichte zu teilen, wichtig ist, dass wir alle ehrlich zueinander sind. Für heute war's das, wir sehen uns ins zwei Tagen.«

Fast alle sprangen mit einem Mal auf, wollten direkt aus dem Raum verschwinden, als wäre es bereits Strafe genug hier zu sitzen.

»Grace? Jared?« Das Mädchen an der Tür hielt inne, drehte sich wieder zu der Therapeutin um. Jared hielt ebenfalls in der Bewegung inne. »Ich würde mich gerne noch mit euch beiden unterhalten, der Rest ist befreit.«










Piece of Arts • PART ONEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt