Vor ein paar Tagen war ich in Vaters Arbeitszimmer, um mir aus seiner Bibliothek ein Buch auszusuchen. Unter der Schreibmaschine sah etwas Weißes hervor. Ich habe es herausgezogen. Es war ein Briefumschlag. Er war verschlossen. Ich habe ihn wieder auf die Schreibmaschine gelegt.
Kurz darauf nahm ich ihn wieder in die Hand. So ist das einige Zeit gegangen: Weglegen - Wiedernehmen. Für wen wohl der Brief ist? Schließlich habe ich den Briefumschlag aufgerissen. Darin steckte ein Briefbogen, der mit Vaters Handschrift beschrieben war. Ich habe gelesen:
Meine Liebe,
mich quält etwas. Es ist ein Schmerz, den ich überall spüre. Ich kann nicht sagen, wann ich ihn zum ersten Mal verspürt habe. Am Anfang habe ich ihn nicht beachtet, wie andere Schmerzen, die kommen und gehen. Aber von Mal zu Mal wurde er stärker und anhaltender. Und jetzt ist mir, als wäre er schon immer in mir gewesen, und ich frage mich, wie lange ich ihn ertragen konnte. Es ist der Schmerz der Lüge, mit der man lange gut leben kann. Aber eines Tages eben, wenn man sich der Lüge bewusst wird und sie von dem zurückziehen will, was sie bisher zugedeckt hat - da sieht man einen Abgrund, in dem es vor Schlangen und Ungeziefer wimmelt. Und sie warten darauf, dass du wieder eine Lüge erfindest, mit der du einen Menschen hinunterstößt, den sie quälen können. Ich werde noch verrückt vor Schmerzen.
Ich bin ein erwachsener Mensch. Was soll ich denn machen?...Ich habe nicht glauben wollen, was ich da gelesen hatte. Das sollte Vater geschrieben haben? Er hatte noch nie gelogen! Mir war so kalt, dass ich mich vor einer Bewegung fürchtete. Als könnte ich auseinanderbrechen.
Ich weiß nicht, wie lange ich mit diesen Brief in der Hand in Vaters Arbeitszimmer gestanden habe.
Den Brief habe ich angebrannt und die Asche im Garten vergraben. Ich habe mich gezwungen ihn zu vergessen. Manchmal ist es mir auch gelungen, aber dann habe ich wieder diese Schlangengrube gesehen. Und dann ist etwas in mich gekommen, wie Vater es beschrieben hatte. Ein Schmerz oder - ich weiß es nicht.
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Feen sterben nicht
SpiritualIch fühlte mich wie ein kleines Kind. Viele Ideen im Kopf, aber missverstanden von den anderen. Sie nickten nur noch und taten so, als würden sie es verstehen. Dabei waren sie beschäftigt mit sich selbst, versuchten ihre eigene kleine Welt wieder au...