3. Mein erstes Wort

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Ich öffne die Augen. Luftblasen. Wasser. Ich will schreien, bekomme aber nur Wasser in Mund und Nase. Eine kräftige Hand hilft mir heraus. Fred, der Unverschämte, der der es wagt mich einfach so anzusprechen. Er hat mich gerettet. Zu Dramatisch. Erst jetzt realisiere ich was passiert ist. Gedanklich gehe ich es durch. Ich habe mir ein Wagon mit einem Typen geteilt, kurzzeitig auch mit einem kuriosem alten Pärchen, danach ist der Zug kollabiert, er hat mich raus gezerrt, wir sind im Wasser gelandet, er hat mich rausgezerrt und jetzt schwimme ich auf die andere Seite des Ufers zu. Ich weiß nicht wo ich bin. 

Fred:" Okay, du sprichst nicht, du hasst mich aber wir stecken hier ganz tief in der Scheiße und falls du uns hier raus helfen kannst, sag etwas oder nicke oder male etwas in den Dreck, egal!!!!"

Ich schweige. Meine Haare meine Klamotten und alles was ich bin ist nass. Ich blute nicht nur äußerlich sondern auch im inneren. Seit ich mich entsinnen kann habe ich vor drei Dingen mehr Angst als vor jedem Untier in dieser Galaxie:

- das falsche Wort

- Ahnungslosigkeit 

- fehlende Orientierung 

Auf einmal werde ich mit allem konfrontiert. Wenn ich ihm jetzt sage was ich fühle, bin ich zu sentimental. Wenn ich sage was ich von ihm halte , wird er sauer. Wenn ich versuche mit meiner Ahnungslosigkeit zu helfen, wird er mich für noch idiotischer halten als jetzt schon. Wir müssten irgendwo an einer Küste Schottlands sein. Genaueres weiß ich aber auch nicht. Ich weiß nicht was ich nur tun soll. Der Zug hing halb im Wasser auf der eingestürzten Brücke, halb an Land. Mit dem Finger deutete ich in diese Richtung und stiefelte zurück ins Wasser. Normalerweise sprch ich in solchen Situationen. Schließlich konnte es um unser Leben gehen. Aber wie gesagt, am besten spricht man überhaupt nicht. Das falsche Wort kann nie mehr zurück genommen werden. Ein Schwimmzug nach dem anderen, sagte ich mir als ich einmal quer über den Fluss schwimme.

Er folgt mir, stelle ich fest, als ich auf der anderen Seite ankomme. An einem Zugteil ziehe ich mich hoch. Danach reiche ich auch ihm meine Hand. Er schaut mich überrascht und dankend zugleich an. Was war denn daran so merkwürdig???? Ich weiß er nicht. Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder als mir klar wird das ich eh nichts sagen werde. Das damals als stiller Protest begann, ist für mich zu einer Zwangsvorstellung geworden. Selbst wenn ich wollte könnte ich nichts sagen.

Verständnisvoll sagt er:"Es ist Okay, sprich wenn du dich dazu in der Lage fühlst." Da kommen mir die Tränen. Ich kann sie nicht mehr aufhalten, rückhaltlos schluchze ich. Er will mich in seine Arme nehmen, doch ich weigere mich. Ich schaue ihn an, böse weil er es nicht weiter versucht und traurig weil ich wieder eine Chance vertan habe heraus aus meiner Haut zu gehen. 

Irgendwann bricht jeder Vulkan aus, auch wenn er vorher sehr geduldig war. So geschieht es nun auch mit ihm:" Hör auf, hör einfach auf zu schweigen. Wenn du dich uns allen über legen fühlst dann sag es doch. Aber nicht jeder wird damit lange klar kommen. Was willst du mal werden!? Dolmetscherin? Ich hab es satt. Wir kennen uns keine 24 Stunden und schon hast du mich vergrault. Findest du das nicht ein bisschen merkwürdig. Alle kommen mit mir klar. Nur du nicht. Ich hätte dich im Zug lassen sollen!" , daraufhin scheuere ich ihm eine. Wie spricht er mit mir!?? Weiß er nicht wie ich mich fühle? Da wird es mit klar: Niemand weiß wer oder was ich bin!

Er scheint sich damit abgefunden zu haben zu schweigen. Ausnahmsweise will ich reden. Schreien, sagen was ich denke. Wieso verstecke ich mich? Fred geht ganz offen mit seinen Gefühlen um. Apropos Fred: Mittlerweile sucht er die Trümmer nach Brauchbarem ab. Vielleicht hofft er seine Koffer oder ähnliches zu finden. Meine Schreibmaschine. Ich vermisse sie. Ich komme mir vor wie in einem Gefängnis. Ich kann mich nicht ausdrücken. Sag es!  Spricht eine Stimme in meinem Kopf. 

Ich laufe los, immer schneller und schneller dann renne ich. Ich renne am Fluss entlang und sehe: das Meer. Vor mir liegt es, zu meinen Füßen. Durch die hohen Gräser schlendere ich zum Wasser. In den Sand vergrabe ich meine Füße. Dan kommt das Wasser angerollt und umspült meine Haut. Immer wieder. Komisch vor wenigen Stunden, wünschte ich mir nichts sehnlicher als das Meer. Und jetzt stehe ich drin. Wer hätte das gedacht. Ich glaube heute wird ein besonderer Tag. Das führt mich gedanklich zu einem Jungen zurück der mir fast ein Wort entlockt hätte. Ich muss ihm irgendwie sagen wie ich mich fühle. Nur wie? 

Kurz darauf liege ich im Sand. Würde ich hier wohl immer so liegen bleiben? Und würden kleine Kinder beim Sandburgen bauen meine Knochen finden? Wenn man es logisch betrachtete mussste man sich keine Sorgen machen: Ich lebe, wenn auffällt, dass der Zug nie ankommt wird man ihn suchen, zwei Jugendliche und ihr Schweigen finden. 

Auf dem Rückweg fällt mir auf das die Berge erstaunlich nah am Wasser stehen. Ich dachte immer da müssten Hunderte Kilometer dazwischen liegen. Die Berge sehen aus wie bei der einen Vorschau einer Produktionsfirma vir Filme. Ich stelle mir vor wie die Berge entstanden sind. Ich bin nicht gläubig. Dafür hätte ich sprechen müssen. Der Glaube basiert auf Sprache. Eigentlich ist die Sprche das fundament vieler Dinge. Ich sollte meine Prinzipien überdenken. Wie soll man sich sonst sagen was man fühlt? Worte können zerstören oder heilen, ganz wie man sie anwendet. Nur ich weiß nicht wie man damit umgehen soll. Ich fühle mich wie ein Schmied der eine Sticknadel in die Hand gedrückt bekommt. Verwirrt und ungelenkt. Wenn ich das falsche sage, kann so vieles passieren. 

Eine Freundin hatte früher immer gesagt: " Wer nicht wagt, der nicht gewinnt." Irgendwie hatte sie recht. Es würde reichen die einfach nur, zu sagen: Es tut mir leid! Oder : Sorry! Nein das ist  zu ungewollt und unhöflich. Da sehe ich ihn erhielt einen Koffer in den Händen. Ich renne. Ich renne wie ein Wirbelwind und als ich bei ihm ankomme tippe ich ihm auf die Schulter. Er sieht mich überrascht an. Lächelnd hole ich tief Luft, Jetzt oder nie! 

Ich öffne den Mund und sage mein erstes Wort: "Danke!"




Schweigen ist himmlischWo Geschichten leben. Entdecke jetzt