- Yaris 23. Juni
Ich nippe an dem Glas Rotwein und starre in die Ferne. Starre auf die grauen mit Graffiti beschmierten Wände. Beobachte die Menschen unten auf der Straße. Beobachte, wie sie abhängen, Rauchen und Alkohol trinken. Ich nehme einen weiteren Schluck. Ekelhaft der billige Fusel. Meine Blick fliegt zu der roten Flüssigkeit. Sie schwappt leicht in dem Glas hin und her. Ich kann mir nichts besseres als das hier leisten. Ist halt so.
Doch ich habe die Erfahrung gemacht, je mehr man davon getrunken hat, desto erträglicher wird es.Auf den zweiten Schluck folgt ein dritter, auf den dritten das ganze Glas. Und auf das Glas folgt die Flasche. Und meistens folgt auf die erste Flasche noch eine zweite.
Das ist immer so. Jeden Abend. Fast jeden Abend.
Nach dem zweiten Glas zünde ich mir eine Zigarette an. Lege nun die Füße auf das Geländer und nehme einen Zug. Der Rauch breitet sich in meinen Lungen aus. Nimmt mir für einen Moment den Sauerstoff. Raubt mir den Atem, gibt mir einen Sekundenbruchteil das Gefühl zu ersticken. Dieses Gefühl ist es, das mich jedes Mal aufs neue fasziniert. Das ist das Gefühl, das mich süchtig gemacht hat. Das Gefühl, das ich liebe.
Ich lege den Kopf in den Nacken und Puste den Rauch in Richtung Himmel.
Der Mond wird von meiner Rauchwolke vernebelt.
Ich schließe meine Augen und achte einen Moment nur auf die Geräusche um mich herum. Von der Straße kommt die laute Musik und dringt in mein Ohr. Das Gelächter. Das Motorrad.
Der warme Wind, der bis vor kurzem noch meine Arme umspielte, ist mittlerweile schon etwas abgekühlt.
Doch mir ist nicht kalt.
Mir ist recht warm.Ich merke, wie der Alkohol langsam in meinen Kopf steigt und meine Gedanken verschleiert. Ich denke mehr, wenn ich betrunken bin. Doch ich denke nicht mehr klar. Sobald ich ein paar Gläser intus habe, werde ich zum Philosophen. Das ist auch der Grund, wieso ich lieber für mich alleine trinke, anstatt mit Freunden. Hätte ich welche.
Einen Moment starre ich einfach nur auf den Mond, ziehe ab und
zu an meiner Zigarette und denke darüber nach, wie es wohl sein würde, dort oben auf dem Mond zu sitzen und auf die kleine Welt hinab zu blicken. Die Welt, mit ihren blauen Ozeanen. Den grünen Wiesen. Den grauen Häusern. Den bunten Menschen.Ich war noch nie am Meer. Ich war immer nur hier. In diesen Häusern. Solange ich mich erinnern kann war ich hier. Zwischen den grauen Wänden.
Ich nehme einen letzten tiefen Zug und drücke die Zigarette dann im Aschenbecher aus. Die Asche verglüht und zurück bleibt nur ein kleiner Haufen Asche und ein Zigarettenstummel. Der Geruch hängt noch in der Luft. Und hüllt mich ein.
Es wird langsam spät. Die Musik auf der Straße verklingt. Und auch das Gelächter verstummt mit der Zeit.
Die Lichter gehen aus. Nur die Straßenlaternen leuchten noch.
Flackern munter vor sich hin.Während ich weiter an meinem Rotwein nippe, versinke ich immer weiter in Gedanken.
Ich mag mein Leben.
Ich mag es hier oben zu sitzen und die Menschen zu beobachten, über alles mögliche nach zu denken.Ich mag es, darüber nach zu denken, wie es wohl wäre eine besseres Leben zu haben.
Ich mag es, mir Geschichten über eine besseres Leben auszudenken.
In Rollen zu schlüpfen.Doch das wichtigste für mich ist es, nie zu vergessen wer ich wirklich bin.
Ein Junge. Der jeden Abend auf seinem Balkon sitzt. Wein trinkt und eine Zigarette raucht.
Und wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre es bis zum Ende meines Lebens nicht anders.
...knicklichter aufschneiden. In den giftigen Farben Baden und dann bunt durch die grauen Straßen der Stadt tanzen. Mit einem Herz, das schwarz ist. Einer Lunge, die bereits grau eingefärbt ist und einem Köper der schon längst nichts mehr fühlen kann.
Während ich den letzten Schluck der Flasche nehme geistert mir nur ein Satz im Kopf umher.
'Irgendwann kannst du es nicht mehr kontrollieren. Dann kontrolliert es dich...!'
Es kontrolliert mich. Die Sucht. Sie hat mich eingebettet. Mein Monster hat gewonnen.
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Auf dem Bahnsteig
Short StoryJeden Tag sitzt sie morgens um 10 Uhr auf der Bank und wartet auf den Zug. Jeden Morgen lässt sie ihn vorbei fahren. Jeden Tag ist sie allein.