Vier

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"Wie läuft die Seelensuche?" Robinas lange Fingernägel fuhren kratzend an meinem Teller entlang, bevor sie ihn vor mir abstellte.
Ich bekam eine leichte Gänsehaut, schüttelte sie aber schnell wieder ab und konzentrierte mich auf die köstlich duftende Suppe.
"Super!" Layla griff gut gelaunt nach dem Maggi. "Ich habe jetzt schon Freunde gefunden. Die sind alle richtig nett."
"Das freut mich." Robina schenkte ihr ein gnädiges Lächeln. "Aber denk dran, Layla. Man darf sich nie vom ersten Eindruck täuschen lassen. Und du, Nathan?"
Die Suppe war so heiß, dass ich mir meine Zunge an ihr verbrannte und für einen Moment unfähig war zu sprechen.
Ich ließ den Löffel fallen, griff hektisch nach meinem Glas und stürzte ein paar Schlucke Wasser hinunter, bis das Brennen nachließ.
Robina, die mein Verhalten für eine Reaktion auf ihre Frage hielt, räusperte sich ungeduldig. "Nathan, ich rede mit dir."
Trotzig schaute ich auf. "Die Suppe ist ziemlich heiß."
"Kalt kochen kann ich nicht", fauchte Robina. "Aber wenn du mit dem Essen so unzufrieden bist, kannst du es dir ja in Zukunft selbst kochen. Und jetzt beantworte meine Frage!"
Ich schreckte ein wenig zurück.
So aufgebracht hatte Robina noch nie reagiert. Ich wusste, dass es an unserem gestrigen Gespräch lag. Seitdem behandelte sie mich anders.
Kalt.
"Es läuft ganz ok", erwiderte ich knapp und versuchte, meine Stimme normal klingen zu lassen. Ich tauchte den Löffel erneut in die Suppe ein. "Aber bis jetzt noch nicht die richtige Seele gefunden." Ich warf mir einen vielsagenden Blick zu.
Meine Geschwister hatten noch keine Ahnung, dass ich aufhören wollte.
Und ich wusste nicht wie ich es ihnen sagen sollte.
Tatsächlich brach es mir das Herz.
Nicht nur, wie sie auf diese Nachricht reagieren würden.
Auch die Vorstellung von einem Leben ohne sie.
Doch ich konnte nicht anders.
Ich musste hier raus.
"Na, dann musst du dich wohl ein bisschen anstrengen." Sie erwiderte meinen Blick. In ihren Augen lag Kälte.
Sie war verletzt.
Ich hatte sie verletzt.
Aber sie musste mich verstehen.
Sie musste es wenigstens versuchen.
"Ich glaube, das hier ist nicht die richtige Gegend", setzte ich vorsichtig an. "So wie ich das bisher erlebt habe, sind die alle ziemlich oberflächlich."
"Dann musst du dich wohl anstrengen", wiederholte sie. Das war alles, was sie dazu zu sagen hatte. Dann lenkte sie das Gespräch auf irgendetwas Banales wie Whirlpool Drüsen in unserer monströsen Badewanne.
Ich starrte meine Suppe an.
Plötzlich kam mir ein Gedanke.
Was, wenn das alles geplant war? Wenn Robina von vornherein wusste, dass ich den Brief meines Vaters finden würde, dass ich daraufhin aufhören wollen würde? Vielleicht hatte sie mich extra in diese Gegend geschleppt, weil sie die Menschen hier kannte. Keine reinen Seelen. Also konnte ich ihre Bedingungen auch nicht erfüllen und musste bleiben.
Ich beschloss, sie herauszufordern. "Eins von den Mädchen könnte interessant sein", sagte ich deshalb und unterbrach damit unfreundlicherweise Paulette.
"Ach ja?" Robina zog die Augenbrauen hoch.
Ich nickte und versuchte mich vergeblich zu erinnern, ob das Mädchen aus dem Biounterricht mir den Namen ihrer Cousine genannt hatte. "Ja, sie scheint wirklich sehr nett zu sein. Sehr herzlich", log ich, obwohl ich sie noch gar nicht kennen gelernt hatte. "Ich glaube, ihre Seele könnte sehr rein sein."
"Schön, aber denk dran. Nie vom ersten Eindruck täuschen lassen. Du weißt, dass ich hohe Erwartungen habe diesmal." Sie sah mich ein letztes Mal bedeutungsvoll an, bevor sie sich wieder Paulette zuwendete.
Ich schaufelte meine Suppe in mich herein.
Ich würde diese eine, reine Seele finden, die mich befreite und dem allen hier ein Ende setzte.
Ich würde sie finden.

***

"Ich will diesen Kerl." Lyssa zündete sich mit hektischen Bewegungen eine Zigarette an. "Verdammt, Elli. Ich will diesen Kerl."
Wir standen seit über zwanzig Minuten vor ihrem Haus, im Dunkeln, es war schon nach 20 Uhr und Lyssa hatte bereits zwei Zigaretten geraucht.
Seit dieser neue Typ an unserer Schule aufgetaucht war, gab es für sie kein Halten mehr. So aufgekratzt hatte ich sie noch nicht oft erlebt.
Sie konnte an nichts anderes mehr denken, außer an ihn.
Und das, obwohl sie von seiner Existenz erst seit gut zwölf Stunden wusste und ihn nur ein einziges Mal flüchtig auf dem Schulhof gesehen hatte.
Trotzdem kam sie aus dem Schwärmen nicht mehr heraus.
"Hast du seine Augen gesehen? Oh mein Gott, seine Augen! Sie sind so..." Der Rest des Satzes ging in einem einzigen Husten unter. Sie nahm noch einen Zug. "Elli, er ist der heißeste Typ den ich je gesehen habe. Wenn sich irgendeine andere an ihn ranmacht, raste ich aus. Ich raste aus. So richtig. Ich muss ihn kriegen."
"Wirst du schon."
Mehr sagte ich dazu nicht. Es war eiskalt draußen, ich saß auf einer Mauer, zitterte am ganzen Leib und wartete darauf, dass Lyssa fertig geraucht hatte.
"DU INTERESSIERST DICH GAR NICHT DAFÜR", rief sie schrill. "Meine Interessen sind dir total egal!"
Ich versuchte zu protestieren, aber wenn Lyssa einmal wegen irgendetwas sauer war, steigerte sie sich so richtig rein.
Auch jetzt schrie sie mich geschlagene fünf Minuten an, darüber, was ich eigentlich für eine beste Freundin wäre und ob ich mich jemals ernsthaft für ihre Probleme interessiert hätte.
Ich war bereits in Sorge, dass sie sich hysterisch vor das nächste Auto stürzte, doch ehe ich's mich versah trampelte sie auf der Zigarette rum, zündete sich eine neue an und schwärmte schon wieder von ihm.
Nathan.
Ich musste zugeben, dass ich den Namen mochte.
Aber ich konnte nicht verstehen, wie Lyssa wegen eines ihr völlig unbekannten Jungens so aus der Bahn geraten konnte.
Ich war heilfroh als sie endlich fertig geraucht hatte und mich zurück ins Haus schleifte.
Heilfroh und halb erfroren.
"Komm schon", quietschte sie plötzlich gut gelaunt und hüpfte die Treppe hoch. "Suchen wir mir ein verführerisches Outfit heraus. Morgen mache ich mich an ihn ran, Baby."

Die SeelenjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt