◀ Kapitel 1

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Da stand ich also, in meiner eigenen Welt versunken, während meine Gedanken fröhlich um den heutigen Abend kreisten. Eigentlich sollte ich mich auf das Gespräch mit Sibel konzentrieren, aber wie könnte ich? Heute Abend würde eine fremde Familie bei uns aufkreuzen, um – na ja, was soll ich sagen – um für meine Hand anzuhalten. Ja, du hast richtig gehört, die wollten mich für ihren Sohn „anfragen". Tja, das Problem? Ich kannte den Typen überhaupt nicht! Nada, nichts, zero. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, keine Ahnung, wie er aussieht, was er macht oder ob er Katzen mag – du verstehst schon, das Wichtigste halt! Alles, was ich wusste, war, dass unsere Väter irgendwie befreundet waren. Und da saß ich also, in Gedanken versunken, wie ich diese Situation bloß wieder loswerden könnte. Wäre er wenigstens hässlich, wäre das schon mal ein Anfang, dachte ich so vor mich hin.

Plötzlich riss mich eine Stimme aus meinen Überlegungen. „Rüya, darf ich vorstellen? Das ist Ömer." Moment, was? Wer? Ömer? Ich blinzelte, wie aus einem Traum gerissen, und da stand er – der benannte Ömer. Und, na ja, wow. Sag bloß, der Typ hat grün-braune Augen! Und dieses Lächeln... so ein Lächeln, das einfach freundlich und sympathisch ist, weißt du? „Der sieht bestimmt aus wie ein Kickboxer", dachte ich, während ich seine breiten Schultern und muskulösen Arme abschätzte. Ich hatte ein Auge für solche Dinge, schließlich ist mein Bruder Berkan auch Kickboxer und ich bin Zeuge, wie er sich in einen muskelbepackten, aber nicht übertriebenen Fitnessfanatiker verwandelt hat. Ömer sah ähnlich aus, trainiert, aber nicht übertrieben, wie diese Bodybuilder, die sich kaum bewegen können.

Er musterte mich kurz und widmete sich dann wieder Sibel. Wie bitte? Ignoriert er mich einfach so? Okay, vielleicht will er ja auch nichts von mir. „Das ist Rüya", hörte ich Sibel sagen, „Ich wollte euch beide ja schon längst vorstellen, aber du hattest ja nie Zeit, du verdammter Kickboxer." Sie lachte, und Ömer auch. „Tatsächlich bin ich Kickboxer", bestätigte er, „aber es ist auch schwer, Sportwissenschaften zu studieren und nebenbei zu trainieren." Oh, ach so, er ist also nicht nur ein Kickboxer, sondern auch noch ein Student. Cool. „Und was studierst du?", fragte ich neugierig. „Sportwissenschaften." Natürlich. „Schließlich habe ich nicht umsonst den Berliner Titel geholt." Berliner Champion also. „Herzlichen Glückwunsch!", sagte ich ein bisschen beeindruckt, aber auch um irgendwie mitzureden. „Danke", antwortete er mit einem charmanten Lächeln. Aha, höflich ist er auch noch.

Während Ömer und Sibel sich weiter unterhielten, zog sie mich schließlich am Arm weg. „Wer ist dieser Ömer?", fragte ich sie leise, als wir ein paar Schritte entfernt standen. „Mein Cousin", antwortete sie beiläufig. „Er sieht gut aus, nicht wahr?", fragte sie und zwinkerte mir zu. Ich verdrehte die Augen. „Ja, genauso gut wie du", gab ich schnippisch zurück. Was sollte ich denn sonst sagen? Sibel grinste nur und wünschte mir viel Glück für den Abend. Sehr witzig.

Zu Hause angekommen, war ich immer noch in Gedanken. Meine Eltern hatten eine völlig andere Vorstellung von meinem Leben als ich. In ihren Augen war ich mit 23 quasi überreif für die Ehe, während ich heimlich Pläne schmiedete, wie ich um die ganze Sache herumkommen könnte. „Was könnte ich bloß machen, um diesen Typen heute Abend zu vertreiben?", dachte ich. Ich wusste, dass ich keine dieser arrangierten Geschichten durchziehen wollte, aber meine Eltern sahen das natürlich anders. Ich betrat die Küche und sah, wie meine Mutter eifrig am Herd stand. „Wo warst du so lange?" – „Mit Sibel unterwegs", murmelte ich. „Wasch dir die Hände und hilf mir!", kam die übliche genervte Anweisung. Klar doch. Ich tat, was sie wollte, und nach gefühlt endlosen Stunden waren alle Vorbereitungen für das große „Meet and Greet" abgeschlossen.

Meine Mutter war zufrieden, alles war auf Hochglanz poliert, der Tisch war gedeckt und sogar die Servietten waren gefaltet, als wären wir in einem Fünf-Sterne-Restaurant. Nur ich war noch nicht „vorzeigbar". „Rüya, geh dich anziehen und mach dich ein bisschen zurecht", kommandierte meine Mutter. „Wieso denn? Ich dachte, ich soll mich nicht verstellen", konterte ich mit einem genervten Augenrollen. Aber eine Idee formte sich in meinem Kopf. Eine sehr gute Idee. Ich öffnete meinen Kleiderschrank und... tada! Ein Blitzgedanke durchzuckte mich. Ich würde es ihnen richtig schwer machen, mich zu mögen. Ich schnappte mir eine übergroße Jogginghose und ein XXL-T-Shirt, das ich mir mal von meinem Bruder ausgeliehen – und nie zurückgegeben – hatte. Für den perfekten Abschluss sprühte ich mir noch sein Sport-Deo von AXE auf. Ach, ich roch jetzt wie nach einem Hardcore-Workout! Mein Look: „lässiges männliches Weibchen". Zufrieden mit meinem Plan trat ich ins Wohnzimmer.

Die arrangierte Sache [ÜBERARBEITUNG]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt