Fantasie

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Ich erinnere mich noch, wie einst diese Verbindung entstand.
Wahrlich ein Band aus Ketten so robust, dass kein Wesen mit Herzschlag sie zu zerstören vermag.
Du hast mich gehalten, wann immer ich fiel, dir gab ich all jene Gedanken, die mir mein Lachen raubten.

Einst hatten wir dieses kleine Haus, weit hinten am Waldrand, mit dem kristallenen Bach, der sich einen Weg durch den Grund suchte und an der Scheune vorbeilief, an der ich so oft spielte.
Das Wasser war klar und eiskalt, und jeder Tropfen daraus schien Dank dir eine eigene Geschichte zu erzählen.

Mit dem Schwert aus morschen Ästen habe ich gekämpft; die winzigen Trolle mit dem verzerrten Gesicht hatte ich herausgefordert.
Du weißt das sicher noch - da neben dem Felsen, gleich hinter der Scheune, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten und nur darauf warteten, bis wir zwei aufzogen.
Ein Dutzend waren sie, vielleicht auch zwei, drei mehr, - und doch hatten diese Wesen mit ihren knolligen Nasen und dem ungehobelten Mundwerk keine Chance gegen uns.
Wie auch? Du hattest deine Hände im Spiel.
Wie paradox, dass wir sie zusammen erschufen, nur um sie dann zu stürzen.

Oder weißt du noch, damals im Winter? Als meine Mom für eine Woche nach Nordirland reiste und ich bei Großmutter bleiben musste?
Sie hatte dieses kleine, liebevoll von Hand gezimmerte Häuschen und Großvater hatte seine Wandlung zum Nicht-Materiellen schon hinter sich. Er war unter uns, und das wusste ich dank dir.
Es war der Abend vor dem zweiten Advent und die alten Fenster waren von Eisblumen geziert. Großmutter kreierte herrliche Weihnachtsplätzchen in der Küche und wir zwei machten es uns zur Aufgabe, den Dachboden zu erkunden.
Wenn nicht auf dem Dachboden der Großeltern, - wo sonst gab es wertvollere Schätze zu finden?

Es war frostig oben auf dem Dachboden aber das sollte kein Hindernis sein. Wenn ich dich darum gebeten hätte, hättest du mir sicherlich den prunkvollsten Mantel umgelegt, den die Welt je gesehen hatte.
In kindlicher Aufregung und von der puren Abenteuerlust gepackt schlichen wir durch das Gerümpel und versuchten, mucksmäuschenstill zu sein. Ich muss jetzt noch lachen bei der Vorstellung, wie schlecht ich dabei war. Jedes metallene Ding, das da rumstand, berührte ich aus Versehen und veranstaltete so ein Blechkonzert, während du es schafftest, nicht den kleinsten Ton zu erzeugen.
Und doch hörte ich alles, was du mir sagtest.
Du warst immer so still, und doch das hellste, das ich jemals gehört hatte.

Wir fanden etliches dort oben unter den alten Holzbalken.
Da war dieser Webstuhl und eine defekte Heißmangel und wir malten uns aus, ein alter, herrischer Zauberer verfolgte uns.
In einem Moment noch saß er auf dem Webstuhl, mit dieser königlichen Fassade und schongleich erhob er sich und verzauberte sich selbst in einen Raben.
Ich konnte ihn hören und sehen und wäre er nicht so flink gewesen, als ich meine Hand nach ihm ausstreckte, hätte ich ganz sicher sein Federkleid gespürt.
Wir mussten ihn niederstrecken, bevor er flüchten konnte und die Kekse meiner Großmutter stahl, denn ihre Rezepte waren tunlichst nicht für die Augen der Bösewichte bestimmt.

Wir irrten durch den zugestellten Dachboden und du erinnertest mich daran, was des Zaubers einzige Schwäche war: es hieß, dass er freudvollen Gesang nicht ausstehen konnte. Das Trommelfell seiner Ohren war nicht für die engelsgleiche Stimme eines unschuldigen Mädchen gemacht und so sang ich das erstbeste Lied, das mir durch den Kopf ging.
Intuitiv lief ich zum alten Schaukelpferd und setzte mich ungelenk darauf. Ein edles Ross sollte es sein.
Nein, ein Einhorn!
Der Rabe wandelte seine Gestalt und vor uns stand der Zauberer nun, in lumpenhaftem Gewand, die Augen von Schalk durchzogen.
Der Dachboden verzauberte sich in eine Waldlandschaft und die Kälte der Dämmerung umspielte meine zarte Kinderhaut.
Mit dem Haar im Winde wehend und der Stimme hell erhoben flüchteten wir vor dem bösen Zauberer, der sein Gesicht im Schmerz verzog, je länger ich fröhliche Kinderlieder sang.
Die Ohren hielt er mit seinem Klauen geschlossen und wartete darauf, uns endlich nicht mehr ertragen zu müssen. Mit deiner Hilfe stellte ich mir vor, eine Fee zu sein und ritt das Einhorn im Galopp, während mein Gesang immer schöner, immer zarter und immer harmonischer wurde.
Der Zauberer ächzte, wickelte seine Lumpen um die Schultern und verschwand im Nebel. Zurück blieb ein rabenschwarzer Edelstein, der den Ruhm als den unseren Kennzeichnete.
Es war eines der besten Abenteuer, das wir je erlebt hatten.

Heute stehe ich auf dem Asphalt und lasse meine Ohren vom Brummen des Motors betäuben. Zwei Räder, zwei Beine, die in Leder stecken und ein Mund, der durch das offene Helmvisier meinen Namen ruft.

"Nun komm, Süße. Steig auf! Oder traust du dich nicht?"
Meine Knie zittern; Motorrad fahren macht mir Angst. Aber der Mann, der die Maschine lenkt, hat mir das Herz gestohlen, weshalb ich mit ihm und für ihn alles machen würde.

Und dann erinnere ich mich. Das Innen zählt; das mutige Herz. Die Weisheit, die durch jeden Schlag in meine Adern gepumpt wird wie flüssige Magie.

Ich stelle mir vor, wir stünden im Wald. Das Zwitschern der Vögel übertönt den Motorlärm und die lederne Kluft an unseren Körpern verformt sich zu zarten Gewändern.
Das Motorrad bekommt Hufen; der Lenker ein zarter Kopf, der in stolzer Haltung sein Horn in die Luft hebt.

Ein Einhornritt, nichts weiter.

Mein Herzschlag fährt einen Gang hinunter und ich danke dir im Stillen, bevor ich mich mit Schwung hinter meinen Liebsten begebe.

Du bist das, was mich ausmacht.
Wir sind das beste Team.
Mit dir kann ich sein, wer immer ich will.
Durch dich erlebe ich, was immer mit im Kopf herumspukt.
Du und ich für immer, meine liebste Fantasie.

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