Endlosschleife

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"Du kannst das nicht ewig machen. Irgendwann ..."

"Shhh", raunte er, und der Druck seines Zeigefingers auf meinen Lippen hielt die Worte davon ab, erlöst zu werden.

Sie fingen an, wie der Whiskey von gestern, meine Kehle zu reizen. Ich musste sie aussprechen.

"Aber ... Die Erschöpfung", setzte ich erneut an, wohl wissend, dass ich auch diesmal ohne eine Antwort auskommen musste.

Die Faszination ihm gegenüber stieg ins Unermessliche und ich wich einen Schritt zurück, um mich an der Kellerwand hinter mir abzustützen.

Er bewegte sich synchron zu mir; folgte mir wie unsichtbar mit mir verkettet. Seine Hände an die Wand hinter mich aufstützend, schien er einen Käfig um mich zu bilden, dem ich nicht entkommen wollte.

Das Beben der Lautsprecher war durch die Gemäuer zu fühlen und ich wusste, die Zeit lief mir davon.

Gleich würde er mich zurücklassen.

"Du bist nicht zweitrangig."

"Wieso gehst du dann? Immer wieder aufs Neue gehst du, um Ihnen die Show zu bieten, ohne darüber nachzudenken, was mit uns ..."

"Shh", unterbrach er mich wieder. Sein Atem beschleunigte sich.

Er legte seine Lippen kaum spürbar auf die meinen und alles, was blieb, waren elektrisierende Impulse, die er durch meinen Körper schickte.

"Ich kann es nicht erklären, es ist ... Es macht mich lebendig. Die Bühne, die Lichter, das Gefühl, etwas größeres, mächtigeres fliest durch mich. Ich muss für sie singen."

Fordernd küsste ich ihn, ohne seine Worte in mich aufzunehmen.

Es war egoistisch, ihn für mich haben zu wollen. Er brauchte das. Das Publikum brauchte ihn. War ich bereit, weiterzukämpfen?
War es das wert? Immerzu auf ihn zu warten?

Die Musik war seine Liebe.
Eine allumfassende Liebe, in der ich unterging.

"Okay", hauchte ich.

Er legte seine Stirn an meine und ich hoffte vergebens darauf stark genug zu sein, um ihn gehen zu lassen.

"Aber wieso? Ich meine, wo nimmst du die Energie her, fast jeden Abend dort draußen zu stehen? Ohne genug Schlaf, ohne ein echtes Zuhause. Brauchst du keine Erholung davon? Ich meine, selbst Emilia hat dir angeboten, die Tour zu kürzen ..."

Ein schiefes Lächeln umspielte seine Lippen.

"Ich singe nicht für sie. Nicht für das Publikum und nicht dafür, um Emilia einen Gefallen zu tun. So war es nie. Es ist reiner Eigennutz, die Show da draußen. Es ist die Energie in meinen Adern, das Rufen der Leidenschaft, was mich da raus treibt, meine Hübsche. Verstehst du denn nicht? Das ist es, weshalb wir leben. Diese explodierende Freude im Herz. Ich kann es nicht erklären, du musst es gefühlt haben, um zu verstehen."

"Vielleicht habe ich das. Ich kenne das Gefühl", flüsterte ich, und versuchte, seinem Blick zu entkommen.

Er wusste, was ich meinte.

Seine Hände gaben mich frei, es war soweit. Er schenkte mir ein beruhigendes, wissendes Lächeln. Er verstand. Selbst wenn ich wollte, ich konnte ihn nicht gehen lassen.

"Weißt du, es funktioniert wie eine Endlosschleife. Hier, wir beide, das ist es, was mich genauso aufleben lässt wie der Rausch der Musik. Was du mir gibst, gebe ich ihnen, wobei das Geben alles doppelt zu mir zurückfließen lässt. Freude hört nie auf zu fließen. Sie vermehrt sich durch sich selbst."

Er verschwand durch die Tür und ließ mich der größten Einsicht zurück, die ich je gefunden hatte. Er wusste, ich würde nicht gehen, weil jedes Treffen mit ihm mich mit mehr Energie versorgen würde, um die Zeit ohne ihn zu überstehen.

Eine Endlosschleife.

Eine bittersüße Endlosschleife.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 15, 2016 ⏰

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