Alleine in der Nacht
Es war schon spät, als ich in jener düsteren Nacht von der Disco aufbrach, um mich auf den Heimweg zu machen. Bereits nach wenigen Metern war ich aufgrund des heftigen Regens nass bis auf die Haut und fror erbärmlich.
„Elendes Dreckswetter", dachte ich mir und stapfte frustriert durch eine große Wasserlake. Da ich mir aber keine Erkältung holen wollte, beschloss ich, eine Abkürzung zu nehmen und bog in eine kleine Seitengasse ein. Die Gegend hier schien ziemlich verlassen zu sein und wirkte recht düster. Ich überlegte bei diesem unheimlichen Anblick kurz, ob ich nicht doch lieber den normalen Weg gehen sollte, aber dazu hätte ich wieder ein ganzes Stück zurücklaufen müssen. Also ging ich weiter durch den, um diese Zeit, menschenleeren Vorort in die dunkle Nacht hinein, obwohl mir dabei überhaupt nicht wohl war. Irgendetwas beunruhigte mich, ich konnte aber nicht mit Gewissheit sagen, was es genau war. Vielleicht lag es auch nur an dieser ungewöhnlichen Stille? Ich verharrte einen Augenblick und lauschte: Nichts. Außer dem rhythmischen Quietschen, das meine Schuhe beim Gehen auf der nassen Straße veranstalteten, herrschte eine fast gespenstische Ruhe. Aber das beruhigte mich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil - ich hatte auf einmal dieses unerklärliche, dumpfe Gefühl, dass ich hier draußen nicht alleine war. Doch als ich mich umdrehte, war kein Mensch zu sehen.
Diese verdammte Vorahnung, dass etwas sehr Schlimmes geschehen würde, war noch da und wurde immer stärker. Wie ein schwarzer Schatten lag sie auf meiner Seele und drohte mich fast zu erdrücken. Ich bemerkte, dass meine Schritte schneller wurden, und es war nicht der Regen alleine, der mich zur Eile anhielt. Irgendwer oder irgendwas war heute Nacht hinter mir her, das konnte ich jetzt ganz deutlich spüren.
Ich hatte die schmale Seitengasse fast zur Hälfte hinter mir gelassen, als ich ein Geräusch hörte. Es konnte zwar alles mögliche gewesen sein, vielleicht eine Katze, die miaute oder jemand hatte in der Nähe ein Fenster geöffnet. In meinem momentanen, angeschlagenen Gemütszustand reichte es völlig aus, um mich von einem Moment auf den anderen in schiere Panik zu versetzen. Ich blieb wie versteinert stehen und blickte mich ängstlich nach allen Seiten um. Doch wieder konnte ich auf der schlecht ausgeleuchteten Straße nichts erkennen, das meine Angst in irgendeiner Form gerechtfertigt hätte.
„Vielleicht," plötzlich kam mir dieser Gedanke und ich musste kurz über mich selber lachen „sollte ich in Zukunft einfach nicht mehr so viel Alkohol trinken wie heute Abend. Das Zeug macht mich ganz verrückt." Außerdem stellte ich zu meiner großen Erleichterung fest, dass ich es nicht mehr weit bis Nachhause hatte. Was sollte mir auf diesen letzten paar hundert Metern schon noch Schlimmes passieren?
Aber ich hatte mich zu früh gefreut! „Da! Da war es wieder. Genauso schnell, wie es eben verschwunden war, tauchte das Geräusch erneut aus der Stille der Nacht auf. Und diesmal hörte es sich nach einer Art Keuchen oder Schnaufen an. Als ich dann noch merkte, dass das Geräusch eindeutig immer lauter wurde, begannen meine Füße vor lauter Furcht zu laufen, ohne dass ich ihnen dazu den Befehl erteilen hätte müssen. Bald rannte ich, so schnell ich konnte, doch es half nichts. Ich spürte förmlich, wie der heiße Atem meines Verfolgers von Sekunde zu Sekunde näher rückte und mir wurde schlagartig klar - es würde kein Entkommen für mich geben!
„Oder vielleicht doch?" Zwischen zwei Häusern am Straßenrand entdeckte ich eine kleine, versteckte Nische. Sofort schlug ich einen Haken und schlüpfte rasch in die schützende Dunkelheit, die dieser Mauervorsprung mir bot. Da stand ich nun, vor Angst schlotternd und befürchtete, dass mich mein lautes Schnaufen verraten würde. Ich versuchte deshalb mich zu beruhigen, drängte mich noch fester gegen die Hauswand und wartete zitternd, was als nächstes passieren würde. Doch außer dem Regen, der in schweren Tropfen auf das Blechdach über mir prasselte, war nichts mehr zu hören. Ich verharrte noch zwei, drei Minuten, aber da alles friedlich blieb, wagte ich mich schließlich aus meinem Versteck. Ängstlich tastete ich mich an der Mauer entlang und blickte vorsichtig um das Hauseck auf die Strasse. Keine Menschenseele war zu sehen. Langsam zweifelte ich wirklich an meinem Verstand. Hatte ich mir denn das etwa alles nur eingebildet? "Hallo", rief ich, um ganz sicher zu gehen. „Ist da jemand?" Doch niemand antwortete.
Aber ich war nicht verrückt. Ganz und gar nicht. Denn im gleichen Augenblick, in dem ich die Straße wieder betreten hatte, kehrte auch das grässliche Schnaufen zurück und es war diesmal lauter als zuvor. „Verdammt!" schoss es mir durch den Kopf. „Wer mich auch immer verfolgt, er ist zurückgekommen, um mich endgültig zu holen. Nochmals wird er sicher nicht so blöd sein, sich von mir überlisten zu lassen."
Und so begann ich wieder zu laufen. Ich rannte, wie nie zuvor in meinem Leben. Mein Herz trommelte dabei wie wild in meiner Brust, ich konnte fast keine Luft mehr bekommen und hatte bald heftigstes Seitenstechen. „Durchhalten!" versuchte ich mir selber Mut zu machen. „Es ist nicht mehr weit, gleich bist du in Sicherheit." Aber das Schnaufen hinter mir wurde lauter und lauter und drohte mich in Kürze einzuholen. Ich wagte nicht mehr, mich umzudrehen. Zu groß war mittlerweile meine Angst davor, zu sehen, wer mir da tatsächlich an den Fersen klebte.
Jetzt hatte ich es fast geschafft! Nur noch um die letzte Kurve und dann war ich schon so gut wie zuhause. Ich sprintete in vollem Tempo über die Straßenkreuzung und versuchte dabei, meinen Haustürschlüssel aus der Jackentasche zu ziehen, damit ich ihn an der Haustüre gleich parat hatte und umgehend aufsperren konnte.
„Klickklickklick!" Der Schlüssel war mir aus der nassen Hand geglitten und klirrend auf den Gehweg gefallen. Ohne ihn, das war mit sofort klar, würde ich gleich vor einer verschlossenen Türe stehen. „So ein Mist!" Ich fluchte laut und stoppte abrupt ab. Als ich mich umdrehte, um ihn wieder aufzuheben, traf mich vor Schreck fast der Schlag. Da war sie! Zum ersten mal sah ich die riesige, finstere Gestalt, die mich, laut schnaufend und in einem Wahnsinnstempo verfolgte! Sie war schon viel zu nahe, als dass ich genügend Zeit gehabt hätte, um nach meinem Schlüssel zu suchen. Ich machte gleich auf dem Absatz wieder kehrt und nahm wieder die Beine in die Hand. Sekunden später hatte ich auch schon unser Haus erreicht, aber ohne Schlüssel konnte ich da ja nicht hinein. Und das Keuchen hinter mir kam näher und näher! Verzweifelt klingelte ich Sturm, aber meine Eltern waren wohl schon ins Bett gegangen. Ich wusste, es würde viel zu lange dauern, bis sie mir endlich öffnen würden und wollte deshalb gerade über unseren Gartenzaun springen, als mich plötzlich von hinten eine riesige Pranke packte und...
... ein ziemlich laut schnaufender Mann zu mir sagte. „Hey, warte mal. Du hast eben deinen Schlüssel verloren. Hier hast du ihn."
Ich zitterte am ganzen Körper, als er ihn mir in die Hand drückte. Das musste er bemerkt haben, denn er fragte: „Oh Entschuldigung, habe ich dich etwa erschreckt?"
„Ja, allerdings, das haben sie wirklich." stotterte ich. „Warum um Himmelswillen laufen sie denn auch bei diesem Wetter mitten in der Nacht auf der Straße herum?"
„Ach," lachte der Mann, „ich habe diese Woche Nachtschicht und gehe danach gerne noch ein bisschen Joggen."
„Ach so," sagte ich, „sie joggen nur."
„Ja, ich will nämlich nächsten Monat bei einem Marathon mitlaufen. Aber du bist ja ebenfalls recht schnell." staunte er. „Ich hätte dich ja fast nicht mehr eingeholt. Wahrscheinlich läufst du auch sehr viel, oder?"
„Eigentlich nicht." antwortete ich und musste dabei ziemlich lachen. „Ich bin sogar ziemlich faul und laufe nur, wenn ich dazu gezwungen werde."