„Wir machen es so: Du stehst unter der Dusche, die Arme oben, weil du dir die Haare wäscht, ich komme von hinten und lege dir zunächst meine rechte Hand auf dein Schulterblatt. Für ungefähr fünf Sekunden. Dabei bewege ich mich langsam nach vorne. Wieder so ca. fünf Sekunden lang. Wenn ich direkt vor dir stehe, lasse ich meine Hände an deinen Armen runtergleiten bis zu deinen Ellbogen .... und dann küssen wir uns. Ohne Zunge. Natürlich. So vier bis fünf Sekunden lang."
Laura hob den Blick vom Drehbuch und sah unverhohlen in Taylors weit aufgerissene, blaue Augen. Die kristalline Klarheit des Bergsees hatte sich eingetrübt. Ein kaum merklicher Schatten lag plötzlich über ihm, den Laura nicht ganz deuten konnte und der ihr nicht gefiel. Zusammen mit dem offenen Mund und Taylors kompletter Körperstarre führte er sogar dazu, dass sich ein flaues Gefühl in Lauras Magen breit zu machen begann. Sie räusperte sich. Als wäre das Räuspern ein Startsignal gewesen, schien das Leben in die Blondine zurückzukehren und das flaue Magengefühl bei Laura wieder zu verdrängen.
„Sag mal, du hast schon irgendwie Therapiebedarf, oder?" Der Schatten verschwand genauso plötzlich, wie er gekommen war und machte einem immer stärker werdenden, herausfordernden Funkeln Platz. „Was soll das jetzt?", zischte Laura kalt und zwang sich, Taylors Blick weiterhin standzuhalten. Ihre Hände umklammerten das Drehbuch als wäre es der Rettungsring eines in Seenot geratenen Schwimmers. Am liebsten wäre sie dieser Situation aus dem Weg gegangen. Sie kannte die Blondine gerade mal zwei Tage. Zwei Tage, in denen sie kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten. Zwei Tage, in denen Blondchen sich dadurch ausgezeichnet hatte, am Set einen auf unbedarftes Mädchen vom Land zu machen – oder in Fettnäpfchen zu treten. Laura hatte sie immer nur aus der Ferne beobachtet. Ein Fehler, wie sich jetzt herausgestellt hatte. Vielleicht hätte sie sich doch bemühen sollen, wenigstens ein bisschen Kontakt zu ihr zu knüpfen. Und sich an diese blauen Augen zu gewöhnen, die sie nun völlig aus dem Konzept brachten. Nicht, dass es schöne Augen waren. Nein. Aber sie waren unglaublich durchdringend. Ein Tsunami, der einen wehrlos überschwemmte und mitriss. Unangenehm. Wann immer Laura diesen Augen begegnete, ergriff ein kaum zu bändigender Fluchtreflex von ihr Besitz, der es ihr nicht mehr möglich machte, klar zu denken und der nur mit höchster Konzentration unter Kontrolle zu halten war.
„Hey hey, alles okay, komm runter!" Taylor hob beschwichtigend die Hände. „Ich werde versuchen, leise die Zeit mitzuzählen und dein Timing nicht zu zerstören. Vielleicht kann ja auch jemand hinter uns eine Uhr hochhalten. Nur für alle Fälle!" Laura entschied sich, die Ironie, die in diesen Worten mitschwang, zu ignorieren. Je schneller sie das nun hinter sich brachte, desto besser.Taylor ließ den Tag Revue passieren. Ihr erster Drehtag. Eigentlich lief alles glatt. Bis auf die Duschszene mit Laura. Tash hatte ihr zwar gesagt, dass Laura ein, wie sie selbst sagte „Nicht-Menschen-Mensch" sei, aber das hatte sie nicht ganz glauben wollen. Dafür hatte sie die letzten Tage vor Drehbeginn einfach zu wenig Kontakt zu ihr, um sich ein eigenes Bild machen zu können. Doch nach heute? Was war das nur gewesen? Zuerst eine verbale Vorgangsbeschreibung, für die ihr jeder Deutschlehrer vermutlich bescheinigt hätte, dass er nur für diesen einen Moment Deutschlehrer geworden sei, danach blanke, kalte Ignoranz. Und dann der Dreh selbst. So nah. So intim. So warm. Das bereits bekannte Räuspern hinter ihrem Rücken, danach ein fast schüchtern gehauchtes „Achtung, jetzt". Die Hand, die sich so unsicher auf ihr Schulterblatt gelegt hatte, als hätte sie Angst vor der Berührung und dem, was sie initiieren würde. Der Blitz, der ihr durch den ganzen Körper gefahren war, als die rauen Fingerkuppen behutsam und kaum spürbar ihre Haut streichelten, gefolgt von der so unglaublich weichen Hand, deren Wärme sie einerseits beruhigt und andererseits ein Kribbeln in ihrem tiefsten Inneren hervorgerufen hatte.
Taylor schloss die Augen und genoss für einen Moment die Erinnerung, die so real war, dass sie Lauras Hand beinahe noch auf ihrem Schulterblatt spüren konnte. Alles was danach gekommen war, hatte sie wie in Trance erlebt. Es war alles so schnell gegangen. Die Eindrücke hatten sie völlig übermannt, sie mitgerissen. Sie hatte einfach nur alles versucht, in sich aufzusaugen und sich selbst nicht ganz zu verlieren. Denken an die Regieanweisungen war nicht mehr möglich gewesen. Lauras Nähe, so einschüchternd, ihr die Luft zum Atmen nehmend, so überwältigend und gleichzeitig so beruhigend, einen Raum nur für sie beide schaffend in dem nur sie existierten. Ihr Duft, fruchtig und blumig zugleich, leicht, angenehm und erotisch, ein aufgehender Frühlingstag im Morgentau. Ihre Finger, suchend und zielstrebig, sanft wie eine Feder auf Taylors nackter Haut. Ihr makelloses Gesicht, alterslos, eben und rein. Die Augen, die in den verschiedensten Grün- und Brauntönen funkelten wie ein Herbstwald im Sonnenlicht. Ihre vollen, perfekt geschwungenen Lippen. Der Kuss ... Taylor bemerkte das wohlige Kribbeln, das von ihrem Bauch heraus begonnen hatte, heimlich Besitz von ihrem ganzen Körper zu ergreifen, viel zu spät, als dass sie mit anderen Gedanken hätte versuchen können, sein Aufkommen zu verhindern. Also entschied sie sich, es zu genießen, zog ihre lange Strickjacke noch ein wenig enger um ihre Schultern und schloss die Augen mit der kleinen Hoffnung, diesen erfüllenden Augenblick noch ein wenig länger wachhalten zu können.
Laura betrachtete Taylor schweigend. Sie schien mit ihren Gedanken in einer anderen Welt zu sein. In einer Welt der debil Grinsenden. Sie stand auf und ging zur Minibar des Trailers, den sie sich während der Dreharbeiten mit Taylor teilen musste. „Lust, unseren ersten Nackt-Dreh zu begießen?" Sie öffnete den kleinen Kühlschrank und warf einen Blick hinein. Wasser, Säfte, Softdrinks, Rotwein. Laura schnappte sich die Flasche Rotwein und zwei Gläser aus dem kleinen Küchenschränkchen und ging zurück zum Sofa, auf dem Taylor noch immer regungslos mit geschlossenen Augen saß. Ob sie eingeschlafen war? Der Tag war ziemlich anstrengend gewesen, viele kurze Sequenzen, unzählige Wiederholungen. Es dauert immer, bis man richtig drin ist, bis man weiß, was die Produzenten und Regisseure von einem erwarten, wie man schauen soll, wie man sich bewegen soll, wie man zu reden hat und noch so vieles mehr. Die erste Woche an einem neuen Set ist immer die schwierigste, das wusste Laura nur zu gut. Sie setzte sich wieder neben Taylor und berührte sie leicht mit der Hand an der Schulter.Da war sie wieder. Die Illusion von Lauras Hand an ihrer Schulter. So lebendig, so spürbar. So....an einer völlig anderen Stelle. Erschrocken riss Taylor die Augen auf und erntete einen belustigten Blick von Laura. Fuck! Die hatte sie völlig vergessen. Wie lange sie wohl so vor sich hin geträumt hatte? Hatte sie vielleicht sogar wieder unbewusst laut geredet? Oh Gott, hoffentlich nicht!
Laura starrte sie ganz unverhohlen an. „Ich habe gefragt, ob wir unseren Nackt-Dreh begießen wollen. Den ersten." Taylor blinzelte. So langsam begann sie, wieder in die reale Welt zurück zu kehren, nicht ohne wehmütig zu bemerken, dass damit auch die Erinnerungen an den Dreh und die wohlige Gänsehaut immer mehr verblassten. „Äh.... Ja, gern, aber nur ein Glas." An Lauras hochgezogener Augenbraue und ihrem fragenden Blick bemerkte sie, dass sie noch eine Erklärung würde nachliefern müssen. „Ich ähm...ich vertrage nicht viel und habe heute außerdem kaum etwas gegessen. Wenn ich dann was trinke, kann ich für nichts mehr garantieren." Lauras Lippen verzogen sich etwas. War das ein Ausdruck des Bedauerns? Oder des Ekels? Wohl eher ein Ausdruck der Ablehnung ob ihrer Ehrlichkeit. Taylor wischte den Gedanken beiseite und ermahnte sich, zum einen die Schwarzhaarige nicht weiter zu deuten und zum anderen künftig nicht mehr so offen das zu sagen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Dafür kannten sie sich noch viel zu wenig. Vielleicht später einmal. „Oh ja, definitiv!" murmelte sie sich beiläufig selbst zu und nickte bestätigend.
„Was ?!" Lauras, für ihre Verhältnisse schrille Stimme riss Taylor aus ihren Überlegungen. Verdammt, was hatte Laura gerade gesagt? Hatte sie etwas gefragt? Und hatte sie selbst laut gedacht? Verdammt, verdammt, verdammt!
Natasha näherte sich grinsend und selbstzufrieden dem Trailer. Jedes Mal, wenn sie die Namen von Laura und Taylor auf dem Schild las,himmelte sie sich selbst für die Idee an, Jenji zu bitten, die beiden in einen gemeinsamen Trailer zu stecken. Gemeinsame Storyline. Einander besser kennen lernen. Gut für die Authentizität und so. Bla bla bla. Hach, was ein genialer Einfall, den sie da gehabt hatte! Es geht doch nichts über ein bisschen Action.Dazu hatten die beiden etwas an sich, was irgendetwas in Natasha ansprach und reizte. Sie konnte nicht anders, als ein wenig zu spielen und zu schauen, wie die beiden darauf reagierten. Sie waren so einfach zu lesen und noch viel einfacher zu manipulieren. Das hatte Natasha sofort bemerkt. Sie schlich die letzten Meter zum Trailer und beugte sich lauschend nach vorne. Jemand sprach. Laura.Ihre Stimme hätte Natasha im Schlaf erkannt. So tief, vibrierend, verrucht,aber gleichzeitig warm und unglaublich sexy.
„Muss ich dann Angst haben, dass du über mich herfällst?"
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Mirror Writing
FanfictionEinen Moment lang betrachtete Laura die weißen, wortgeschwängerten Seiten des Drehbuches, die so gut mit dem anthrazitfarbenen Bezug des Couchpolsters harmonierten, als wollten sie ihr damit mitteilen, dass sie schon immer dort hingehört hätten. Das...